Präsident Christian Kukuk und Geschäftführer Klaus Leisen vor dem Vereinsheim des TUSEM Essen

TUSEM Essen und die Energiekrise "Viele sind sich nicht sicher, ob sie sich Sport noch leisten können"

Stand: 05.10.2022 13:12 Uhr

Die Narben der Corona-Pandemie sind noch nicht verheilt, und schon steuert der Breitensport auf die nächste Krise zu. Es drohen neue Austrittswellen, spezielle Hilfspakete sind nicht in Aussicht – und der Energie-Lockdown wird zur reellen Gefahr. So auch bei TUSEM Essen: Die Vereinsführung blickt sorgenvoll auf die kommende Zeit.

Von Raffael Reisdorf

Das Vereinsheim auf dem Fibelweg ist von einem Baugerüst umgeben. Vor dem Winter will der TUSEM Essen noch die Wärmedämmung renovieren. Denn die kalte Jahreszeit steht vor der Tür und damit auch die drohende Energiekrise. Doch vor der nächsten Notlage sind auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch immer spürbar.

Das Vereinsheim des TUSEM Essen wird momentan renoviert

"Natürlich haben wir auch einen Rückgang an Mitgliedern", berichtet Klaus Leisen im Gespräch mit dem WDR. Der Essener Traditionsverein erholt sich nur langsam, erzählt der Geschäftsführer: "Es läuft wieder an, aber die Leute sind vorsichtig. Viele sind sich nicht sicher, ob sie sich Sport noch leisten können." Insgesamt ist der Rückgang alarmierend. Im Jahr 2018 stand man noch bei 2.496, mittlerweile nur noch bei 2.218 Mitgliedern.

Vorbereitungen sind getroffen

Für die kommenden Wintermonate habe man Maßnahmen ergriffen. Die Sanitäranlagen sind bereits frisch saniert. Das Warmwasser ist zwar nicht abgedreht, in Zukunft werden die Sportler die Dusche aber kurzhalten müssen. "Wir haben Begrenzungsmöglichkeiten", erzählt Vereinspräsident Christian Kukuk.

Die Beleuchtung werde noch ausgetauscht, mehr sei vorerst nicht geplant: "Die Mittel sind begrenzt, wir haben zwei schwere Jahre hinter uns", so Kukuk.

Ein Kursraum im Gesundheitszentrum des TUSEM Essen

Die lang ersehnten Wärmedämm-Maßnahmen um das Vereinsheim wurden bereits Anfang 2020 auf den Weg gebracht. Aufgrund von Ressourcenknappheit und Fachkräftemangel ziehen sich die Arbeiten nun seit zwei Jahren. Vor Anbruch des Winters wird man noch nicht vollends gerüstet sein, schätzt Leisen: "Gegen Ende des Jahres soll es fertig sein."

Es droht ein immenser Anstieg der Kosten

Doch es kündigen sich weitere Sorgen an. Mit den Stadtwerken Essen und Eon haben die Energie-Lieferanten für Gas und Strom die Verträge gekündigt. Die neuen Kontrakte bringen mindestens eine Verdopplung der Energiepreise. In den vergangenen Jahren hat der TUSEM noch 800 Euro monatlich für das Gas gezahlt, nun ist man in die Grundversorgung gerutscht. Hier wird ab Oktober eine Abschlagszahlung in Höhe von 1.600 Euro pro Monat fällig.

Auch der Stromanbieter hat den Vertrag zum Ende des Jahres gekündigt, hier rechnet man ebenfalls mit einer Verdopplung der Kosten. So wird man voraussichtlich ab 2023 rund 1.400 Euro pro Monat bezahlen müssen.

Sollten die Konditionen aber noch ungünstiger werden, drohen dem Verein von 1926 geschlossene Hallen. Ein Szenario, das bei Vereinspräsident Christian Kukuk Sorgenfalten hinterlässt: "Völlig angespannt" blicke man auf den Winter. "Man weiß schon, dass weitere Rückschläge im Winter eine Menge Kraft und auch wieder Mitglieder kosten werden."

Der Betrieb ist gefährdet

Doch wie soll ein Verein wie der TUSEM diese Mehrkosten stemmen? Realistischerweise werde man mittelfristig um eine Erhöhung der Beiträge "nicht umhinkommen", erklärt Kukuk: "Das geht gar nicht mehr anders." Momentan bezahlt ein erwachsenes Mitglied eine Jahrespauschale in Höhe von 100 Euro.

Ab Mitte nächsten Jahres, sobald die Anhebung durch alle Gremien gegangen ist, wird wohl ein höherer Beitrag fällig. Bei der Höhe will man sich an anderen Vereinen orientieren: "Wir wollen da über den Tellerrand schauen und sehen, was die anderen größeren Vereine in der Umgebung machen", so der Präsident.

Kurzfristig herrscht jedoch Ungewissheit. Ohne Finanzhilfen stünden wieder Engpässe bevor, befürchtet das Duo der Vereinsführung. Den Forderungen des DOSB nach Finanzhilfen für Vereine pflichtet Kukuk bei: "Natürlich wünscht man sich das. In der Corona-Pandemie waren die Hilfen sehr solide und haben schnell funktioniert."

Sollten die Preise weiter steigen, so droht auch ein erneuter Stopp des Betriebs. "Wenn sich der Gaspreis verzehnfacht machen wir zu, dann können wir die ganzen Kurse nicht anbieten." Dann droht für den Präsidenten "eine genauso massive Krise wie vor zwei Jahren."

"Das Personal, teilweise sind das Freiberufler, bekommt dann kein Geld." Bis zu 100 Trainer beschäftigt der Essener Verein auf Honorarbasis: "Das ist für die natürlich dramatisch." Eine Situation, die der Präsident "nicht ausschließen" kann: "Die Gedanken haben wir alle."

Es drohen Verluste

Bisher konnten Einnahmen und Ausgaben beim TUSEM noch in der Waage gehalten werden. An der Kostendeckung waren aber die Corona-Hilfen maßgeblich beteiligt. In der aktuellen Situation steigen die Energiepreise immens an, Hilfspakete bleiben aber wohl aus. Früher oder später resultieren daraus finanzielle Defizite: "Wir brauchen keinen Gewinn zu erzielen, wir müssen keine Eigentümer glücklich machen", betont Kukuk das Ziel: "Wir möchten Sport nach draußen tragen."

DOSB-Forderungen bisher erfolglos

Doch die Problematik trifft nicht nur den TUSEM, sondern den bundesweiten Breitensport mit voller Wucht. Obwohl die Landessportbünde und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) lautstark Finanzhilfen fordern, bleibt der Sport auf der politischen Bundesebene weiterhin unbeachtet. In den ersten drei Hilfspaketen der Bundesregierung blieben Vereine außen vor.

"Es braucht einen Unterstützungsfonds für den Sport, so wie er auch für die Kultur im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung eingerichtet worden ist", forderte Christian Siegel unlängst im Gespräch mit dem WDR. Der DOSB-Ressortleiter für Breitensport schätzt die Situation als "existenzbedrohend" ein.

Eine Schließung der Vereine steht aber weiterhin im Raum: "Wir können nicht jeden Betrieb als systemrelevant einstufen. […] Produkte und Angebote, die in den Freizeit- und Wohlfühlbereich fallen, [wären] eher nachrangig. Schwimmbäder gehören wohl nicht zum kritischen Bereich, genauso wie die Produktion von Schokoladenkeksen", sagte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur gegenüber der "WAZ".

Der Optimismus bleibt

In Essen blickt Kukuk aber trotz aller Hürden positiv auf die kommende Zeit: "Man muss optimistisch bleiben." Besonders die Art und Weise, wie der TUSEM die Pandemie überstanden hat, stimmt den Präsidenten zuversichtlich: "So viele sind über sich hinausgewachsen. Da bin ich nicht pessimistisch."

Und so hofft man, dass auch der Betrieb auf der Margaretenhöhe in Essen weitergehen wird. Notfalls in warmen Klamotten: "Wir werden das überleben. Es wird uns weh tun, aber wir stecken unsere Zeit und Kraft hinein", so Kukuk.