Vincenzo Gualtieri jubelt nach seinem Sieg in Wuppertal mit dem WM-Gürtel.

Sensation im Boxen Vincenzo Gualtieri ist Weltmeister der IBF

Stand: 03.07.2023 11:24 Uhr

Es war ein Kampf, der einer Weltmeisterschaft würdig war. Nach zwölf intensiven Runden war die Überraschung perfekt. Vincenzo Gualtieri gewinnt als Underdog gegen den Brasilianer Falcao und ist Box-Weltmeister im Mittelgewicht. Er ist der erste Deutsche seit 2016 mit einem großen WM-Titel.

Von Jens Walbrodt, Wuppertal

Vincenzo Gualtieri musste nicht lang überlegen. Woher die Stärke für diese Mammut-Aufgabe kam, hatte der Ringsprecher gerade gefragt. Gualtieri war kurz zuvor der Gürtel des IBF-Weltmeisters umgelegt worden. "Die Stärke kam von oben", sagte der neue Weltmeister: "Graciano!"

Es ist, als würde sich ein Kreis schließen. Graciano Rocchigiani hatte Gualtieri einst entdeckt und bis zu seinem Unfall-Tod 2018 gefördert. Gualtieri zählt ihn bis heute zu seiner Familie. Und jetzt gibt es eine weitere Parallele zwischen ihnen: Beide wurden Weltmeister beim großen Verband IBF. Rocchigiani holte den Titel 1988, Gualtieri an diesem denkwürdigen 1. Juli 2023.

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Enger Kampf mit hoher Intensität

Es war ein spannendes und packendes Duell bis zur letzten Runde in Wuppertal. Der Underdog aus Deutschland lieferte einen tollen Kampf gegen den ebenfalls stark fightenden Brasilianer Esquiva Falcao. Eine frenetische Uni-Halle in Wuppertal trieb den Lokalmatadoren Gualtieri dabei nach vorn.

So entwickelte sich von Beginn an ein Duell mit hohem Tempo. Falcao bestimmte das Geschehen zunächst mit der rechten Führhand. Doch auch Gualtieri konnte schon zu Beginn einige gute Konter-Treffer landen.

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Falcao in Runde zwei bereits angezählt

In der zweiten Runde setzte der Wuppertaler dann das erste Ausrufezeichen des Kampfes. Ein linker Aufwärtshaken Gualtieris traf zunächst den Körper des brasilianischen Olympiazweiten von 2012, ein weiterer linker Aufwärtshaken direkt darauf traf ihn am Kinn - Falcao ging auf die Knie und wurde angezählt.

Doch das Momentum wechselte danach minütlich zwischen beiden Kämpfern. Gualtieri verließ sich weiter auf seine Beinarbeit, Beweglichkeit und die stabile Deckung und boxte aus dem Rückwärtsgang. Falcao gelang es trotzdem immer wieder, Gualtieri in der Ringecke oder an den Seilen zu bedrängen. Doch auch der Deutsche kam weiter mit Kombinationen zum Kopf oder dem gefährlichen linken Aufwärtshaken durch.

Aufregung in Runde sieben

In der siebten Runde erlebte die Uni-Halle in Wuppertal einen weiteren Aufreger. Beim Versuch, sich mit einem erneuten linken Aufwärtshaken aus einer Drucksituation zu befreien, landete ein Schlag Gualtieris deutlich im Tiefschlagbereich Falcaos. Der Brasilianer ging zu Boden und welzte sich vor Schmerz schreinend umher. Der Ringrichter zählte Falcao zunächst an, dann unterbrach er den Kampf und gewährte dem Brasilianer eine Erholungspause. Er wertete die Aktion nicht als Absicht des Deutschen und ließ den Kampf nach einigen Minuten fortsetzen.

Hohes Tempo bis zum Ende

In Runde zehn musste der Favorit dann erneut zu Boden. Falcao sank nach einem Aufwärtshaken Gualtieris auf die Knie und reklamierte erneut, unmittelbar vor diesem Kopftreffer unter der Gürtellinie getroffen worden zu sein. Doch der Ringrichter schüttelte energisch den Kopf und zählte Falcao wieder an - eine nicht unumstrittene Situation, die am Ende dem Deutschen zu Gute kam. Spätestens jetzt schien das Pendel in Richtung Gualtieris auszuschlagen.

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Doch erstaunlich blieb bis zum Schluss das hohe Tempo, das beide Kämpfer gingen. Der Kampf wirkte auch in Runde elf und zwölf nicht endgültig entschieden, Falcao startete weitere verzweifelte Angriffsversuche, Gualtieri hatte im Rückwärtsgang die richtigen Antworten parat.

So mussten nach zwölf zum großen Teil engen Runden die Punktrichterstimmen entscheiden. Und die Wertung war am Ende eindeutig: Der Wuppertaler siegte einstimmig und verdient nach Punkten, und damit trägt erstmals seit 2016 wieder ein deutscher Boxer einen der vier großen WM-Gürtel seiner Gewichtsklasse.

Gualtieri von Emotionen überwältigt

"Es ist unbeschreiblich, es sind so viele Emotionen, die auf mich einprasseln", sagte der neue Champion im Interview mit der Sportschau nach dem Kampf: "Ich kann noch gar nicht begreifen, was ich gerade geleistet habe".

Auch Gualtieris Promoter, Ingo Volckmann, war begeistert: "Er hat hart trainiert und heute alles umgesetzt, was der Trainer gesagt hat. Das ist ein absoluter Hammer".

Der Sieg im wichtigsten Kampf seines Lebens wird Vincenzo Gualtieri neue Möglichkeiten eröffnen. Aber auch das Profiboxen in Deutschland insgesamt erhofft sich einen Schub und neue Aufmerksamkeit. Und mit dem Kölner Denis Radovan und Routinier Vincentz Feigenbutz sind gleich zwei deutsche Boxer in den IBF-Mittelgewichts-Rankings so platziert, dass ein WM-Kampf gegen Gualtieri theoretisch möglich wäre.

Doch all das ist für den neuen Weltmeister Zukunftsmusik. "Erstmal genieße ich den Triumph, genieße ich den Sieg", sagt Gualtieri. Das hat er sich zweifellos verdient.