Podcast vor der Skiflug-WM Hannawald zum Skifliegen: "Wie Schmetterlinge im Bauch"

Stand: 10.03.2022 11:03 Uhr

Sven Hannawald ist der bisher letzte deutsche Springer, der auf dem "Monster-Bakken" in Vikersund Skiflug-Weltmeister geworden ist. Im Wintersport-Podcast spricht der Sportschau-Experte vor der am Donnerstag (10.03.2022) beginnenden Skiflug-WM über Todesangst, zu "kleine Schanzen" und den Valentinstag.

Vor 22 Jahren sind Sie in Vikersund Skiflug-Weltmeister geworden. Wie lebendig ist diese Erinnerung noch?

Sven Hannawald: Sehr lebendig und das hat gar nicht so viel mit Skifliegen zu tun Es war die einzige Entscheidung, die auf den Montag vertagt werden musste. Es war der 14. Februar. An einem Valentinstag Skiflug-Weltmeister zu werden, vergisst man nie und das gibt es wohl auch nie wieder. Es bleibt ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Skifliegen war meine Paradedisziplin. Der kleine Sven wollte immer so weit wie möglich springen. Beim Skifliegen ganz oben stehen zu dürfen, war dann der Traum.

Der kleine Sven wollte immer so weit wie möglich springen.

Die Vorfreude ist deutlich zu spüren...

Ich bin Feuer und Flamme und freue mich auf Vikersund. Allerdings habe ich auch eine kleine Träne im Auge, weil die Schanze vergrößert wurde. Ich bin damals im Training 214,5 Meter geflogen - das war so weit ins Flache, dass mir die Skispitze gebrochen ist. Mehr ging nicht. Jetzt liegt der Schanzenrekord bei 253,5 Meter. Schade, dass sie nicht früher darauf gekommen sind, die Schanze zu vergrößern. Das hätte mir auch mehr Spaß gemacht.

Sportschau-Wintersport-Podcast, 10.03.2022 11:45 Uhr

Wie fühlt sich Skifliegen an?

Das ist im Vergleich zum Skispringen nochmal eine Dosis oben drauf. So ähnlich wie, wenn du sonst im Alltagsauto unterwegs bist und dann stellt dir einer einen Formel 1-Wagen hin und du drückst da mal drauf. Da merkst du erst einmal, was da abgehen kann. Die Windgeräusche in der Abfahrt sind viel lauter, weil man zehn km/h schneller unterwegs ist. Wenn du wegspringst, hast du viel mehr Druck unterm Ski. Dieser Blick, der eigentlich gewohnt ist, ich bin gleich da, ist doppelt so lange. Es geht in den Trancezustand und man schwebt in einer Zeitlupe dahin und genießt einfach. Das ist wirklich krass, fliegen und genießen."

Fliegt die Angst mit oder kommt so ein Gefühl gar nicht auf?

Man hat Schmetterlinge im Bauch, sobald jemand Angst hat, wird es gefährlich. Aber so ein bisschen Flattern im Magen, hält deine Sinne wach. Du bist fokussiert und konzentriert, weil du weißt, wenn es schief geht, kann es ordentlich krachen. Der Ablauf ist eigentlich nicht anders als auf der Großschanze, aber alles ist schneller.

Ist die Sehnsucht groß, selbst noch einmal zu Fliegen?

Natürlich würde auch gern Fliegen, aber zum Glück siegt da der Verstand. Ich weiß aber, dass ich Gänsehaut haben werde, wenn ich sie am Wochenende fliegen sehe. Mein weitester Flug waren 220 Meter in Planica, das war schon sensationell. Aber als ich dann 2017 das Wochenende der Rekorde mit Stefan Kraft und seinen 253,5 Metern erlebt habe, war das unglaublich. Ich glaube, ich hab mit Gänsehaut geschlafen.

Es wird ja schon über 300-Meter-Sprünge diskutiert, ist das realistisch?

Aktuell ist es unrealistisch, weil es die Schanzen nicht hergeben. Dafür müssten neue Schanzen gebaut werden, die viel Geld kosten. Wenn es einer möglich macht und die Bagger rollen, dürfte es schnell gehen. Die aktuellen Schanzen sind für 300-Meter-Sprünge nicht ausgelegt, es will ja keiner in der ersten Reihe der Zuschauer landen.

Wird es irgendwann für den Körper gefährlich?

Ein Skiflug-Wochenende ist extrem anstrengend, danach kann der Körper platt sein. Ich war auch erschrocken, als ich eine Studie gelesen habe, dass unser Adrenalinlevel beim Skifliegen vergleichbar mit Todesangst ist. Todesangst hatte ich nie, wenn ich auf dem Balken saß. Wir gewöhnen uns an ein Level, das für einen Normalsterblichen gefühlt die Todesangst ist. Ich glaube auch, dass wir nicht atmen in der Luft, weil wir den innerlichen Stress haben. Wenn man das übertreibt, wird man irgendwann vielleicht sogar bewusstlos. Ich weiß nicht, wie lange der Körper das mitmacht und ob es Grenzen gibt, die wir noch nicht auf dem Schirm haben.

Mit Blick auf die Skiflug-WM. Gibt man als Skiflug-Weltmeister beispielsweise Karl Geiger und Markus Eisenbichler Tipps?

Auf dem Level, auf dem Karl und Markus performen, brauchen sie keine Tipps mehr. Sie wissen, worum es geht. Sie haben sich weiterentwickelt - so wie wir uns weiterentwickelt haben zu unseren Vorgängern. Das Einzige, was ich mache, ist Daumendrücken, weil ich weiß, dass Siege nicht immer damit zu tun haben, was du heute zeigst. Zehn Prozent sind davon abhängig, was Drumherum passiert. Der eine oder andere Favorit hat einen schlechten Tag, du hast gute Bedingungen - alles Dinge, die außerhalb deines Tellerrandes passieren und die mitspielen müssen, wenn man am Ende ganz oben stehen will. So habe ich auch alle meine Siege gesehen. Es war nicht so, dass ich an diesem Tag der super-tollste war und alle in Grund und Boden gesprungen bin.