Interview mit Norbert Loch Rennrodler erleben Tortur in China

Stand: 23.11.2021 13:29 Uhr

Es sollte eine intensive Vorbereitung auf Olympia im Februar werden, doch die Vorfreude ist bei den deutschen Rodlern nach zweieinhalb Wochen in China verflogen. Bundestrainer Norbert Loch über die mentale Odyssee und ein gewöhnungsbedürftiges Land.

Sportschau: Zweieinhalb Wochen Vorbereitung auf der Olympia-Bahn liegen hinter Ihnen und der Mannschaft. Mit welchen Eindrücken sind Sie zurückgekehrt?

Norbert Loch: Ich nenne es mal gewöhnungsbedürftig. Die Organisation und Kommunikation ist manchmal nicht zu verstehen. Zwölf Athleten meines Teams mussten direkt nach der Ankunft in eine Isolation. Wir wussten drei Tage lang nicht, warum. Erst dann stellte sich heraus, dass ein russischer Athlet, der wohl in unserer Nähe im Flugzeug saß, positiv getestet worden war. Aufgrund dieses Falles mussten wir 14 Tage im Hotel in Isolation. Also Essen im Zimmer und nur zum Training raus. Jeden Morgen zwischen 5.00 und 7.00 Uhr mussten wir in der Lobby zum PCR-Test. Es war eine Tortur. Ich bin in den zweieinhalb Wochen drei Jahre älter geworden.

Und dann gab es auch noch einen positiven Test in Ihrem Team …

Loch: Das war furchtbar. Am 16. November - also 12 Tage nach unserer Ankunft in China - wurde Tobias Arlt positiv getestet. Er wurde direkt an der Bahn mit dem Krankenwagen abgeholt, im Rennanzug und mit Helm unter dem Arm. Tobi musste zwei Tage in einem Hygienehotel ausharren, bis sich herausstellte, dass es ein falsch-positiver Test war. Das war wieder eine schwierige Situation für uns.

Zumindest sportlich lief es auf der Olympia-Bahn für Ihre Mannschaft aber ganz gut.

Loch: Ja, die Organisation an der Bahn war sehr gut. Die lag in den Händen des Weltverbandes FIL. Mit den Ergebnissen der Männer bin ich sehr zufrieden, allerdings muss man mit der Einordnung vorsichtig sein. Die Österreicher hatten große Probleme, ich glaube, sie werden bei Olympia deutlich stärker sein. Bei den Frauen ist Natalie Geisenberger leider einen schlechten Wettkampf gefahren. Julia Taubitz hat ihre Siegchance noch vertan, die Ergebnisse von Dajana Eitberger und Anna Berreiter waren in Ordnung.

Es gab extrem viele Stürze. Ist es normal auf einer neuen Bahn?

Loch: Nein! Die Bahn in Yanqing ist sehr interessant, aber auch sehr schwer zu fahren. Sie hat ihre Tücken und Schwierigkeiten, aber man kann sie auch gut beherrschen. Das hat Johannes Ludwig gezeigt, der eine tolle Performance abgeliefert hat.

Aus Ihrem Team sind auch einige Athleten gestürzt. Sind alle dabei verletzungsfrei geblieben?

Loch: Ja, alles ist gut und keiner hat sich verletzt.

Wie oft wird vor Olympia noch auf der Bahn gefahren?

Loch: Wir haben genau sechs Trainingsläufe. An den drei Tagen vor den Rennen hat jeder Athlet zwei Läufe. Das ist nicht viel, aber jeder hat die gleichen Voraussetzungen. Ich habe vollstes Vertrauen in mein Team. Es ist machbar.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Team in dieser frühen Phase der Saison?

Loch: Mit der Vorbereitung bin ich überhaupt nicht zufrieden. Wir haben etwa 40 Prozent weniger Läufe absolviert als in den vergangenen Jahren.

Woran lag das?

Loch: Wir sind am 17. Juli in die Saison gestartet, konnten aber wegen dem Unglück die Bahn am Königssee nicht mehr nutzen. Auch ein Training in Oberhof war nicht möglich. Wir sind zum ersten Mal Ende September/Anfang Oktober in Lillehammer gefahren, dort war es so warm wie noch nie und das Eis nicht ideal. Danach waren wir zwei Mal in Winterberg und einmal in Altenberg. Es ist nicht so gelaufen, wie wir uns es vorgestellt hatten. Uns fehlen dadurch viele Materialtests.

Sie sind jetzt in Russland, dort geht es am Wochenende in Sotschi um die nächsten Weltcup-Punkte. Lief die Anreise von China nach Russland reibungslos?

Loch: Es war Odyssee für uns alle. Wir haben 24 Stunden gebraucht und waren zwei Uhr nachts endlich in Sotschi. Es war sehr schwierig von China auszureisen, obwohl wir einen Charterflug hatten und alle Nationen gemeinsam geflogen sind. Dennoch gab es Probleme mit dem Transport unseres Materials. So sind wir erst Stunden später losgekommen. Meine größte Freude war es, endlich abzufliegen, vor allem mit Tobi Arlt an Bord.

Jetzt geht es in den kommenden zwei Wochen in Sotschi um Punkte. Mit welchen Erwartungen?

Loch: Die Bahn liegt uns eigentlich, aber ich denke, die Russen werden stark auftrumpfen. Sie haben auf der Bahn viel trainiert und werden große Konkurrenten sein.

Sie kommen erst am 6. Dezember nach Deutschland zurück und waren dann mehr als vier Wochen unterwegs. Viele Ihrer Athlet:innen haben Kinder zu Hause. Wie verkraften das die Sportler?

Loch: Mir ist bewusst, dass das eine zusätzliche psychologische Belastung ist. Ich habe das im Blick und jeder geht anders damit um. Ich denke aber, alle sind Profis genug, um diese Situation zu meistern.

Mit welcher Zielstellung gehen Sie in die Saison?

Loch: Wir wollen im gesamten Weltcup eine gute Performance hinlegen, aber Olympia steht über allem. Wir wissen, dass es vom Umfeld her schwieriger wird als in allen anderen Ländern der Welt, trotzdem hoffe ich, dass wir erfolgreich sein werden, und das heißt, Medaillen zu gewinnen.

Einige Athleten sind schon lange im Geschäft und sehr erfahren. Könnten am Saisonende die Rücktrittsglocken läuten? Olympia ist ja für viele oft ein Anlass, die Karriere zu beenden.

Loch: Na ja, wir haben 2023 die Heim-WM in Oberhof. Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass das für Dajana Eitberger und Johannes Ludwig ein besonderes Highlight werden könnte.

Das Interview führte Sanny Stephan