Tennis | WTA-Tour Entlassung von Beltz: Emma Raducanu folgt fragwürdigem Trend

Stand: 27.04.2022 14:57 Uhr

Tennistrainer sitzen auf der WTA-Tour oft in einem Schleudersitz - auch Torben Beltz bei Shooting-Star Emma Raducanu. Ein prominenter Vertreter der Szene hält diesen Trend für bedenklich.

Emma Raducanu ist das spannendste Talent im internationalen Frauen-Tennis. Mit ihrem sensationellen US-Open-Titel als 18 Jahre junge Qualifikantin eroberte die Britin im September 2021 die Herzen im Sturm. Ihr kometenhafter Aufstieg, ihr aggressives Spiel und ein Hauch Glamour führen in der Kombination zu höchsten Erwartungen an eine ruhmreiche Karriere.

Doch spannend war auch die Frage, wie sie mit ihrer neuen Rolle klarkommen würde. Nur zwölf Tage nach ihrem Titel überraschte Raducanu mit der Entscheidung, sich von Trainer Andrew Richardson zu trennen. Einige Wochen später verpflichtete sie Torben Beltz aus Deutschland, der zuvor in drei Episoden zwölf Jahre lang Angelique Kerber betreut hatte.

Beltz führte Kerber zu zwei Grand-Slam-Titeln

Als Grund nannte Raducanu gegenüber britischen Medien ihre neue Situation auf der WTA-Tour. "Ich habe das Gefühl, dass ich in diesem Stadium meiner Karriere, in dem ich gerade gegen die besten Spielerinnen der Welt spiele, wirklich jemanden brauche, der WTA-Tour-Erfahrung auf hohem Niveau hat."

Beltz hat diese Erfahrung zu Genüge. Er führte Kerber 2016 zu zwei Grand-Slam-Titeln, coachte zudem zweieinhalb Jahre lang recht erfolgreich die Kroatin Donna Vekic.

Schwierige Personalentscheidungen in frühen Jahren

Doch die Trennung von Richardson, mit dem sie schon als Elfjährige zusammengearbeitet hatte, sei hart gewesen, sagte Raducanu. "Es ist schwierig, solch ein Gespräch zu führen, mit jedem."

Es gehört zu den großen Herausforderungen des Tennisgeschäfts, schon als junge Erwachsene solch schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Sie verpflichten und entlassen Trainer, die teilweise viele Jahre älter sind. Zwar ist bei Raducanu unklar, wie stark Eltern und Management Einfluss genommen haben. Aber die sportlichen Konsequenzen trägt am Ende die Spielerin.

Skepsis bei Wilander und Shriver

Kritik an der Entscheidung ließ nicht lange auf sich warten. Mats Wilander argumentierte, zu starker Einfluss von außen könne der Entwicklung junger Spielerinnen schaden. "Raducanu muss Spaß haben, sie muss neben und auf dem Tennisplatz machen dürfen, was sie will", sagte der siebenmalige Grand-Slam-Sieger zu "Eurosport". "Sie sollte nur auf sich selbst hören. Wir müssen diese Kinder aufwachsen lassen, bevor wir versuchen, sie zu formen."

Die Amerikanerin Pam Shriver, ehemalige Nummer drei der Welt, prophezeite Raducanu ein schwieriges Jahr 2022. "Es war ein so plötzlicher, unnatürlicher Schritt von der Qualifikation zum Gewinn eines Majors - noch nie zuvor gemacht - gefolgt von all diesen neuen Geschäftspartnerschaften, Anerkennung und Trainerwechsel. Ich habe das Gefühl, dass sich alles andere um sie herum verändert hat, und als Teenager macht man bereits viele Veränderungen durch."

Viele Werbeverträge, wenig Erfolg

Beide können sich durchaus bestätigt fühlen in ihren Befürchtungen. Raducanu hat seit ihrem US-Open-Triumph zwar viele lukrative Werbeverträge unterschrieben und Fotoshootings absolviert, aber nur 7 von 17 Spielen gewonnen. Nie kam sie über die dritte Runde hinaus.

Und die Zusammenarbeit mit Beltz ist schon wieder vorbei. "Er hat ein großes Herz und ich habe die gute Chemie zwischen uns genossen", fügte Raducanu der Entlassungs-Verkündung am Dienstag (26.04.2022) hinzu. Sie wolle aber auf ein neues Trainingsmodell umsteigen, weil sie das Gefühl habe, dies sei ihrer Entwicklung am meisten dienlich.

Mouratoglu kritisiert schnelle Trainerwechsel

Schnelle Trainerwechsel sind auf der WTA-Tour der Frauen üblich - und für Star-Trainer Patrick Mouratoglu einer der Gründe dafür, dass an der Weltspitze kaum Kontinuität herrscht. "Um ein hohes Level zu erreichen und dort konstant zu sein, brauchst du Beständigkeit, jeden Tag", sagte Mouratoglu im Oktober 2020. Der Franzose trainiert Serena Williams seit 2012 und führte sie zu zehn Grand-Slam-Titeln. Seit knapp drei Wochen trainiert er zudem die Rumänin Simona Halep, 2017 Erste der Weltrangliste, aktuell dort auf Platz 20.

"Du musst an deinen Trainer und den Prozess glauben", sagt Mouratoglu. "Du musst akzeptieren, wenn es langsam geht, aber du fühlst, dass es in die richtige Richtung geht. Jedes Mal, wenn du einen neuen Trainer hast, kommt er mit neuen Ideen, du beginnst von Neuem."

Ricardo Piatti Favorit auf Trainerposten

Es bleibt unklar, inwiefern Beltz überhaupt eine Chance hatte, Raducanu so kurzfristig zu Erfolgen zu führen. Schließlich geht die mittlerweile 19-Jährige zum ersten Mal überhaupt in ein volles Jahr auf der WTA-Tour, wurde außerdem durch eine Coronainfektion ausgebremst. In der Vorsaison hatte sie sich zunächst auf ihren Schulabschluss konzentriert, bevor sie mit ihrem völlig überraschenden Achtelfinal-Einzug in Wimbledon die britischen Fans verzückte.

Übrigens wechselte sie schon damals nach ihrem Coup den Trainer, trennte sich von Nigel Sears, dem Ex-Coach von Ana Ivanovic. Jetzt gilt Ricardo Piatti als Favorit auf den Trainerposten, der 63 Jahre alte Italiener hatte zuletzt mit Jannik Sinner zusammengearbeitet. Vielleicht entscheidet sich Raducanu auch für ein flexibles Modell mit mehreren Trainern für die unterschiedlichen Beläge. Sicher ist nur: Raducanus Karriere steht weiterhin unter besonderer Beobachtung.