Schwimmen | USA Transgender im Sport: Wann ist eine Frau eine Frau?

Stand: 25.03.2022 11:53 Uhr

Als Lia Thomas im College-Finale der NCAA als Erste über 500 Yards anschlug, stellte sie die Schwimmwelt auf den Kopf. Thomas ist die erste Transgender-Athletin in irgendeinem Sport, die ein College-Finale gewinnen konnte. Seitdem überschlagen sich die Diskussionen.

Wann ist ein Frau eine Frau? Weiblich, männlich, divers? Die inzwischen alltäglichen Kategorien existieren so im Sport nicht. Daher spalten diese kniffligen Fragen den Sport in den USA und die Schwimmwelt im Besonderen.

Im Zentrum der hitzigen Diskussion steht Lia Thomas von der renommierten University of Pennsylvania. Nach ihrer Hormonbehandlung vor drei Jahren ist Thomas in dieser Saison erstmals im College-Schwimmen als Frau startberechtigt.

Kritik aus Politikkreisen

Prominente Politiker wie der konservative republikanische Gouverneur Di Santis fordern die Aberkennung ihres Titels. Zahlreiche Blogs zum Thema in sozialen Medien explodieren regelrecht vor emotionalen Beiträgen. Die LGBTQ-Gemeinde im Sport versucht Thomas zu stützen, und die Verbände taumeln unter dem Druck der Diskussionen.

Lia Thomas ist seit früher Kindheit im Schwimmsport aktiv, startete bis 2019 in männlichen Leistungsklassen mit mittelmäßigem Erfolg. Vor vier Jahren entschloss sie sich zur Hormontherapie. Sie fühlte sich gefangen in ihrem Körper und extrem unwohl mit ihrem Körper, erzählt Thomas in einem ihrer seltenen Interviews.

Muskelmasse und Geschwindigkeit verloren

Die Therapie dauerte zwölf Monate. In dieser Zeit mit reduzierten Testosteronwerten verlor Thomas Muskelmasse und Geschwindigkeit. Im Corona-Jahr, in der alle College-Wettkämpfe gestoppt wurden, pausierte sie an ihrer Universität, um noch ein weiteres Jahr im College-Verband NCAA startberechtigt zu sein.

In der laufenden Saison 2021/22 startet Thomas in der Frauenklasse. Mit zunehmenden Erfolgen wuchsen auch Aufmerksamkeit und Kritik an Thomas' Auftritten weit über den Schwimmsport hinaus.

Großes Thema in den Medien

So polemisierten konservative Medien wie "Fox-News" wochenlang gegen den Start von Thomas, die "New York Times" und "Sports Illustrated" widmeten dem Thema große Artikel. Im Finale der NCAA verwies Thomas drei erfolgreiche Olympiastarterinnen auf die Plätze zwei bis vier. Das Foto der Siegerehrung ging als Beleg für die Ausgrenzung von Thomas durch die anderen Schwimmerinnen um die Welt.

Die Drittplazierte des Finales, Erica Sullivan, unterstützt Lia Thomas im Sturm der Entrüstung und wendet sich gegen die einseitige Interpretation des Fotos bei der Siegerehrung. In Tokio gewann Sullivan über 1.500 m Freistil Silber hinter der überragenden Katie Ledecky und vor der besten deutschen Schwimmerin Sarah Köhler.

Sullivan lebt offen lesbisch und ist aktiv in der LGBTQ-Szene im Sport. Der Schnappschuss auf dem Siegerpodest sei keinesfalls ein Zeichen der Ausgrenzung und Symbol der Diskriminierung von Lia Thomas. Vielmehr hätten sich die drei Olympiateilnehmerinnen zu einem Foto unter Freundinnen zusammen gestellt. Der Start von Thomas sei ein Meilenstein für die Gleichberechtigung von LGBTQ-Athletinnen im Sport, unterstreicht Sullivan.

Erfolgreiche Sport-Stars wie Michael Phelps oder Tennisikone Martina Navratilova fordern dagegen Startverbote für Transgender-Sportlerinnen. Die mehrfache Gand-Slam-Siegerin und langjährige Nummer eins im Tennis kämpft seit Jahrzehnten für Chancengleichheit und Anerkennung von Mädchen und Frauen im Sport. Den Vorwurf, ihre Argumente beförderten die transphobe Stimmung gegen Lia Thomas, weist sie entschieden zurück.

Forderung: Eigene Bahn und eigene Wertung

Sie zeige keinesfalls mit dem Finger auf Lia Thomas sondern mache den College-Verband verantwortlich für Regeln, die ihrer Meinung nach die Chancengleichheit von "biologischen Frauen" verletzten. Transgender-Athletinnen sollten ihre eigene Bahn und ihre eigene Wertung bekommen.

Schon vor 45 Jahren beteiligte sich Navratilova an der Diskussion über Transgender-Athletinnen, als Renee Richards 1977 ihren Start in der Frauenkonkurrenz der US-Open erstritt. Richards war die erste Transgender-Frau im Profisport und wurde vor ihrem Spiel im Einzel beschimpft, beleidigt und ausgebuht.

Sie verlor zwar in der ersten Runde, erreichte aber das Doppelfinale. Dort unterlag sie mit ihrer Partnerin Betty Stuart gegen Navratilova/Stoeve.

Transgender: Körperliche Vorteile im Wettbewerb

Nach ihrer kurzen Karriere im Profitennis wurde Richards Trainerin und betreute Martina Navratilova bei mehreren Erfolgen in Wimbledon. In der Rückschau wuchs bei beiden die Überzeugung, dass Transgender zwar maximale rechtliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung erhalten sollten, aber wegen ihrer körperlichen Vorteile nicht gegen Frauen im Sport starten dürften.

Für die Geschlechterforscherin Bettina Bredereck vom Sportwissenschaftlichen Institut der Uni Frankfurt fördert das traditionell auf Männer als starkem Geschlecht organisierte Sportsystem die Klischees über Sportlerinnen und behindert eine Öffnung. "Weiblichkeit wird traditionell nicht damit verbunden, dass Frauen stark sind und Muskeln haben. Sportlerinnen haben oft das Problem, mit ihrer Weiblicheit konfrontiert zu werden, weil sie nicht mehr dem gesellschaftlichen Ideal von Frauen entsprechen."

In Deutschland Transgender-Diskussion noch nicht geführt

In Deutschland wird die Diskussion über Transgender im Sport noch nicht öffentlich geführt, aber genau das hält Bredereck für dringend erforderlich. "Da sind nicht nur die Verbände gefragt. Denn wenn wir sagen, es gibt nicht nur zwei Geschlechter sondern eine Öffnung zu weiblich-männlich-divers, dann betrifft das alle gesellschaftlichen Bereiche auch das wichtige Feld des Sports. Aber der Sport funktioniert hier sehr traditionell, indem er mit dem Frauen-Männer-System arbeitet. Es ist die Frage, ob der Sport das perspektivisch aufrechterhalten kann."

Der deutsche Schwimmverband DSV führt tatsächlich seine Bestenlisten mit den drei Kategorien weiblich, männlich, divers. Unter divers gibt es bisher keinen einzigen Eintrag.

Der US-Verband Swimming USA verschärfte erst im Februar, ähnlich wie in der Leichtathletik, die Regeln für Testosteronwerte. Danach sind Transgender-Schwimmerinnen gezwungen, über 36 Monate hinweg Medikamente zur Reduzierung ihres Testosteronwertes einzunehmen. Kritiker sehen dies als unmittelbaren Angriff auf Lia Thomas und als Einknicken vor heftiger Kritik.

Ob Lia Thomas nach ihrer College-Karriere weiterhin professionell schwimmen kann, ist noch nicht geklärt. Ihr großes Ziel aber hat sie klar formuliert: Ein Start bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris - als Schwimmerin unter Frauen.