Der Deutschen Schwimm-Verband (DSV) untersucht die eingehenden Hinweise auf Missbrauchsvorwürfe.

Präsidenten-Posten unbesetzt Deutscher Schwimm-Verband immer tiefer in der Krise

Stand: 19.11.2022 20:46 Uhr

Kein Präsident, kein Haushaltsplan, keine Bundestrainer - der DSV blickt schwierigen Zeiten entgegen. Doch die neue Doppelspitze gibt sich kämpferisch.

Am Ende der denkwürdigen Mitgliederversammlung machte Kai Morgenroth gute Miene zum bösen Spiel. "Das ist auch eine Chance für Veränderung und neue Entscheidungswege", sagte der Hamburger, ein Teil der neuen Doppelspitze des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Während des aufreibenden Sitzungswochenendes in Kassel war in der Führungsetage des 500.000 Mitglieder starken Verbandes kaum ein Stein auf dem anderen geblieben – die Zukunft des DSV scheint ungewisser denn je.

Morgenroth, Schatzmeister des Hamburger Schwimmverbandes, wird den DSV in den kommenden vier Jahren gemeinsam mit dem alten und neuen Vizepräsidenten Wolfgang Rupieper anführen. Das Duo ersetzt an der Spitze den bisherigen Präsidenten Marco Troll, der in Kassel entnervt das Handtuch warf. "Kein Geld, kein Vertrauen – unter diesen Voraussetzungen sehe ich keine Möglichkeit, dem DSV vorzustehen", sagte Troll.

Rupieper und Morgenroth gewählt – aber für wie lange?

Nach dem Rückzug des glücklosen Troll, der nur zwei Jahre im Amt war, trugen wohl auch zwei lange Sitzungsunterbrechungen und hitzige Diskussionen in Hinterzimmern dazu bei, dass der DSV zumindest offiziell handlungsfähig blieb. Rupieper und Morgenroth, der künftig vor allem die großen Finanzprobleme des Verbandes in den Griff bekommen soll, stehen dem DSV nun laut Satzung die kommenden vier Jahre vor – möglicherweise aber auch nur für zwölf Monate.

Denn der DSV verfolgt weiterhin das Ziel, durch eine Satzungsänderung einen hauptamtlichen Vorstand einzuführen. Die Entwicklung der Satzung verlief allerdings langsamer als geplant, soll jedoch in etwa einem Jahr abgeschlossen sein. "Wichtig war, dass alle Landesverbände erklärt haben, dass sie uns unterstützen", sagte Rupieper im Gespräch mit sportschau.de. Morgenroth zeigte sich optimistisch: "Die Richtung ist die richtige." Bereits zwischen 2018 und 2020 war der Verband kommissarisch durch eine Doppelspitze (Wolfgang Hein und Uwe Brinkmann) geführt worden.

Mehrere Wortbeiträge aus den Landesverbänden hatten dem vorherigen Vorstand fehlende Transparenz und mangelnde Kommunikation vorgeworfen, speziell in Bezug auf die Finanzzahlen. Der Haushaltsplan des Verbandes für 2023 wurde bei der Mitgliederversammlung nicht verabschiedet. Bis Ende Januar haben Rupieper und Morgenroth nun Zeit, einen Haushalt für das kommende Jahr zu erstellen.

Aufarbeitungskommission zu sexualisierter Gewalt noch in 2022

Die vergangenen Monate waren für den Deutschen Schwimm-Verband nach der Ausstrahlung der ARD-Dokumentation "Missbraucht: Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" in erster Linie von Krisenmanagement geprägt. In dem Film hatte der frühere Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel erstmals Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen seinen 2001 gestorbenen langjährigen Trainer Werner Langer öffentlich gemacht. Dieser soll Hempel zwischen 1982 und 1996 sexuell missbraucht und vergewaltigt haben.

"Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport"

Hempel warf in der Dokumentation dem langjährigen Bundestrainer Wasserspringen Lutz Buschkow vor, vom Missbrauch gewusst, aber darüber geschwiegen zu haben. Der DSV suspendierte Buschkow daraufhin, im Oktober kündigte der Verband ihm fristlos. Buschkow hatte den Vorwurf, über die Missbrauchsgeschichte Bescheid gewusst zu haben, in einem Interview mit der "FAZ" dementiert. Die Dokumentation hatte auch weitere Fälle sexuellen Missbrauchs thematisiert.

Der DSV hatte daraufhin angekündigt, eine externe Aufarbeitungskommission zu sexualisierter Gewalt einzurichten. "Wir sind in der finalen Phase. Die Kommission soll noch in diesem Jahr ins Leben gerufen werden", sagte Rupieper in Kassel. Wer in dieser Kommission sitzen wird, ist vier Monate nach der Ausstrahlung des ARD-Films noch immer nicht bekannt.

Mitglieder gegen Beitragserhöhung

Auch bei den Themen Leistungssport, Personal und Haushaltsführung wurden Konfliktlinien innerhalb des Verbandes mal wieder deutlich sichtbar. Eineinhalb Jahre vor den Olympischen Spielen in Paris fehlt dem DSV noch immer ein Cheftrainer Schwimmen. Auch in den Sparten Wasserspringen, Wasserball und Synchronschwimmen sind Bundestrainerposten unbesetzt. Viele Verhandlungen mit potenziellen Kandidaten scheiterten an den Gehaltsforderungen.

Missbraucht: Ein Fall bringt vieles ins Rollen

Sportschau, 24.08.2022 14:02 Uhr

Der frühere DSV-Vizepräsident Harald Walter sagte: "Für einen Hungerlohn kommt niemand nach Deutschland. So ist Leistungssport nicht zu finanzieren." Walter, Präsident des Bayerischen Schwimmverbandes, forderte mehr Geld von der Bundesregierung.

Nicht von ungefähr war ein zentrales Thema der Mitgliederversammlung eine mögliche Beitragserhöhung. Der Vorschlag des Vorstands um Troll sah vor, den Jahresbeitrag pro Mitglied um 98 Cent anzuheben. Dass der DSV-Vorstand mit diesem Antrag nicht durchkommen würde, hatte sich bereits abgezeichnet, als der mit fast 180.000 Mitgliedern stärkste Landesschwimmverband Nordrhein-Westfalen Zweifel angemeldet hatte. "Es passt nicht in die Zeit, Beiträge in den Vereinen zu erhöhen", sagte Geschäftsführer Frank Rabe. Auch weitere Anträge zum Beitragsthema wurden nicht verabschiedet.

Satzungsänderung: Im DSV-Vorstand fortan keine Doppelfunktionen mehr

Einen Vorschlag auf Satzungsänderung nahm die Versammlung aber doch an: Mitglieder des Vorstands dürfen nunmehr keine weitere Tätigkeit im DSV oder "innerhalb des Geschäftsbereiches eines Mitglieds" ausüben. Entsprechende Ämter sind daher nach maximal drei Monaten aufzugeben. Dies soll dazu dienen, Interessenkonflikte zu vermeiden. Die Regelung betrifft nun auch Rupieper, Präsident des Brandenburger Verbandes, und den Hamburger Morgenroth.