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Sexueller Missbrauch Fall Lurz im DSV - zähe Aufarbeitung

Stand: 19.06.2022 09:20 Uhr

Während sich der Deutsche Schwimmverband (DSV) auf die Weltmeisterschaften in Budapest konzentriert, geht ein anderes Thema vollkommen unter: die Aufarbeitung des Falls Lurz.

Der DSV schwimmt. Auf konkrete Fragen zur Aufarbeitung des Falls Lurz gibt es - wenn überhaupt - unkonkrete Antworten. Vier Monate nach dem rechtskräftigen Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und knapp anderthalb Jahre nach den entsprechenden Vorwürfen gegen den damaligen Bundestrainer Freiwasserschwimmen, gibt es kaum Informationen über Konsequenzen.

DSV strebt dauerhaften Lizenzentzug an

In dieser Woche die Ausnahme: Der Verband teilt mit, "dass das Verfahren zur dauerhaften Lizenzentziehung von Stefan Lurz (…) durch den Präsidenten Marco Troll förmlich eingeleitet worden ist".

Im Februar hatte das Amtsgericht Würzburg gegen Stefan Lurz eine Haftstrafe von sechs Monaten verhängt, für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt - wegen sexueller Handlungen an einer minderjährigen Schwimmerin. Zu den Bewährungsauflagen gehört laut Amtsgericht Würzburg unter anderem, "jegliche berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Schwimmsport zu unterlassen".

Nachdem die Strafe rechtskräftig war, hat der DSV die Ermittlungsakten eingesehen. Als Folge versucht der Verband nun, die nach eigenen Angaben zunächst "ruhend" gestellte Lizenz des ehemaligen Bundestrainers dauerhaft zu entziehen. Immerhin eine der wenigen Informationen über Konsequenzen, sportrechtlich kein einfaches Unterfangen.

Öffentlichkeit erfährt nichts

Vor mehr als einem Jahr hatte der Deutsche Schwimmverband eine "lückenlose Aufklärung" und "interne Aufarbeitung" des Falls Lurz angekündigt. Auf Nachfrage zu den konkreten Maßnahmen schreibt der DSV unter anderem von einem Aufarbeitungsbericht, der seit einigen Monaten vorliege.

Was drin steht, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Auf mehrmalige Bitte um eine anonymisierte Fassung teilt der DSV schließlich mit, eine Herausgabe des internen Berichts sei nicht vorgesehen. Dabei wäre das so wichtig - auch für andere Verbände. Um daraus zu lernen, die eigenen Strukturen zu überprüfen und so vielleicht Übergriffe auf Athletinnen und Athleten in Zukunft zu verhindern.

Beratungsstelle "Anlauf gegen Gewalt"

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Weitere Informationen: anlauf-gegen-gewalt.org

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch

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Auch Bundesinnenministerium hüllt sich in Schweigen

Offenbar ist der Aufarbeitungsbericht nur einem sehr, sehr kleinen Kreis bekannt. Unter anderem dem für den Sport zuständigen Bundesinnenministerium (BMI). "Aufgrund der Vertraulichkeit des Berichts" gibt es aber auch vom BMI, das den Deutschen Schwimmverband mit Bundesmitteln fördert, keine weiteren Informationen zum Inhalt der Aufarbeitung eines rechtskräftig festgestellten Missbrauchsfalls. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigt lediglich Gespräche mit den Verantwortlichen des DSV, "um das weitere Vorgehen des Verbands zu besprechen".

Sexueller Missbrauch im Sport - Das große Tabu

Andrea Schültke, Sportschau, 13.07.2019 19:05 Uhr

Ergebnisse dieser Gespräche werden öffentlich genauso wenig bekannt, wie die des DSV-"Aufarbeitungsteams" am Bundesstützpunkt Würzburg (wie alle Bundesstützpunkte mit öffentlichen Geldern gefördert) mit dem bayerischen Landesverband (dessen Präsident in Personalunion DSV-Vizepräsident ist) und einem Vertreter des Vereins Würzburg 05. Der ist Eigentümer der Anlage des Bundesstützpunktes.

Es gibt keine Informationen, etwa auf die Frage, ob Strukturen am Stützpunkt Würzburg möglicherweise Übergriffe begünstigen. Der DSV beruft sich dabei auf "Persönlichkeitsrechte der Betroffenen". Genauso der Verein SV Würzburg 05.

Verein verweist auf Frauenbeauftragte

Vereinspräsident Thomas Lurz, Bruder des verurteilten Stefan Lurz, schickte sportschau.de auf einen Fragenkatalog statt Antworten eine Stellungnahme. Unter anderem geht der Präsident und mehrfache Weltmeister im Freiwasserschwimmen unter Trainer Stefan Lurz generell auf das "Näheverhältnis zwischen Trainer/in und Athlet/in" ein.

Der Verein habe seit 2014 eine Frauenbeauftragte, die auch für Athletinnen und Athleten "jederzeit erreichbar" sei. Sie sei daher "bestens geeignet, um etwaige Hemmschwellen abzubauen und als Vertrauensperson zu wirken". Man orientiere sich am "Konzept zur Prävention sexualisierter Gewalt des DSV".

Alle Fragen, etwa zu den Strukturen und zum Verhältnis des Vereins zu Stefan Lurz würden "aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen" nicht beantwortet. Auf knapp 20 Fragen gibt es lediglich eine konkrete Antwort: Würzburg wird bis zu den Olympischen Spielen in Paris 2024 Bundesstützpunkt sein.

Wo ist der Bundestrainer Freiwasser tätig?

Und damit eigentlich der Arbeitsort von Constantin Depmeyer, seit dem 1. Mai neuer Bundestrainer Freiwasser und Nachfolger von Stefan Lurz. Ob der neue Bundestrainer am Bundesstützpunkt Freiwasser in Würzburg tätig ist? Weder der DSV noch der neue Bundestrainer selbst haben sportschau.de diese Frage beantwortet.

Das wirft weitere Fragen auf: Ist der Bundesstützpunkt also als Trainingsstätte nicht geeignet? Haben dortige Strukturen möglicherweise sexuelle Übergriffe auf Athletinnen begünstigt?

Wo Kommunikation fehlt, kommen Spekulationen auf: Schon direkt nach seinem Rücktritt im Februar 2021 gab es unbestätigte Gerüchte, Stefan Lurz halte sich auf der Anlage des Bundesstützpunktes auf und sei als Trainer tätig. Ob sich Stefan Lurz nach rechtskräftigem Strafbefehl an die Bewährungsauflagen hält, überwacht ein vom Gericht bestellter Bewährungshelfer. Auf unsere Anfrage erklärte das zuständige Amtsgericht Würzburg Anfang Mai, es liege ein "unauffälliger Bewährungsverlauf" vor.

Monate nach dem fertiggestellten Abschlussbericht und Wochen nach der Akteneinsicht will der DSV nach eigenen Angaben nach der gerade in Budapest stattfindenden WM "erneut mit unserem internen Aufarbeitungsteam zusammenkommen und über weitere potenzielle Konsequenzen beraten". Angaben über personelle Konsequenzen würden jedoch "nicht öffentlich getätigt". Weitere Aussagen würden "bis zum Abschluss der verbandsinternen Aufarbeitung nicht getroffen".