Vincent Keymer blick auf seinen Schach-Gegner
interview

Schach-Profi Vincent Keymer "Es gibt Züge, die Menschen niemals machen würden"

Stand: 27.09.2022 09:35 Uhr

Die Fehde zwischen Schachweltmeister Magnus Carlsen und US-Teenager Hans Niemann hat den Julius Bär Generation Cup weltweit in die Nachrichten gebracht und Diskussionen über Cheating (zu Deutsch: Betrug) im Schach entfacht. Deutschlands Top-Spieler Vincent Keymer sorgte inmitten der Unruhe des Onlineturniers für sportliche Schlagzeilen. Erst im Halbfinale war Schluss für den 17-Jährigen - gegen den späteren Turniersieger Carlsen, den er in mehreren Partien arg in Bedrängnis brachte. Deutschlands bisher jüngster Großmeister (seit 2020) spricht im Sportschau-Interview über seine Duelle mit dem Weltmeister und über Sicherheitsvorkehrungen im Profi-Schach gegen Betrugsversuche.

Herr Keymer, beim Julius Bär Generation Cup sind Sie erst im Halbfinale gegen Magnus Carlsen ausgeschieden. Gegen den Weltmeister haben Sie sich gut geschlagen, ihn in einigen Partien sogar arg in Bedrängnis bringen können. Für Ihre Leistung haben Sie viel Lob bekommen, auch von Carlsen persönlich. Mit welchem Fazit blicken Sie auf Ihr Turnier zurück?

Vincent Keymer: Es ist ein Erfolg für mich gewesen, unter die Top acht zu kommen in einem sehr sehr starken Feld von 16 Ausnahmespielern und dann im Viertelfinale einen anderen sehr starken jungen Spieler zu besiegen: Rameshbabu Praggnanandhaa. Das Match gegen Magnus Carlsen war natürlich eine wundervolle Erfahrung. Natürlich war mir klar, dass es sehr schwer werden würde. Es hat seinen Grund, warum er seit zehn Jahren die Nummer eins ist. Mit dem Ergebnis kann ich gut leben, aber man wünscht sich natürlich immer, dass man noch etwas besser spielt. Da habe ich aber noch ein bisschen Zeit.

"Match gegen Carlsen war eine wundervolle Erfahrung"

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Durch den Streit zwischen Carlsen und Niemann wird sehr laut über Betrugsprobleme im Schach gesprochen, sowohl Online aber auch am Brett. Wie groß sind diese Probleme überhaupt aus Ihrer Sicht?

Keymer: An sich denkt man, im Profibereich sollte das Problem nicht bis wenig existieren, aber man weiß es nie so genau. Das Entdecken von Cheating ist keine perfekte Wissenschaft. Klar hat man Algorithmen, die etwas herausfiltern können, aber selbst wenn ein Algorithmus sagt, dass an einer Stelle kein Cheating stattgefunden hat, kann es dennoch sein, dass dort gecheatet wurde. Es ist sehr schwer, das herauszufiltern, besonders wenn es um sehr gute Spieler geht. Wenn bei Amateuren plötzlich auf irre hohem Niveau gespielt wird, weiß man: Da stimmt etwas nicht. Wenn ein Top-Spieler eine besonders gute Partie spielt, weiß man das nicht genau. Sehr gute Spieler können nun auch mal sehr starke Partien spielen. Da ist es schwer, nur mit diesen Algorithmen zu arbeiten - und das macht es kompliziert.

Man könnte einen starken Spieler nach seiner Einschätzung fragen, ob ein Spieler in gewissen Situationen gecheatet hat oder nicht, weil man einfach weiß, dass es bestimmte Züge gibt, die Menschen eigentlich niemals machen würden. Dass das nicht reicht, um Personen zu überführen, ist klar. Man muss schon eine Art der Beweisführung vorlegen. Deshalb kann man einfach nur hoffen, dass starke Spieler einfach weiter Abstand davon nehmen und weiter dabei bleiben, fair zu spielen.

Haben Sie persönlich schon einmal Erfahrungen mit Betrugsversuchen gemacht bei Spielen gegen Sie?

Keymer: Das habe ich nicht so stark mitbekommen. Mich hat schockiert, dass bei Turnieren, wo es nur um den Spaß ging, man da teilweise das Gefühl hat, dass da betrogen wurde - nicht von starken Spielern. Das kann ich nicht verstehen, weil es einem eigentlich nichts bringt. Aber es ist auf jeden Fall ein Problem. Man kann theoretisch online eine Partie spielen und nebenher in einen zweiten Rechner, ein Handy oder sonstige Maschine die Partie eingeben - die Engine gewinnt gegen jeden Menschen auf der Welt. Beim Generation Cup gab es natürlich Maßnahmen: Es gab eine Frontkamera, eine Seitenkamera zum Anti-Cheating, die den Raum filmt, auch Ohren werden teilweise gescannt. Man hat schon Maßnahmen, um Cheating zu vermeiden, weil es um viel Geld und viel Prestige geht. Aber in normalen Onlineturnieren werden keine echten Probleme [Hürden, Anm.d.Red.] gestellt.

Vincent Keymer bei der Anti-Cheat-Kontrolle

Welche weiteren Maßnahmen gibt es bei Top-Turnieren im Netz? Wird da ausreichend Prävention betrieben?

Keymer: Ich würde sagen, wenn jemand sich sehr genau überlegt,  wie er cheaten möchte online, kann er das auf jeden Fall durchziehen. Auch wenn Kameras da sind: Man kann sie anders platzieren - man kann das nicht verhindern. Man kann nur so viele Probleme [Hürden] wie möglich stellen. Die zweite Kamera hatte in diesem Fall beim Generation Cup die Verpflichtung, dass sie einen Teil des Raums zeigt, den Spieler am Laptop und die Maus - eben auch um sicherzustellen, dass der Spieler auch spielt, der da sitzen soll und nicht jemand anderes. Bei den meisten Top-Turnieren gibt es diese Regularien, dass sich die Veranstalter vorbehalten, bei zufällig gewählten Personen Raum-, Ohren- oder sonstige Scans durchzuführen. Sie schreiben da auch immer rein: Das hat nichts mit Verdachtsmomenten zu tun. Ich denke, damit ist es schon mal ziemlich schwer zu cheaten. Natürlich kann man das noch irgendwie hinkriegen, aber es werden schon Hürden gestellt.

Ist das primär ein Problem im Online-Schach oder sind auch bei kleineren Brett-Turnieren die Hindernisse gar nicht so groß?

Keymer: Am Brett ist es schwieriger, aber ich kenne mich auch nicht zu sehr mit den Möglichkeiten aus, wie das da funktionieren kann. Bei der Schach-Olympiade war es so, dass es Metalldetektoren gab. Oft gibt es sogar Scanner, die Funkwellen erkennen. Es wird schon einiges getan, um Betrug zu verhindern. Das Problem ist recht groß, weil die Engines so viel stärker sind als die Menschen.

"Das Entdecken von Cheating ist keine perfekte Wissenschaft"

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Inwieweit sind Sie zufrieden mit Ihrer eigenen Entwicklung (ELO-Rating 2.700)? Sie sind 17 Jahre alt und gehören zu den Top 50 der Welt - wohin soll die Reise gehen?

Keymer: Gerne weiter nach oben. Im Schach kann man nie genau wissen, wie die Entwicklung weiterläuft. In den letzten anderthalb Jahren lief es für mich mehr oder weniger durchgehend sehr gut, bis auf krankheitsbedingte Rückschläge. Über meine Entwicklung kann ich mich überhaupt nicht beschweren. Ich werde weiter hart arbeiten und dann sehe ich, wofür es reicht.

Sie haben im März ihr Abitur gemacht und sind jetzt nicht mehr Schüler, sondern haben mehr Zeit, sich dem Leben als Schachprofi zu widmen. Merken Sie, dass sich das auszahlt?

Keymer: Auf jeden Fall! Einerseits hat man mehr Zeit für sich zum Arbeiten am Schach. Was aber auch ein großer Unterschied ist, dass ich mich nach Turnieren ausruhen kann, wenn ich zurückkehre. Sonst war es so, dass ich nach einem Turnier erst einmal damit beschäftigt war, Schulinhalte nachzuarbeiten. Jetzt kann ich viel mehr Turniere am Stück spielen.

Wie geht es weiter bei Ihnen in den kommenden Monaten? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Keymer: Jetzt ist erst einmal etwas weniger los bei mir. In den letzten drei, dreieinhalb Monaten habe ich viele Turniere gespielt mit nur kleinen Pausen, was sehr anstrengend war. Da ich beim letzten Turnier in die Top acht gekommen bin, habe ich mich für das nächste Event im Oktober auch qualifiziert. Das werde ich vermutlich auch spielen. Dann schaue ich mal. Ich plane, zum Ende des Jahres erstmals bei der Blitz- und Rapid-Weltmeisterschaft zu spielen. 

Vincent Keymer über den Schach-Boom während der Coronazeit

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