Streamer Levy "Gothamchess" Rozman

Schach-Streamer Gothamchess Eine Schach-WM im Schatten des Online-Booms

Stand: 27.04.2023 15:42 Uhr

Schach boomt seit der Netflix-Serie "Das Damengambit" und der Coronapandemie. Doch der Weltschachverband FIDE hat die jüngsten Trends verschlafen, erklärt der wohl bekannteste Schach-Streamer Levy Rozman, alias "Gothamchess" im Sportschau-Interview.

Die Schach-WM 2023 findet ab dem 7. April in Kasachstan statt – ohne den Super-Star und Weltranglistenersten Magnus Carlsen. Der fünffache Champion konnte sich nicht zu einer erneuten Titelverteidigung aufraffen. "Ich bin einfach nicht motiviert genug, um eine weitere WM zu bestreiten. Ich habe nicht viel zu gewinnen. Und obwohl ich mir sicher bin, dass ein Match aus historischen Gründen interessant wäre, habe ich keine Lust darauf und werde nicht antreten", erkläuterte der Norweger in einem Podcast eines Wettanbieters seine Beweggründe.

In Astana werden der Russe Ian Nepomniachtchi (tritt unter neutraler Flagge an) und der Chinese Ding Liren den WM-Titel unter sich ausmachen. "Nepo" verlor das WM-Finale 2021 gegen Magnus Carlsen nach einigen Patzern, Ding Liren könnte der erste chinesische Schachweltmeister werden. Doch das Fehlen Carlsens, dem "GOAT", dem "Größten aller Zeiten" wirft einen Schatten auf die Endrunde.

Boomender Online-Markt

Carlsen widmete sich inzwischen immer mehr dem Online-Schach – auch als Geschäftsmann. Die Apps und Web-Angebote der von ihm einst mitgegründeten "Play Magnus Group" (seit Dezember 2022 von Chess.com übernommen) den digitalen Schach-Markt. Schach im Netz boomt – nicht erst seit der Netflix-Serie "Das Damengambit". Viele Menschen begannen während der Corona-Pandemie Schach online zu spielen. Im Februar 2023 belegte erstmals eine Schach-App den ersten Platz bei den Spielen in Apples App-Store. Auch Carlens Betrugsvorwürfe gegen das US-Talent Hans Niemann sorgten zuletzt für Schlagzeilen und weitere Aufmerksamkeit.

Levy Rozman, alias "Gothamchess", zählt zu den bekanntesten Schach-Streamern im Netz. Der New Yorker spürt das gewachsene Interesse auf seinen Kanälen. Anfangs streamte er vor 80 Leuten auf Twitch, inzwischen folgen ihm über 3,5 Millionen Menschen auf YouTube - Tendenz steigend. Vor allem kurze Hochkant-Clips auf TikTok, Instagram und YouTube Shorts haben in den vergangenen Monaten seine Followerzahl beflügelt. Das Interesse an Schach ist so groß geworden, dass viele der Server der größten Plattformen zuletzt in die Knie gingen.  

Schach-Interesse stark gewachsen

"Ich denke, dass der Januar 2023 der größte Monat war, den Schach jemals hatte", erklärt Rozman im Sportschau-Interview. "Und das sage ich, obwohl ich nach "Damengambit" gedacht hatte, dass es nicht mehr zu übertreffen wäre. Wie kann man mit einer Netflix-Serie konkurrieren, die von hunderten Millionen Menschen, etwa 60 Millionen Haushalten gesehen wurde? Wie sich herausstellte, ging da noch mehr. Es nimmt zwar wieder ab, aber im Moment ist das Schach-Interesse immer noch etwa zehnmal höher als im Jahr 2021 oder 2022 in Sachen tägliche Aufrufe, Abonnenten und alles." Auch dank der viralen Hochkant-Videos "spielen jetzt viele Millionen mehr Menschen auf der ganzen Welt jetzt Schach." Er spricht vom "neuesten Schach-Boom".

Schach entwickelt sich immer mehr zum eSport – ist mit seiner Entwicklung aber noch nicht am Ende, sieht auch "Gothamchess": "Viele Videospiele sind bereits erfolgreich. Spiele wie 'Hearthstone' oder 'League of Legends' können einige der größten Arenen der Welt ausverkaufen, wie zum Beispiel den Madison Square Garden. Ich meine, man geht in den Madison Square Garden, um die New York Knicks, die New York Rangers und Boxen zu sehen. Man kann aber auch anscheinend dorthin gehen, um 'League of Legends' zu sehen. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem Schach eine 20.000-Personen-Arena ausverkaufen kann, was verrückt wäre. Es wäre total verrückt. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, um dorthin zu gelangen."

Weltverband hat Nachholbedarf

Während sich Schach in den vergangenen Jahren im Netz weiterentwickelt hat, stagniert das klassische Schach am Brett, wie man anhand der Organisation des WM-Turniers 2023 sieht, sagt Rozman. In den Wochen vor dem großen Turnier gäbe es kaum Informationen zum Event. Das Marketing habe Nachholbedarf. Das Preisgeld habe sich seit 30 Jahren nicht verändert. Der Welt-Schachverband FIDE hat die Trends verschlafen, findet der 27-Jährige.

"Ja, ich denke, dass das historisch gesehen daran liegt, dass die besten Schach-Player diesen Übergang zu den sozialen Medien und einer großen Fangemeinde nicht gemacht haben. Sie haben diesen Übergang zu dem, was in der eSport-Welt notwendig ist, nicht geschafft. Ich denke, dass der Top-Level-Profi-Schach und der Schachboom auf zwei verschiedenen Planeten stattfinden, wenn man sich die Weltmeisterschaft anschaut."