Kim Herkle bei den Finals

Schwimmen | Finals 2023 Nach langer Leidenszeit: Schwimmerin Kim Herkle ist wieder da

Stand: 09.07.2023 17:52 Uhr

Schwimmerin Kim Herkle ist neue Deutsche Meisterin über 200 Meter Brust und darf von einer Olympia-Teilnahme träumen. Hinter ihr liegt eine lange Leidenszeit.

Sie hielt ihre Hand vor den Mund und schaute sich etwas ungläubig um. Konnte das wirklich wahr sein? Soeben hatte Kim Herkle (SV Cannstatt) nach 2:27,27 Minuten am Beckenrand angeschlagen und den deutschen Meistertitel über 200 Meter Brust gewonnen. Erleichterung und Freude pur bei der 20-Jährigen.

Kim Herkle gewinnt Gold über 200 Meter Brust

Erinnerungen wurden wach an die Finals 2021 in Berlin. Damals hatte sie auf ihrer Paradestrecke ihr erstes Gold gewonnen, ihr fehlten nur fünf Zehntel zur deutsche Olympia-Norm. Doch dann folgte ein Jahr zum Vergessen. Geplagt von Krankheiten, Verletzungen und sogar einer kurzen Zeit im Rollstuhl, schien ihr Olympia-Traum geplatzt.

Neues Zuhause in den USA

Für die Finals 2023 in Berlin flog sie extra aus den USA nach Deutschland. Ihre Familie im schwäbischen Oeffingen sah sie nur kurz. Ohnehin sind die Begegnungen seltener geworden, seit sie 2021 ihr Studium in Psychologie und Neurowissenschaften an der Universität in Louisville/Kentucky begonnen hat. "Ich vermisse die USA sehr, ich wäre am liebsten gerade dort", sagt Herkle im Interview mit SWR Sport. Sie fühlt sich dort nicht nur wohl, sie nennt die USA auch ihr neues Zuhause.

Mit großen Ambitionen war Herkle nach ihrem Abitur in die USA gereist. Mit einem Sport-Stipendium wollte sie an der University of Louisville durchstarten. Doch dieser Wunsch erfüllt sich nicht. Kaum hat sie ihren Spind beim Cardinals-Schwimmteam bestückt, beginnt ein Jahr zum Vergessen.

Corona, Infektionen und Ermüdungsbrüche

"Eigentlich ging es schon mit der Knie-Operation nach den deutschen Meisterschaften los, bevor ich in die USA gegangen bin", erinnert Herkle. Da ist noch nicht abzusehen, dass dies erst der Startschuss sein soll für eine lange Phase voller gesundheitlicher Probleme. Im November 2021 erkrankt die mehrfache deutsche Jugendmeisterin an Corona. Es folgen im Frühjahr 2022 bakterielle Infektionen im Vier-Wochen-Rhythmus. Sogar ein Abszess im Hals muss entfernt werden.

Sie trainiert oft mit Schmerzen. Ihre Trainer drängen sie, Medikamente zu nehmen, wenn sie angeschlagen oder krank ist. "Ich wollte eigentlich nicht mehr schwimmen, aber sie schlugen mir vor, Antibiotika zu nehmen", sagt sie. "Es steht so viel Geld auf dem Spiel, und dann macht man auch Dinge, um die Uni gut dastehen zu lassen und um die eigene Leistung zu steigern." Es ist aber nicht nur der Leistungsdruck durch die Trainer, auch Herkle selbst will trainieren, um an der Spitze zu bleiben. Das Ganze endet für Herkle in der Notaufnahme.

Herkle sitzt zwei Monate im Rollstuhl

Als Kim Herkle denkt, sie habe alles überstanden, kommt es noch schlimmer. Die vielen Pausen sind zu lang, das Training zu hart. Sie hat am Muskelmasse verloren. Die Knochen können der Belastung nicht mehr standhalten. Die Folge: Ermüdungsbrüche in beiden Oberschenkeln, unmittelbar nach den deutschen Meisterschaften 2022. "Es war schwer, das wegzustecken", sagt sie.

Wie schwer es war, zeigte ihr der Alltag im Rollstuhl. Gut zwei Monate ist sie auf die Hilfe ihrer Uni-Freunde angewiesen, ohne sie kann sie keine längeren Strecken bewältigen. Doch am liebsten hätte sie niemanden gesehen: "Nichts hat mir mehr Spaß gemacht, ich wollte nichts machen. Ich habe mich in mein Zimmer verkrochen. Ich wollte nicht raus und mit meinem Rollstuhl rumfahren, sondern nur in meinem Bett bleiben", erzählt sie.

Sie schwimmt in dieser Zeit nur noch im Kanal. Darin lässt sich die Intensität regulieren. "Diese zwei Stunden im Wasser waren das einzige, was mir Freude gemacht hat, weil man vergisst, dass man aktuell nicht mobil ist", erzählt Herkle. Stück für Stück holt sie sich ihre Mobilität zurück: "Es war nicht einfach, aber es bringt nichts, die ganze Zeit traurig zu sein. Ich konnte nichts anderes machen, nur schauen, dass ich wieder aus dem Loch der Verletzungen herauskomme."

Abbrechen kommt für Kim Herkle nicht in Frage

Ursprünglich wollte Herkle vier College-Jahre in Louisville absolvieren. Sie hat jedoch beim Nationalen Universitäts-Sportverband der USA ein "Medical-Redshirt"-Jahr beantragt, also ein Jahr ohne Wettkämpfe. Dafür erhält sie die Chance, im fünften College-Jahr die verlorene Zeit aufzuholen. "Es war schwer für mich, dieses Jahr zu beantragen", aber abbrechen und abreisen kam für Kim Herkle nicht in Frage. "Ich habe in den USA meine besten Freunde und eine gute Zeit. Das wäre es nicht Wert gewesen, einfach so zwei College-Jahre wegzuwerfen", sagt die 20-Jährige.

Schon mit 16 Jahren ordnete die Stuttgarterin alles dem Schwimmen unter. Sie zog nach Heidelberg, um am dortigen Olympia-Stützpunkt zu trainieren. Zwei Jahre später dann der Umzug in die USA. "Sport wird in den USA einfach größer geschrieben. Man wird mehr wertgeschätzt, und das Training ist auch etwas härter."

Berlin als nächster Schritt zu alter Form

Nach ihrer langen Leidenszeit und nach ersten Wettkämpfen in Chicago, Florida und Indianapolis waren die Finals in Berlin eine wichtige Bestandsaufnahme für die Schwäbin. Mit ihrer Siegerzeit von 2:27,27 Minuten über 200 Meter Brust dürfte sie zufrieden sein. Ihr Traum von einer Olympiateilnahme 2024 in Paris lebt wieder.