Leonie Ebert bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio

Fechten | Hintergrund Leonie Ebert und der aufreibende Kampf um das Olympiaticket

Stand: 20.07.2023 21:11 Uhr

Florettfechterin Leonie Ebert träumt von der Teilnahme an Olympia 2024 in Paris. Auf dem Weg dorthin muss sie entgegen ihrer eigenen moralischen Ansichten auch gegen russische Athletinnen antreten.

Der Traum von der Olympia-Teilnahme 2024 in Paris ist ständig präsent. Nicht nur in ihrem Kopf, sondern auch in Kopfnähe. Die fünf olympischen Ringe baumeln an Leonie Eberts Halskette. "Ich gebe jeden Tag alles, um diesen Traum zu erreichen", sagt die Florett-Europameisterin von 2022 im Gespräch mit SWR Sport.

Dreizehn Jahre ihres Lebens hat die 23-jährige Würzburgerin bereits in diesen Traum investiert. Bei den Spielen 2021 in Tokio war sie erstmals dabei. Sie hatte sich als einzige deutsche Fechterin qualifiziert. Im Achtelfinale war dann Schluss. "Als ich in Tokio von der Bahn ging, hat dieser Traum von Paris schon begonnen."

Verstoß gegen eigene Werte

Doch der Traum entwickelte sich in den vergangenen Monaten eher zu einem Albtraum. Zumindest aber zu einem aufreibenden mentalen Kraftakt. Denn die aktuelle Weltranglisten-13. kämpft in diesen Tagen nicht nur gegen ihre Gegnerinnen, sondern muss sich auch intensiv mit ihren eigenen moralischen Werten auseinandersetzen.

Auslöser ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 hatte es Sperren gegen russische Sportlerinnen und Sportler gegeben. Doch Mitte März 2023 vollzog der Weltfechtverband FIE plötzlich eine Kehrtwende. Die Sperren wurden aufgehoben, bei Turnieren der FIE dürfen russische und belarussische Fechter als neutrale Athleten starten. Der europäische Verband EFC hingegen hat beide Mitgliedsverbände von Wettkämpfen ausgeschlossen. Ein heilloses Durcheinander.

Die Machtlosigkeit der Athleten

Die Athletin des FC Tauberbischofsheim bezog gemeinsam mit ihren Fechtkollegen klar Stellung: "Wir haben als deutsche Fechterinnen und Fechter einen offenen Brief geschrieben, dass wir nichts davon halten, dass die Russen an den Wettkämpfen teilnehmen und automatisch die Ukrainer rausdrängen. Aber wir hatten als Athleten keine Entscheidungskraft."

Eine frustrierende Situation für die reflektierte Sportlerin. Ebert ist nicht gut auf die Funktionäre zu sprechen, die diesen Entschluss getroffen haben. "Nicht die, die diese politische Entscheidung getroffen haben, stehen den Russinnen auf der Planche gegenüber, sondern ich stehe dort mit meinem moralischen Dilemma."

Ebert versucht, sich nun voll auf die Wettkämpfe und die erforderlichen Olympia-Qualifikationspunkte zu konzentrieren – notfalls auch gegen unerwünschte Gegnerinnen. "Fechten ist mein Job. Mein größter Traum ist, zu den Olympischen Spielen zu fahren. Deshalb werde ich auch in der Qualifikation oder bei Olympia gegen Russinnen antreten, wenn es zu diesen Gefechten kommt. So frustrierend das auch ist."

Frustrierend ist auch, dass durch die Zulassung der Athleten aus Russland und Belarus auch der Wettkampfkalender ständig durcheinandergewirbelt wird. So sollte die Europameisterschaft ursprünglich als Teil der Europaspiele Ende Juni im polnischen Krakau ausgetragen werden. Allerdings gilt in Polen aktuell ein Einreiseverbot für Athleten aus Russland und Belarus. Da diese aber an den Wettkämpfen teilnehmen dürfen, wurde auf Anweisung des Weltverbandes FEI ein Alternativtermin ausgewählt. Die Wettkämpfe wurden kurzfristig ins bulgarische Plowdiw verlegt. Ein beinahe einzigartiger Vorgang im olympischen Sport. Leonie Ebert, die Titelverteidigerin im Florett, schied im Achtelfinale aus.

Leonie Ebert: "Fechten ist Kopfarbeit"

Bei den nun anstehenden Weltmeisterschaften in Mailand (21.-30. Juli) will sie sämtliche politischen Diskussionen ausblenden und möglichst weit vorne landen. Die Olympia-Qualifikation, die sich noch bis April 2024 hinziehen wird, ist "eine nervenaufreibende und mit Druck verbundene Zeit."

Doch Ebert verfügt trotz ihres jungen Alters über eine enorme mentale Stärke. Sie weiß: "Fechten ist zu 70 Prozent Kopf- und zu 30 Prozent Körperarbeit. Das Eigentliche spielt sich im Kopf ab. Es geht darum, wer es am Ende mehr will und wer die besseren Antworten auf die Strategien des Gegners hat."

Ihr Vorteil: Leonie Ebert kommt aus einer reinen Sportfamilie. Schwester Amelie (28) war erfolgreiche Synchronschwimmerin, Bruder Constantin (27) spielte in Braunschweig Bundesliga-Basketball. Die Drei halten zusammen wie Pech und Schwefel. Die beiden älteren Geschwister unterstützen Leonie auch in dieser schwierigen Phase ihrer Karriere. "Sie haben mir immer den Rücken gestärkt", sagt die Jüngste dankbar. "Sie fangen mich auf, wenn es nicht gut läuft. Und sie feiern mit mir, wenn ich erfolgreich bin."

Vielleicht gibt es schon bald wieder Grund zu feiern für die Ebert-"Gang". Zum Beispiel bei der WM in Mailand.