Stürmerin Vivien Endemann vom VfL Wolfsburg

NDR-Sport VfL-Torjägerin Vivien Endemann: Mit Bodenhaftung auf Höhenflug

Stand: 03.04.2024 10:05 Uhr

Vivien Endemann ist die Senkrechtstarterin beim Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg. Im starken Kader des Pokalsiegers und Vizemeisters ist die Angreiferin binnen weniger Monate zu einem wichtigen Faktor geworden und darf nun sogar von einer Olympia-Teilnahme mit dem Nationalteam träumen. Dass sie über viel Talent verfügt, stellte die 22-Jährige dabei bereits früh unter Beweis.

Von Hanno Bode

Früh übt sich bekanntlich, wer ein Meister werden will. Im Falle von Vivien Endemann traf dieses Sprichwort sehr zum Leidwesen ihrer Erzieherinnen zu. Denn bereits zu ihrer Zeit in der Kindertagesstätte war die aus dem niedersächsischen Lohne stammende Stürmerin ziemlich häufig darauf aus, Bälle oder andere Gegenstände durch die Gegend zu schießen. "Die Kindergärtnerinnen haben uns gesagt, dass wir sie zum Fußball schicken sollen", erzählte Vater Werner Endemann dem NDR Sportclub. Er vermutet: "Wahrscheinlich, weil sie im Kindergarten alles kaputtgeschossen hat."

Die Eltern der heutigen Nationalspielerin befolgten den Ratschlag. Sie meldeten Vivien mit fünf Jahren beim Turnverein Dinklage an. Beim Club aus dem Oldenburger Münsterland begann die Karriere einer Frau mit vielen Gesichtern und einer im heutigen Profifußball wohltuenden Selbstreflektion und Bescheidenheit.

"Ich mag mich gar nicht hervorheben oder ins Rampenlicht stellen. Um so viele Tore zu machen und so gut abzuschneiden, gehört vieles dazu - ein gutes Trainerteam und überragende Mitspielerinnen, die es mir einfach enorm leicht machen", betonte Endemann.

Endemann setzt sich im VfL-Starensemble durch

Zwölf Treffer in wettbewerbsübergreifend 22 Pflichtspielen für die "Wölfinnen" schlagen für Endemann bis dato zu Buche. Eine starke Quote in ihrer ersten Saison bei einem Bundesliga-Spitzenteam. Zwar hatte die Stürmerin bereits im Trikot der SGS Essen ihren Torriecher unter Beweis gestellt. Doch als sie im vergangenen Sommer den Schritt aus dem Ruhrpott in die Autostadt wagte, wurde ihr von vielen Experten nicht zugetraut, sofort eine gewichtige Rolle bei den VfL-Frauen spielen zu können.

Auch in der eigenen Familie gab es Zweifel. "Natürlich habe ich es ihr gewünscht. Aber man sieht natürlich das Team und wer da rumläuft. Und da hat man schon gedacht: 'Jetzt läuft da Vivien irgendwie mit - das ist schon komisch'", sagte Schwester Nane dem NDR. Sie sei nicht davon ausgegangen, dass der Durchbruch in Wolfsburg so schnell gelingt, gibt sie offen zu.

Stürmerin war auch ein großes Tennis-Talent

Dabei hätte sie doch eigentlich wissen müssen, dass sich ihre Schwester auch bei den "Wölfinnen" im Kreise der vielen nationalen und internationalen Top-Spielerinnen durchsetzen würde. Denn bis dato klappt alles, was die Neu-Nationalspielerin - sie gab ihr Debüt im DFB-Team im vergangenen Februar - in ihrem Leben angefasst hat. So wäre aus Vivien Endemann vielleicht auch eine tolle Tennisspielern geworden. Im Umgang mit den gelben Filzkugeln zeigte sie jedenfalls genauso viel Talent wie mit dem Fußball.

Mit 13 gab sie den "weißen Sport" allerdings auf, um sich neben ihrer schulischen Laufbahn auf den Fußball zu konzentrieren. Der Mannschaftssport, so sagt sie, habe ihr mehr am Herzen gelegen: "Ich habe es geliebt, mit den Mädels auf dem Platz zu stehen, mit Freundinnen zu kicken, Erfolge zu feiern - und das alles gemeinsam zu erleben."

Statt Geburtstagsgeschenk: Ein Training bei Werder Bremen

Fußball und Tennis waren aber nicht ihre einzigen Hobbys. Die heutige "Wölfin" widmete sich in ihrer Kindheit auch dem Federvieh - und das ebenfalls sehr erfolgreich. So gewann sie mit neun Jahren bei der Rassegeflügelshow Oldenburg-Süd den Leistungspreis in der Kategorie federfüßige Zwerghühner. "Mein Opa hatte Hühner. Und dadurch auch meine Schwester und ich. Und dann haben wir an ein paar Jugendshows teilgenommen und Preise abgesahnt", erzählte die Stürmerin lachend.

Tennisspielerin, Fußballspielerin und Hühnerzüchterin - Endemanns Tage waren ereignisreich, ihre Kindheit war ein buntes Abenteuer. Aber ihre ganz große Leidenschaft war immer der Fußball. "Sie hat sich zu ihrem zwölften Geburtstag keine Geschenke, sondern einen Besuch beim Training von Werder Bremen gewünscht. Sie wollte dort unbedingt mittrainieren", berichtete Vater Werner Endemann.

Durchbruch in Delmenhorst, Bundesliga-Debüt für Meppen

Der Sprung zu ihrem Lieblingsclub gelang Vivien dann auch. Bei Werder wurde die Stürmerin jahrelang ausgebildet ("Es waren die ersten Schritte in den professionellen Fußball"), bevor sie 2018 zum Regionalligisten TV Jahn Delmenhorst wechselte. Dort schaffte Endemann im Erwachsenenbereich den Durchbruch. Der SV Meppen verpflichtete die Stürmerin. Bei den Emsländerinnen sammelte sie erste Bundesliga-Erfahrung und baute nebenbei noch ihr Abitur. Zwei Jahre später folgte der Wechsel nach Essen. Ein großer Schritt für eine junge Frau, zumal sie nun erstmals fernab der norddeutschen Heimat lebte.

Vivien Endemann im Trikot des SV Meppen (Foto aus dem Jahr 2021)

Vivien Endemann sammelte im Trikot des SV Meppen erste Bundesliga-Erfahrung.

Bei der SGS, dem einzigen verbliebenen reinen Frauenfußball-Club in der Bundesliga, wurde Endemann optimal gefördert. Viel Geld konnte der Verein ihr nicht bezahlen. Das Gehalt reichte zwar zum Leben, aber nicht, um etwas für die Altersvorsorge anzusparen.

Endemann schafft sich mit Studium zweites Standbein

Doch Endemann setzt ohnehin nicht nur auf die Karte Profifußball. Unmittelbar nach dem Abitur begann sie mit einem Fernstudium in den Fächern Fitnessökonomie und Fitnesswissenschaft. "Mir ist es enorm wichtig, dass ich neben dem Fußball auch noch was in der Hand habe und mich in Bereichen weiterbilden kann, die mich interessieren. Und es macht mir auch Spaß", erklärte sie.

Apropos Spaß: Der sei für sie auch elementar bei der Ausübung ihres Berufs, unterstrich die fokussierte 22-Jährige. "Für mich persönlich ist es wichtig, den Spaß an erste Stelle zu stellen. Klar, Arbeit gehört auch dazu. Mir macht es aber Spaß, an mir zu arbeiten, mit der Mannschaft Siege zu feiern und dabei den Spaß beizubehalten und nichts als selbstverständlich zu sehen." Auch wenn sie nun ein paar mehr Euro als vormals fürs Fußballspielen bekommt und mehr im Rampenlicht steht, habe sich für sie grundsätzlich nichts geändert: "Es ist immer noch derselbe Rasen und es sind immer noch die gleichen zwei Tore wie früher."

Hrubesch: "Sie ist mutig, geht vorwärts, macht und tut"

Neben ihren fußballerischen Anlagen und ihrem Ehrgeiz ist es wohl diese Bodenständigkeit, die Endemann den Erfolgsweg geebnet hat. "Sie hat eine Überzeugung in dem, was sie tut. Sie ist mutig, geht vorwärts, macht und tut", lobte Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch die VfL-Stürmerin.

Nach ihrem fünfminütigen Nationalmannschafts-Debüt Ende Februar im Nations-League-Spiel bei den Niederlanden (2:0) hofft die 22-Jährige, nun auch in den EM-Qualifikationspartien am 5. April (20.30 Uhr, live im Ersten) in Österreich und am 9. April (18.10 Uhr, live im ZDF) gegen Island zum Einsatz zu kommen.

Immerhin, dass Hrubesch sie für die wichtigen Begegnungen erneut nominiert hat, spricht für seine Wertschätzung, auch wenn der Ex-Stürmer sagt: "Was besser werden muss, ist ihr Passspiel."

Endemann träumt von Olympia-Teilnahme

Endemann wird sich seine Worte bestimmt zu Herzen nehmen und fleißig an ihren Schwächen arbeiten. Denn die Fußballerin aus dem beschaulichen Lohne hat einen großen Traum: die Olympischen Spiele im Sommer in Paris. "Das ist ein unfassbar großes Event, weil da viele Sportarten aufeinandertreffen", schwärmte sie.

Dass sie hart kämpfen muss, um einen Platz im nur 18-köpfigen Kader zu ergattern, ist der 22-Jährigen bewusst. "Das Allerwichtigste ist, erst einmal verletzungsfrei zu bleiben. Es wird natürlich geschaut, wie performt man beim Verein, auch die nächsten Abstellungen sind entscheidend", sagte die Stürmerin. Mit Blick auf ihren Lebensweg kann es aber eigentlich kaum Zweifel daran geben, dass Endemann auch dieses Ziel erreichen wird.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 31.03.2024 | 22:50 Uhr