Leichtathletik-WM in Budapest, Marahon der Frauen: Die Läuferinnen passieren den Heldenplatz.

DLV | WM-Nachklapp "Brauchen Systemumbruch" – Diskussion um Zukunft der deutschen Leichtathletik geht weiter

Stand: 29.08.2023 13:02 Uhr

Nach der Ernüchterung kommen die Vorschläge zur Systemänderung. In die Diskussion um den Weg der deutschen Leichtathletik zurück in die Weltspitze gibt es weitere Ideen – und auch Positivbeispiele, die Hoffnung schüren.

Es gibt sie doch, die Leichtathleten, die in Deutschland trainieren und bei der WM Medaillen holen können. Sportler und Sportlerinnen wie Maryna Bech-Romantschuk. Die Ukrainerin holte bei den Titelkämpfen in Budapest WM-Silber im Dreisprung – und trainiert in Magdeburg.

"Gute Infrastruktur in Magdeburg"

"Das hat gezeigt, dass wir es draufhaben, dass wir eine gute Infrastruktur haben", sagte Paul Hünecke, Abteilungsleiter Leichtathletik beim SC Magdeburg. "Darum beneiden uns einige. Vom Sportgymnasium über das Internat, den Olympiastützpunkt, mit der trainingswissenschaftlichen Betreuung über die Diagnostik", erklärte der frühere Sprinter und Weitspringer am Montag (28.08.2023) im MDR-Ländermagazin Sachsen-Anhalt Heute. Hünecke lobt die Bedingungen im eigenen Haus, muss aber auch eingestehen: "Mit den deutschen Medaillen klappt es nicht."

LVSA-Präsident Broska: "Das große Ganze neu machen"

Das will nicht nur Hünecke ändern, sondern auch Andreas Broska, Präsident des Leichtathletik-Verbandes Sachsen-Anhalt. Klar ist beiden Sportfunktionären: "Das ist keine Frage von Wochen oder Monaten", wie es Broska im Gespräch mit Sport im Osten formuliert. Hünecke ergänzte: "Wir dürfen jetzt nicht klein, klein an Stellschrauben drehen. Wir müssen das große Ganze neu machen."

Medaillen-Pleite der deutschen Leichtathleten in Budapest

U20-Nachwuchs hat bei EM abgeräumt

Im Fokus haben beide vor allem die Jugend: "Wir müssen es schaffen, den Nachwuchs mehr zu fördern und stressresistenter zu machen", fordert Broska. Ein Positivbeispiel sei die U20-Europameisterschaft von Anfang August in Jerusalem, wo die Deutschen mit deutlichem Abstand die meisten Medaillen gewannen. Der DLV-Nachwuchs habe bewiesen, dass er Top-Leistung bringen kann. Die Spitzenplatzierungen in den Erwachsenenbereich zu übertragen, daran scheitere es aber. Und das liege auch daran, dass sie nicht den "Kopf freihaben von Szenarien, wie komme ich über die Runden, wie bezahle ich meine Wohnung", so Broska.

LVSA-Präsident Broska: "Nachwuchs stressresistenter machen"

Broska: "So kommen wir nicht in die Spur"

"Viele Athletinnen und Athleten beenden ihre Schulzeit und schaffen es dann einfach nicht, einen Arbeitgeber wie die Bundespolizei, die Bundeswehr oder den Zoll zu finden", sagt der LVSA-Chef. Broska nimmt die Wirtschft in Verantwortung, als Sponsoren für Sportler "in die Verantwortung zu treten". Außerdem fordert Broska, die im Bundeshaushalt vorgesehenen Budgetkürzungen zurückzunehmen. "Hier solle es Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe geben. So kommen wir nicht wieder zurück und die Spur."

LVSA-Präsident Broska: "Leichtathleten brauchen finanzielle Unterstützung"

5.000 vs. 600 Euro Entlohnung

Hünecke nennt ein Beispiel aus den Niederlanden, wo Sportlerinnen und Sportler über ein zentrales System gefördert und auch bezahlt werden. "Da spricht man von 4.000 bis 5.000 Euro Nettolohn gegenüber 600 Euro in Deutschland." In den Niederlanden finden die Athleten Bedingungen vor, "mit denen man Profileistungssport machen kann". Das kleine Land an der Nordsee sammelte in Budapest fünf Medaillen.

Hünecke: Auf die Dörfer gehen – und bezahlen

Hünecke fordert einen "radikalen Systemumbruch" und sieht dabei vor allem die Entdeckung der Talente als wichtige Grundlage: "Das Gesamtsystem muss neu aufgestellt werden. Das geht nur, wenn kleine Dörfer mit guten Trainern ausgestattet werden. Die Diamanten müssen entdeckt und dann in den Stutzpunkten weiter betreut werden."

Aktuell entscheiden sich noch viele Trainer, ins Ausland zu gehen oder in den Schuldienst zu wechseln, weil sie in den USA, den Niederlanden oder als Lehrer deutlich mehr Geld verdienen. Mit der Forderung nach tiefgreifenden Änderungen sind Broske und Hünecke nicht allein. Auch Jürgen Kessing und Jörg Bügner, Präsident und Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes sind sich bewusst, dass "große, komplexe Prozesse" angestoßen werden müssen, wie Kessing es nach der WM sagte.

Hünecke: "Wir können das als Chance nehmen"

Auch Hünecke weiß: "Das kostet Geld und Energie." Sein ernüchterndes Fazit: "Uns fehlt klar die Strategie." Ganz schwarz sieht der 40-jährige Magdeburger für die Zukunft aber nicht: "Wir können das jetzt als Chance nehmen und sollten nach vorn schauen." Und, dass man auch von Magdeburg aus Medaillen holen kann, hat ja nicht zuletzt Maryna Bech-Romantschuk bewiesen.

Dirk Hofmeister