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DLV | WM-Nachklapp "Bis 2028 in die Top 5" – Wie kommt die deutsche Leichtathletik aus der Krise?

Stand: 28.08.2023 13:33 Uhr

Die WM in Budapest war aus deutscher Sicht die schwächste der Geschichte. Wie kommt das einstige Leichtathletik-Schwergewicht Deutschland aus der Krise? Eins ist schon jetzt klar: Die Rückkehr zur Weltspitze wird Jahre dauern.

Frustration und Ratlosigkeit allerorten – die deutsche Leichtathletik hat bei der gerade zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft in Budapest den Höhepunkt ihrer Krise erreicht. "Mit dem Ist-Zustand können wir nicht zufrieden sein", kommentiert Jörg Bügner, Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, das medaillenlose Abschneiden der deutschen Athletinnen und Athleten bei den Titelkämpfen in Ungarn. "Dass wir in vielen Disziplinen den Anschluss an die Weltspitze verloren haben, ist festzustellen", so Bügner.

Deutsche Leichtathletik nach der WM in der Kritik

Kessing: "Abstand hat sich vergrößert"

Auch DLV-Präsident Jürgen Kessing konstatierte nach der historisch schlechtesten WM der deutschen Leichtathletik: "Der Abstand zur Weltspitze hat sich vergrößert", erklärte der 66-Jährige bei MDR Aktuell. Zwei deutsche Rekorde und sechs persönliche Bestleistungen für DLV-Athleten, aber keine einzige Medaillen, das ist die enttäuschende Bilanz. Bei der – bereits damals enttäuschenden – WM vor einem Jahr im US-amerikanischen Eugene holten sie immerhin noch zwei Medaillen. Diesmal schnitten sogar die britischen Jungferninseln oder Botswana besser ab als die frühere Leichtathletik-Nation Deutschland.

Schumann: "Viel weniger Endkampfplatzierungen"

Die Krise, so der 800-Meter-Olympiasieger vomn Sydney Nils Schumann, zeige sich aber nicht nur an den fehlenden Medaillen: "Wir hatten auch viel weniger Endkampfplatzierungen. Viele Disziplinen waren gar nicht besetzt", blickt der heute 45-Jährige im "Sport im Osten"-Interview unter anderem auf das Kugelstoßen, wo einst David Storl Weltmeister wurde und Olympia-Silber holte. "Es ist viel Sand im Getriebe", analysiert der heutige Nachwuchs- und Personal-Trainer Schumann. "Man merkt, die Athletendecke ist sehr dünn."

Olympiasieger Schumann zur Leichtathletik-WM: "Viel Sand im Getriebe"

Viele Gründe für die Krise

Die Gründe für die Krise der Leichtathletik? Die sind vielschichtig. "Für die jungen Nachwuchsathleten fehlt eine klare Zielstellung, wie der Weg zur Weltspitze aussehen kann." Zudem gibt es nicht genügend wirtschaftliche Anreize: "Wir haben noch eine Handvoll Profis in der deutschen Leichtathletik. Der Rest sind Amateursportler", sagt Schumann, der als Gegenbeispiel das privatwirtschaftlich geführte College-System in den USA.

"Da fehlt es wirtschaftlich an keiner Stelle, da arbeiten gut bezahlte Trainer in Top-Sportanlagen mit super Trainingsgruppen zusammen", so der Thüringer Schumann. Daher würden auch mehr und mehr deutsche Sportler in die USA wechseln. Zehnkämpfer Leo Neugebauer, Läuferin Konstanze Klosterhalfen oder auch Schwimmerin Anna Elendt fänden in Übersee einfach bessere Bedingungen vor.

Ex-Leichtathlet Schumann: "Athleten sehen ihre Zukunft eher in den USA"

"Kein Geld, keine Medaillen, keine Zukunft"

"Finanziell kann Europas größte Volkswirtschaft niemand mehr erschrecken", moniert auch ARD-Reporter Jens Jörg Rieck in einem Kommentar zum schwachen deutschen WM-Abschneiden: "Allein der Sportetat von Leo Neugebauers Uni in Austin entspricht in etwa dem, des gesamten deutschen Sports." Riecks trauriges Fazit: "Kein Geld, keine Medaillen, keine Zukunft."

"Sport ist natürlich auch immer ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung", nennt Schumann mangelnde Sport-Begeisterung als weiteren Grund für mangelnden Nachwuchs in seiner Sportart. Und DLV-Präsident Kessing hat beobachtet: "Wir haben aber viel zu wenig Schulsport, wo wir an die Kinder herankommen können."

DLV-Präsident: "Große, komplexe Prozesse"

Nach der Enttäuschung der WM von Eugene 2022 hatte der Verband bereits einige Reformen angestoßen. "Wir brauchen hochtalentierte Athletinnen und Athleten, die auf dem Zenit ihres Könnens sind. Wir brauchen hochqualifizierte Trainer mit reichhaltiger Erfahrung. Und wir brauchen optimale Rahmenbedingungen", sagt DLV-Sportdirektor Bügner. "Wir bauen unsere Strukturen gerade neu auf. Aber das sind große, komplexe Prozesse", erklärt Kessing.

Eine Zielstellung formulieren Kessing und Bügner aber bereits. In fünf Jahren soll die Leichtathletik zurück in die Top 5. "Wir waren nicht erfolgreich. Das wird sich möglicherweise nächstes Jahr in Paris noch fortsetzen", sagt Kessing bei MDR Aktuell mit Blick auf Olympia 2024. "Aber wir haben uns als Ziel gesetzt, bis 2028 in Los Angeles wieder in den Top 5 Leichtathletik-Nationen zu sein."

Olympia mit Schumann Junior?

Dann vielleicht auch wieder mit einem Schumann: Rik Andor Schumann strebt als Läufer den Erfolgen seines Vaters nach. Im Jahr 2028 wird er 20 Jahre alt. "Ich würde mir wünschen, wenn mehr Nachwuchsathleten wie mein Sohn eine Zukunft in der Leichtathletik sehen und wir dann in Los Angeles 2028 oder Brisbane 2032 wieder mehr Erfolge sehen", so Papa Schumann.

Dirk Hofmeister