Thomas Dreßen auf der Streif

Ski Alpin "Mythos" Kitzbühel und Hahnenkamm - Stürze, Partys, Prominenz

Stand: 19.01.2024 09:59 Uhr

Wer nach den großen Geschichten des Skisports sucht, der findet sie beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel. Überraschungssieger, Grätschen, Stürze, Partys und Promis. Doch was macht den "Mythos Kitzbühel" genau aus?

Von Mona Marko

Kitzbühel verspricht Dramatik, die Hahnenkammrennen schreiben Heldengeschichten und Tragödien: Für Geburtstagskind Scott Macartney zum Beispiel sangen die über 60.000 Zuschauer "Happy Birthday", ehe er beim Zielsprung schwer stürzte und die Menge zum Schweigen brachte. Dave Ryding feierte als erster Brite einen Weltcup. Felix Neureuther gewann 31 Jahre nach seinem Vater den Slalom am Ganslernhang. Christian Ghedina begeisterte die Zuschauer mit einer Grätsche über den Zielsprung – andere stürzten an derselben Stelle schwer und erholten sich nie wieder von dem Crash. Manege frei für Kitzbühel, wo der Hahn kräht und sich die Gams und Hansi Hinterseer Gute Nacht sagen.

Thomas Dreßen ist am Sonntag ab 21.45 Uhr zu Gast in Blickpunkt Sport im BR Fernsehen und im Stream.

Die Streif: Achterbahnfahrt auf Skiern

Die Spektakulärste, die Gefährlichste, die Schwierigste. Wenn Experten die Streif beschreiben, dann sind Superlative oft nicht weit.

Schon das Starthaus des Hahnenkammrennens ist sagenumwoben. Skirennläufer sollen sich hier vor dem Rennen übergeben haben, sollen in eine Schockstarre verfallen sein beim Anblick des Starthangs, sollen kreidebleich wieder mit der Gondel runtergefahren sein. Wer kann es ihnen verübeln?

Schon der Blick aus dem Startgate lässt Böses erahnen. 180 steile Meter und schon biegt die Streif in die Mausefalle ab. 85 Prozent Neigung. Wobei diese Zahlen hier nebensächlich sind, immerhin springen - oder vielmehr fliegen - die Rennfahrer über den Großteil der Mausefalle. Viel Zeit oder Auslauf bleibt für die Landung nicht, denn die Achterbahnfahrt geht augenblicklich weiter. Mit dem "Karussell" wartet eine Schlüsselstelle auf die Fahrer, bis zu 3,1 g Fliehkräfte müssen die Athleten in der Kurve aushalten. So viel, dass der US-Amerikaner Bode Miller 2008 mit beiden Skiern auf der Bande fuhr.

Triumphe und Tragödien

Erst nachdem die Skirennläufer durch den Schleudergang gejagt wurden, kommt das erste Gleitstück: der Brückenschuss und das Gschöss. Tiefe Hocke, Ski flachstellen und sammeln, bevor nach wenigen Sekunden wieder Harakiri angesagt ist: Alte Schneise, Seidlalmsprung, Lärchenschuss, Hausbergkante.

Wenn die Skirennläufer dann in die Querfahrt abbiegen, dann rasen sie mit bis zu 150 km/h auf Zehntausende von Zuschauern zu. Wer sich von dem Anblick der Menschenmasse ablenken lässt, wer sich zu früh darüber freut, die Streif bezwungen zu haben, wer sich hier nicht mehr konzentriert, der fällt dem tückischen Zielsprung zum Opfer: Todd Brooker, Andreas Schifferer, Scott Macartney, Urs Kryenbühl, Daniel Albrecht – allesamt Athleten, die beim Zielsprung gestürzt und sich schwer verletzt haben. Einige davon schafften es nie wieder zurück in den Weltcup und trugen bleibende Schäden davon.

Die Sieger: Dreßen, zweimal Ferstl, Killy, Klammer

Doch die Skifahrer, die ins Ziel kommen, die werden wie Helden gefeiert. Von bis zu 60.000 Menschen, die jubeln, grölen, feiern, Fahnen schwingen, ausrasten. Es gibt kein größeres Skifest. Und wer es nicht nur schafft, heil im Ziel anzukommen, sondern auch noch schneller zu sein als alle anderen, der steigt in den Abfahrer-Olymp auf. Der bekommt am Abend vor Tausenden Menschen die Gams-Trophäe überreicht, der bekommt seine eigene rote Gondel bei der Hahnenkammbahn, der darf sich für den Rest seines Lebens Streif-Sieger nennen.

Einer davon ist Thomas Dreßen. Der Speed-Fahrer aus Mittenwald sorgte 2018 für eine Sensation, für einen Eintrag in die deutschen Sportgeschichtsbücher. Der damals 24-Jährige gewann die Abfahrt bei seinem erst zweiten Hahnenkammrennen. Sein erster Weltcup-Sieg, der erste Erfolg eines Deutschen bei der Kitzbühel-Abfahrt seit Josef "Sepp" Ferstl auf den Tag genau 39 Jahre zuvor. "Es war ein Kindheitstraum, einmal in Kitzbühel ins Ziel zu fahren und zu führen. Es ist nichts zu vergleichen mit Kitzbühel", sagte Dreßen nach dem Rennen.

Im Video: Dreßens Lauf in die Geschichtsbücher

Ski alpin: Weltcup

Paukenschlag in Kitzbühel: Dreßen fährt zum letzten Mal

Sechs Jahre nach seinem Triumph endet Dreßens Karriere dort, wo er seinen größten Erfolg feiern konnte. Der 30-Jährige wird nach dem Hahnenkamm-Rennen am Samstag seine Karriere beenden. Das gab Dreßen am Donnerstag (18.01.2024) in Kitzbühel bekannt.

Im Video: Thomas Dreßen gibt Rücktritt bekannt

Thomas Dreßen beendet seine Karriere

Der Slalom: Der Ganslernhang bittet zum Tanz

Das Hahnenkammrennen wird oft ausschließlich mit der Streif in Verbindung gebracht. Dabei findet am Weltcup-Wochenende auch eines der Saison-Highlights für die Techniker statt: der Slalom am Ganslernhang. Steil, eisig, kupiert. Die Piste fordert selbst die weltbesten Skifahrer.

Linus Straßer, der für die Skiabteilung des TSV 1860 München startet, aber in seiner Jugend in Kitzbühel trainiert hat, verbindet eine Hassliebe mit seinem Haushang, mit dem Skigebiet, in dem er skifahren lernte. "Schweinsberg" nannte er den Ganslerhang. Wenn der Ganslernhang einen zum Tanz auffordere, sagte Straßer ein anderes Mal, dann muss man sich auch einfach mal führen lassen und Kontrolle abgeben.

Der Tanz am Ganslerhang verspricht Dramatik. Um nur einige der Höhepunkte zu nennen: 1974 gewinnt der Local Hero Hansi Hinterseer überraschend. 2010 ging hier Felix Neureuthers Stern auf. Hier gewann er seinen ersten Weltcupsieg – 31 Jahre nach seinem Vater Christian. Nach dem Rennen sagte Neureuther: "Dass ich das ausgerechnet in Kitzbühel schaffe, ist unfassbar. Das macht so stolz, das kann man sich nicht vorstellen." 2018 schrieb Dave "The Rocket“ Ryding am Ganslernhang britische Skigeschichte und fuhr zum ersten Weltcupsieg für Großbritannien.

Im Video: So schön klang Dreßens Sieglauf auf Österreichisch

Armin Assinger und Oliver Polzer

Die Geschichte des Kitzbüheler Hahnenkammrennens

Doch wie kam es dazu, dass das Hahnenkammrennen zu dem wurde, was es heute ist? Dass es den Legendenstatus genießt. Wer die Geschichte des Hahnenkammrennens erzählen möchte, der muss die Geschichte Kitzbühels erzählen. Skipionier Franz Reisch brachte den Skisport in die Gamsstadt, schon in den 1890er-Jahren fanden erste Rennen statt. Später gründeten Einheimische einen Wintersportverein.

1931 dann das erste Hahnenkammrennen. Mit über zwei Meter langen Skiern, mit Strohballen statt B-Netzen. Den Steilhang fuhren die Rennläufer nicht in der Hocke ab, sondern wedelten ihn mit kurzen Schwüngen hinunter. Elegant, aber nicht schnell: Die Bestzeiten lagen damals bei knapp vier Minuten. Große Namen des Skisports konnten in den darauffolgenden Jahren die Streif gewinnen, allen voran die hier heimischen Skilegenden Toni Sailer und Anderl Molterer, der französische Ausnahmeskifahrer Jean-Claude Killy und Franz Klammer. Der Deutsche Sepp Ferstl gewann beim bisher einzigen Ex-Aequo-Sieg zeitgleich mit dem Österreicher Josef Walcher.

Doppelstreich für Deutschland: "Die Rache für Córdoba"

Aus deutscher Sicht gilt es vor allem ein Jahr hervorzuheben: 1979. Im Sommer zuvor hatte die österreichische Fußball-Nationalmannschaft die deutsche Elf in Córdoba mit einem 3:2 aus der Weltmeisterschaft gekickt. Ein halbes Jahr später gewinnt Sepp Ferstl die Streif und Christian Neureuther den Slalom von Kitzbühel. Medien bezeichneten den deutschen Doppelstreich als "Rache für Córdoba".

Mit jedem Jahr wurde die Zeit schneller, das Material moderner, die Ski kürzer. Der Skirennsport professionalisierte sich. Harti Weirather knackte als Erster die Zwei-Minuten-Marke. Die heutige Rekordzeit hält Fritz "The Cat" Strobl: Seit 1997 konnte kein Skirennläufer seine 1:51,58 unterbieten.

Im Video: Als Christian Neureuther am Ganslernhang triumphierte

Christian Neureuther bei seinem Kitzbühel-Sieg 1979

Das Rundherum: Partys, VIPs & Siegesfeiern

Abseits der Piste und neben den Hundertstel-Entscheidungen ist mindestens ebenso viel los. Der Besucherrekord liegt in Kitzbühel bei 99.000 Menschen. Mittlerweile hat sich die Zahl bei rund 80.000 bis 85.000 eingependelt. Unter ihnen findet sich oft auch der ein oder andere Promi.

Arnold Schwarzenegger etwa, der sich seit Jahren kein Hahnenkammrennen entgehen lässt und im Gegensatz zu so manch anderen Stars und Sternchen auch wirklich bis zum Ende des Rennens auf der VIP-Tribüne sitzt. Andere Promis hingegen sind wohl primär für das Chichi in Kitzbühel. Für die Weißwurstparty im Stanglwirt, für die Schnitzelparty in Rosis Sonnbergstube, für die Hahnenkamm-Hummerparty. Und im BeyondKitz Club steht dieses Jahr der überraschend zurückgetretene Norweger Lucas Braathen hinter dem DJ-Pult.

Arnold Schwarzenegger und Lindsey Vonn beim Hahnenkammrennen

Arnold Schwarzenegger und Lindsey Vonn beim Hahnenkammrennen

Londoner: Wo die Streif-Sieger Party machen

Die echte Party - ganz ohne Champagner und Hummer -, die findet jedoch im "Stadl", also im Ortskern selbst, statt. Während des dreitägigen Weltcup-Wochenendes befindet sich die Gamsstadt im Ausnahmezustand. Der in den Zwischensaisonen beschauliche, fast schnuckelige 9.000-Seelen-Ort mutiert zur Partymeile, zum Schauplatz von Eskalation, Alkohol im Überfluss und deutschen Schlagersongs.

Und wo feiern die Skirennläufer? Die Streifsieger – so ist es zumindest Tradition – lassen sich im "Londoner" hochleben. Die US-Amerikaner Daron Rahlves und Bode Miller sollen hier besonders wild gefeiert haben. "If the downhill doesn’t kill you, the Londoner will", so heißt es. Wenn dich die Abfahrt nicht umbringt, dann wird es das "Londoner" tun.

Dieser Artikel ist erstmals am 18. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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Quelle: Blickpunkt Sport 18.01.2024 - 17:15 Uhr