Jai Hindley während der 15. Etappe der Tour de France
Tourreporter

Wer wird Dritter bei der Tour de France? Der Kampf um den Platz hinter den beiden "Aliens"

Stand: 17.07.2023 18:02 Uhr

Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar machen den Kampf um das Gelbe Trikot bei der Tour de France unter sich aus. Während die beiden an der Spitze einsam ihre Kreise ziehen, kämpft der Rest um Rang drei im Gesamtklassement. Drei Fahrer sind noch im Rennen.

Von Michael Ostermann, Saint-Gervais

Die Tour de France geht in die dritte Woche und längst ist die Frankreich-Rundfahrt wie erwartet zu zwei Rennen geworden, die nur zufällig auf dem gleichen Terrain stattzufinden scheinen. "Es gibt das Rennen zwischen den beiden Aliens und ein Rennen zwischen dem Rest des Pelotons", sagt Marc Madiot, der Teamchef der französischen Equipe Groupama-FDJ.

Jai Hindley leidet physisch und psychisch

Die beiden "Außerirdischen" sind natürlich Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar, die sich einen exklusiven Kampf um das Gelbe Trikot liefern. Zehn Sekunden beträgt der Abstand zwischen dem Dänen im Maillot Jaune und dem Slowenen auf Rang zwei nach 2.606.9 zurückgelegten Rennkilometern. Dahinter klafft eine große Lücke im Gesamtklassement. Auf Rang drei liegt derzeit der Spanier Carlos Rodriguez mit einem Rückstand von 5:21 Minuten.

Im Kampf um den verbleibenden Podiumsplatz hinter Vingegaard und Pogacar in Paris sind am vergangenen Wochenende schon diverse Träume geplatzt. Auch Jai Hindley, der bis zur 13. Etappe hinauf auf den Grand Colombier die Wertung "Best of the Rest" angeführt hatte, dürfte nach zwei schmerzhaften Tagen in den Alpen kaum noch Chancen haben.

Der Australier vom deutschen World-Tour-Team Bora-hansgrohe war auf der 14. Etappe bei einem Massensturz auf regennasser Straße heftig zu Fall gekommen und war an diesem Tag schon eine Sekunde hinter Rodriguez zurückgefallen. Am Sonntag auf dem Weg nach Saint-Gervais Mont-Blanc büßte Hindley dann eine Minute und 17 Sekunden auf den jungen Spanier ein.

Hindley wirkte danach nicht nur physisch, sondern auch mental schwer angeschlagen. Als er nach der Etappe vom Rad stieg, konnte er kaum laufen und schien den Tränen nahe zu sein. Vor allem die Verletzungen am Rücken und ein großes Hämatom am Gesäß machen ihm schwer zu schaffen. "Es war heute super schmerzhaft, ich hatte große Schwierigkeiten, Kraft in meinen Beinen zu haben", erklärte Hindley: "Ganz ehrlich, es ist wirklich schwierig für mich."

Zeitfahren für Hindley entscheidend

Für das Team Bora-hansgrohe und Hindley, der nach der ersten Bergetappe der Tour in den Pyrenäem für einen Tag das Gelbe Trikot getragen hatte, wird sich nach dem zweiten Ruhetag auf der 16. Etappe am Dienstag (18.07.2023) entscheiden, wie es in Sachen Gesamtwertung weitergeht, und ob das erklärte Ziel - Podiumsplatz in Paris weiter eine Option bleibt. "Wenn er im Zeitfahren weiter Zeit verliert, ist es vorbei. Wenn er wieder bei Kräften ist und auf Tuchfühlung bleibt, kann man noch was probieren", sagt der Teammanager Ralph Denk.

Sportschau Tourfunk, 17.07.2023 12:45 Uhr

Hindley, der Gewinner des Giro d'Italia im vergangenen Jahr, liegt in der Gesamtwertung derzeit auf Rang fünf. Zwischen den Australier und den Gesamtdritten Rodriguez hat sich der Brite Adam Yates geschoben. Sein Rückstand auf den Spanier beträgt nur noch 19 Sekunden. "Ich habe gar keine Ahnung, wo ich im Gesamtklassement stehe", behauptete Yates, dessen eigene Ambitionen hinter denen seines Kapitäns Tadej Pogacar zurückstehen.

Pogacars Helfer Yates im Rennen

Der 30 Jahre alte Yates, der das erste Gelbe Trikot bei dieser Tour eroberte und die Rundfahrt 2016 schon einmal als Gesamtvierter beendete, ist Pogacars wichtigster Helfer in den Bergen. Die Dynamik des Rennens um das Gelbe Trikot hat Yates nun in eben jene Ausgangsposition gebracht, die ihm nun sogar einen Platz auf dem Podium in Paris bescheren könnte. Denn wenn das UAE-Team oder Vingegaards Mannschaft Jumbo-Visma in den Bergen das Tempo forcieren, verlieren die anderen Klassementfahrer früher den Anschluss, als die Helfer der beiden Topfavoriten.

"Die Priorität bleibt das Gelbe Trikot für Tadej", betont Matxin Joxean Fernandez, der Sportdirektor des UAE-Teams. Aber Yates' Position in der Gesamtwertung beschert dem Team eine interessante taktische Option. "Ich bin jetzt weit vorne im Klassement", hatte Yates dann plötzlich doch erkannt, "wenn Tadej mich fahren lässt, muss Jumbo hinterher."

Carlos Rodriguez soll lernen

Ob die niederländische Equipe um Jonas Vingegaard tatsächlich hinterherstiefelt, wenn Yates losfährt, hängt sicher auch davon ab, wie viel oder wenig Zeit der Brite im Einzelzeitfahren am Dienstag einbüßt. Bei der Dauphiné-Rundfahrt im Juni war Yates 45 Sekunden langsamer als Vingegaard. Der Kurs am Dienstag ist mit 22,4 Kilometern zwar kürzer, aber auch deutlich anspruchsvoller, und vor allem im zweiten Abschnitt ein Bergzeifahren. Yates könnte Rodriguez allerdings schon an diesem Tag von Platz drei verdrängen. Bei der Dauphiné-Rundfahrt war Yates im Zeitfahren rund eine Minute schneller als der Spanier.

Der 22 Jahre alte Radprofi vom Team Ineos-Grenadiers, im vergangenen Jahr Siebter der Spanien-Rundfahrt, gilt als eines der großen Talente des Radsports. "Er wird einer der besten Drei-Wochen-Rundfahrer der Zukunft sein", sagt sein Teamkollege Egan Bernal, der Toursieger von 2019.

Bei Ineos-Grenadiers haben sie damit gerechnet, dass Rodriguez ein Kandidat für eine Top-5-Platzierung sein könnte, doch in erster Linie sollte er Erfahrung sammeln und lernen. Mit seinem Etappensieg am Samstag in Morzine habe Rodriguez die Erwartungen längst übertroffen, sagt der Teamleiter Rod Ellingworth.

Top-Teams auf fernen Planeten

Rodriguez, Yates und vielleicht noch Hindley, wenn er sich denn erholt. Das sind die drei Anwärter auf Rang drei in Paris. Alle anderen Anwärter auf das Podium sind entweder schon nicht mehr dabei, wie der Spanier Enric Mas oder der Ecuadorianer Richard Carapaz, oder liegen so weit zurück, dass sie den Platz unter den ersten drei bereits aus den Augen verloren haben.

Und während vorne die beiden "Aliens" Vingegaard und Pogacar in ihrer Welt einsam ihre Kreise ziehen, stellen sich für den Rest des Pelotons ganz grundsätzliche Fragen. "Nicht nur die zwei sind die Hauptprotagonisten, sondern auch die beiden Mannschaften sind besser. Und das ist die Benchmark", sagt Bora-hansgrohe-Teamchef Ralph Denk. "Im Moment müssen wir schauen, dass wir da hinkommen." Doch wie genau die Reise auf diesen fernen Planeten gelingen soll, bleibt vorerst unklar.