Ein Reitstiefel in einem Steigbügel.

Sexualisierte Gewalt Betroffenenrat im Reitsport - "Wir sind viele"

Stand: 02.09.2022 22:15 Uhr

Der Betroffenenrat der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN ist der erste Zusammenschluss Betroffener sexualisierter Gewalt in einem Sportfachverband.

Von Andrea Schültke, Warendorf

"Wir sind keine Einzelfälle, wir sind viele", sagt Gitta Schwarz. Sie ist eine der fünf Betroffenen, vier Frauen und ein Mann, die sich als Mitglieder des Betroffenenrates am Freitag (02.09.2022) am Rande eines großen Reitturniers in Warendorf vorstellten.

Sie alle haben im Pferdesport sexualisierte Gewalt erfahren. Jede und jeder von ihnen hat eine eigene Geschichte. Drei dieser Geschichten werden als Tonaufnahme eingespielt.

Zu hören sind Sätze wie diese: "Es war üblich, am Po berührt zu werden, das gehörte immer dazu. Alle haben darüber gelacht. Es schien normal zu sein." Oder: "Der Reitlehrer wollte, dass ich bei ihm im Bett schlafe, ich konnte mich nicht wehren." Oder: "Mein Vater glaubte mir nicht. Niemand hat mit dem Mann geredet. Und dann bin ich nicht mehr geritten."

Drei kleine Auszüge aus zum Teil sehr schmerzvollen Überlebensgeschichten. Die fünf Menschen, die sie erzählen, allesamt aktive Mitglieder des FN-Betroffenenrates, sind Pionierinnen und Pioniere. Sie bilden den ersten Betroffenenrat in einem deutschen Sportverband.

Sexistische Sprüche stehen am Anfang

"Wir bilden eine Einheit und wir wollen etwas bewegen", sagt Constantin Stark. Auch der junge Mann geht mit seinem Klarnamen an die Öffentlichkeit. Eine bewusste Entscheidung, auch, um die Scham zu überwinden: "Diese Scham behindert einen selber sehr, macht einen mürbe. Und das war für mich ganz wichtig, diesen Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen und meine Stärke wieder auszuspielen."

Gemeinsam wollen die Mitglieder des Betroffenenrates das Bewusstsein in Reitställen und auf Turnierplätzen verändern: "Es sind die Täter, die die Fehler machen". Aber alle müssten Zivilcourage zeigen und einschreiten, etwa wenn sie sexistische Sprüche hörten. Denn mit dieser Grenzverletzung fängt sexualisierte Gewalt an.

Triggerwarnung: Im folgenden Videobeitrag von 2017 werden sexuelle Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

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Gründung im August 2021

Im Frühjahr 2021 hatte die deutsche Reiterliche Vereinigung FN Betroffene sexualisierter Gewalt im Pferdesport proaktiv aufgerufen, sich zu melden. Im August 2021 dann hat sich der Betroffenenrat konstituiert. Ein Jahr später folgt nun die öffentliche Vorstellung. Von den ursprünglich elf Betroffenen, die sich gemeldet haben, sind fünf aktive Mitglieder geblieben.

Sie wollen das Thema sexualisierte Gewalt in allen Bereichen des Pferdesports thematisieren, bis hinein in die Vereine und Kontakte zu anderen Betroffenenräten und zur Politik knüpfen. Andere Betroffene im Pferdesport können zum Betroffenenrat Kontakt aufnehmen.

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Liebe zum Tier birgt besonderes Risiko

"Das Thema geht uns alle an", sagt Soenke Lauterbach, Generalsekretär der FN. Er betont, dass im Reitsport die Liebe zum Tier ein besonderes Risiko birgt. Das Pferd kann als Druckmittel genutzt werden, um sexuelle Gewalt ausüben zu können. Über solche Täterstrategien können Betroffene informieren und so dazu beitragen, zukünftige Übergriffe und Verbrechen einzudämmen.

Die FN sieht sie daher als Beraterinnen und Berater. "Wenn wir dann auch der mahnende Zeigefinger sind, der erhoben wird oder der in die Wunde gelegt wird, dann sind wir das sehr gerne", sagt Gitta Schwarz, "und das Schöne ist, die FN möchte, das wir das tun."

Appell an andere Sportverbände

Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger hat die Mitglieder auf dem bisherigen Weg begleitet und unterstützt.

Von Weiler sieht in dem FN-Betroffenenrat auch ein Signal an andere deutsche Sportverbände: "Nehmt Euren Mut zusammen, macht es auch, es ist absolut möglich und total notwendig, das zu tun".