Forderungen nach diplomatischem Boykott von Winter-Olympia 2022 in Peking Bütikofer: "Bach hat keinen Hintern in der Hose gegenüber China"

Stand: 26.08.2021 15:23 Uhr

Im Fall der Mao-Pins zweier chinesischer Bahnradfahrerinnen verzichtet das IOC auf eine ernsthafte Strafe. EU-Politiker Reinhard Bütikofer zieht deshalb verheerende Schlüsse über Thomas Bachs Umgang mit China - und will für einen politischen Boykott der Winterspiele 2022 in Peking kämpfen.

Der chinesische Gewaltherrschaer Mao Zedong wird für den Tod von 40 bis 80 Millionen Menschen verantwortlich gemacht. Genau diesem Mao Zedong bei einer Olympia-Medaillenzeremonie zu huldigen, ist für das Internationale Olympische Komitee (IOC) allerdings offenbar nur ein minderschweres Vergehen.

Denn es sprach lediglich Verwarnungen aus gegen die beiden chinesischen Bahnradfahrerinnen Bao Shanju und Zhong Tianshi, die bei ihrer Gold-Zeremonie bei den Olympischen Spielen in Tokio Anfang August Mao-Pins an ihren Jacken trugen. Das IOC teilte am 7. August, vier Tage nach dem Vorfall, mit, Chinas Team habe zugesichert, dass sich so ein Vorfall nicht wiederholen werde.

Bütikofer: "Das war inszeniert"

Scharfe Kritik an dieser Entscheidung kommt jetzt von Reinhard Bütikofer, Chef der China-Delegation im EU-Parlament. "Das zeigt, dass es da überhaupt kein Rückgrat gibt", sagt Bütikofer im Sportschau-Interview. "Thomas Bach hat einfach keinen Hintern in der Hose gegenüber China."

Die Aktion sei "eine offenkundige Provokation" seitens der Führung in Peking gewesen, sagt der ehemalige Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen. "Kein Mensch kann annehmen, dass das deren persönliche Marotte gewesen sei. Das war inszeniert."

China soll mehr als eine Million Uiguren gefangen halten

Dass IOC-Präsident Bach alles daransetzt, Konflikte mit China zu vermeiden, hängt eng mit den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zusammen. In gut fünf Monaten, vom 4. bis zum 20. Februar 2022, wird die Wintersportwelt zu Gast sein in einem Land, das Menschenrechte immer brutaler unterdrückt und die muslimische Volksgruppe der Uiguren in der Provinz Xinjiang gnadenlos bekämpft.

Offiziell zur Extremismusbekämpfung sperren die Machthaber um Staatspräsident Xi Jinping Uiguren in sogenannte Umerziehungs-Lager, mehr als eine Million Menschen sollen inhaftiert sein. Augenzeugen berichten von Folter, Psychoterror, Vergewaltigungen und Zwangssterilisierungen. Die USA, Kanada und die Niederlande werten das Geschehen gar offiziell als Genozid.

"Die umstrittensten Spiele seit vielen Jahren"

Deshalb sind die Spiele in Peking "die umstrittensten Olympischen Spiele seit vielen Jahrzehnten", wie es Minky Worden von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ausdrückt. "Xi Jinping sieht die Spiele als internationale Bestätigung für seine repressive Politik, einschließlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang. Das IOC kann also nicht so tun, als ob dies nicht der Fall wäre."

Doch IOC-Präsident Bach verliert auch dann kein kritisches Wort über China, wenn er direkt auf die brutale Unterdrückung der Uiguren angesprochen wird - wie auf einer Pressekonferenz in Tokio geschehen. Auch auf eine Anfrage der Sportschau reagierte das IOC lediglich mit allgemeinen Aussagen. Es habe weder das Mandat noch die Möglichkeit, "die Gesetze oder das politische System eines souveränen Landes zu ändern". Dies sei Aufgabe von Regierungen und zwischenstaatlichen Organisationen.

Menschenrechtssituation heute "wesentlich dramatischer" als 2008

Vor den Sommerspielen 2008 in Peking hatte Bach die Menschenrechtssituation in China noch ab und an kritisiert. Damals war er bereits Vize-Präsident des IOC. Er sagte auch, dass "die strenge Beobachtung" durch die Weltöffentlichkeit vor und während der Spiele zum Wandel in China beitragen könne.

Doch die Bilanz ist verheerend. "Chinas Menschenrechtssituation ist heute wesentlich dramatischer, als sie damals war", sagt Europapolitiker Bütikofer. Gleichzeitig aber lässt das IOC den Gastgebern aktuell offenbar noch freiere Hand als 2008. Es habe dieses Mal noch nicht einmal die Zusicherungen wieder eingefordert, die es sich bei den Sommerspielen hatte geben lassen, sagt Bütikofer.

Forderung nach Pressefreiheit während der Spiele

Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben Ende 2020 das IOC bei einem Treffen um Einblick in Dokumente gebeten, in denen China laut IOC Zusicherungen in Sachen Menschenrechte gibt. Die Menschenrechtler berichten laut AP, dass das IOC die Dokumente nicht vorgezeigt hat.

Bütikofer fordert nun: "Das IOC soll klarmachen, dass eine völlige Pressefreiheit für internationale Journalisten während der Winterspiele garantiert wird. Und zwar auch die Freiheit, in ganz China frei zu reisen, ohne ständig überwacht zu werden."

Bütikofer setzt sich für politischen Boykott ein

Aktuell lässt China nicht einmal UN-Beobachter in die Provinz Xinjiang - geschweige denn Journalisten. Das Thema ist politisch äußerst brisant. Die EU hat im März 2021 wegen der Situation der Uiguren erstmals seit mehr als 30 Jahren wieder Sanktionen gegen China verhängt. Peking reagierte mit Sanktionen gegen EU-Politiker - unter anderem gegen Reinhard Bütikofer. Alle Betroffenen und deren Angehörige dürfen nicht mehr nach China einreisen.

Längst ist auch Olympia 2022 ein Politikum. "Wir sollten dafür kämpfen, dass es einen politischen Boykott dieser Winterspiele in Peking gibt", sagt Bütikofer. Diese Forderung hat mittlerweile eine breite Basis: Mehr als 180 Menschenrechtsorganisationen plädieren dafür, und auch das EU-Parlament stimmte am 9. Juli für einen diplomatischen Boykott. Die Abgeordneten forderten die europäischen Institutionen und Mitgliedsstaaten auf, "Einladungen für Regierungsvertreter und Diplomaten zur Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking abzulehnen, solange die chinesische Regierung die Menschenrechtssituation nicht verbessere."  

USA führen internationale Gespräche über Protestmaßnahmen

Die USA gehören auch aus politischen Gründen zu den lautesten Kritikern der Spiele in Peking. Dass die Amerikaner ihre Athletinnen und Athleten nicht zu den Spielen schicken, wie 1980 bei den Sommerspielen in Moskau geschehen, gilt trotz einiger Befürworter als unwahrscheinlich. Doch möglicherweise haben die USA Pläne, die über diplomatische Boykotte hinausgehen.

Außenminister Antony Blinken bestätigte jedenfalls Anfang Juni in einer Parlamentsanhörung, dass es Gespräche auf internationaler Ebene zur Abstimmung einheitlicher Protestmaßnahmen gebe.

"Eine Propagandaschau für ein autoritäres System"

Peking reagiert auf entsprechende Vorstöße stets ungehalten und mit dem Vorwurf, der Sport werde politisiert. Ähnlich argumentiert meist auch das IOC - und ignoriert dabei, dass die chinesische Regierung genau dies tue, sagt China-Experte Bütikofer. "Das, was Peking da inszeniert, wird eine Propagandaschau werden für ein autoritäres System, das sich immer mehr in Richtung Totalitarismus zurückentwickelt. Die Augen davor zu verschließen und so zu tun, als wäre das nicht politisch, das ist unrealistisch, unredlich und unehrenhaft."

Bütikofer hält es allerdings für "vergebene Liebesmüh", auf kritischere Töne von Thomas Bach zu hoffen. Er hoffe zwar, dass ein politischer Boykott ein Signal für das IOC ist, dass man umdenken müsse. "Allerdings glaube ich, dass es dazu eine neue Führung im IOC braucht."