New York Times berichtet Zwei weitere Herzmittel in Walijewas Dopingprobe

Stand: 16.02.2022 07:22 Uhr

Im Dopingfall des russischen Eiskunstlauf-Wunderkindes kommen weitere Umstände ans Tageslicht, die den Druck auf Kamila Walijewa und ihr Umfeld erhöhen.

Kaum hatte Kamila Walijewa die Tränen der Erleichterung nach ihrem erfolgreichen Kurzprogramm am Montagabend getrocknet, da wurde das nächste Kapitel ihres Dopingfalles aufgeschlagen. Wenige Stunden nach ihrem glanzvollen Auftritt im Capital Indoor Stadium von Peking berichtete die "New York Times", dass in der Dopingprobe der 15 Jahre alten russischen Eiskunstläuferin gleich drei unterschiedliche Substanzen zur Behandlung von Herzproblemen entdeckt worden seien – neben der bereits bekannten, verbotenen Substanz Trimetazidin habe sie Hypoxen und L-Carnitin im Körper gehabt. Diese Mittel stehen zwar nicht auf der Verbotsliste, machen den Fall aber trotzdem noch hintergründiger.

Die Zeitung bezog sich auf ein Dokument, das bei der Berufungsverhandlung dem Ad-hoc-Gericht des Internationalen Sportgerichtshof CAS vorgelegt worden sei. Die Kammer hatte mit ihrer Entscheidung – unabhängig von der Schuldfrage – Walijewa den Start im Einzel-Wettbewerb ermöglicht. Dort trotzte sie im Kurzprogramm dem immensen Druck und steuert in Führung liegend auf Goldkurs.

Hypoxen und L-Carnitin

Laut dem Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald haben Walijewa und ihre Anwälte in der Anhörung angegeben, dass Trimetazidin versehentlich durch eine Kontamination mit einem Medikament ihres Großvaters in ihren Körper gelangt sei. Schon in der Anhörung durch die russische Anti-Doping-Behörde RUSADA vor der CAS-Sitzung habe Walijewas Mutter laut "New York Times" ausgesagt, ihre Tochter habe Hypoxen dem Medikamentenzweck entsprechend gegen Herzrhythmusstörungen erhalten.

L-Carnitin wiederum ist ein Mittel, das die Herzmuskelfunktion stärken soll und nach Infarkten verabreicht wird. Die früher weit verbreitete Annahme, von außen zugeführtes L-Carnitin habe einen positiven Effekt auf die Fettverbrennung, gilt mittlerweile als widerlegt – dies gilt aber nicht für eine mögliche Steigerung des Leistungsvermögens. Die Kombination der drei Substanzen scheine "darauf abzuzielen, die Ausdauer zu erhöhen, Ermüdung zu reduzieren und eine effizientere Nutzung von Sauerstoff zu fördern", sagte Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, der "New York Times".

Kein Kommentar von WADA und IOC

Alberto Salazar, der Arzt des berühmt-berüchtigten Nike Oregon Projekts, hatte seinen Langstreckenläufern L-Carnitin über Infusionen intravenös zugeführt – was wiederum verboten ist. Auch deshalb hatte Salazar 2019 zunächst eine Vier-Jahres-Sperre erhalten, bevor er lebenslang aus dem Verkehr gezogen wurde. Wie Walijewa die Substanz verabreicht wurde, ist bislang unklar.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur, als Gegnerin Walijewas Verfahrenspartei, wollte dem Bericht zufolge den neuen Fakt nicht kommentieren. Auch das Internationale Olympische Komitee, das ebenfalls gegen eine Aufhebung der Suspendierung Walijewas vorgegangen war, betonte in Person von Sprecher Mark Adams am Mittwochmorgen erneut, keinerlei Kommentar mehr zum Fall Walijewa abzugeben. Schließlich sei noch nicht mal die B-Probe geöffnet.

Legendärer Duchess-Cocktail

Substanzkombinationen haben in der langen russischen Dopinghistorie Tradition. Geradezu legendär ist der "Duchess-Cocktail", mit dem Mastermind Grigori Rodschenkow die russischen Athletinnen und Athleten vor den Heim-Spielen in Sotschi 2014 gedopt hatte: drei anabole Steroide in Mikrodosierung, für Männer in Whiskey, für Frauen in Martini aufgelöst. Rodschenkow, der mittlerweile in den USA untergetaucht ist, beschrieb die Wirkung der Mixtur in einem Interview mit der ARD-Dopingredaktion einmal so: "Mein Cocktail macht aus keinem Athleten einen Spitzensportler. Aber er kann das letzte Quäntchen auf dem Weg zu einer Medaille bringen."

Genau auf diese Logik zielen die Vorwürfe ab, denen sich vor allem Walijewas Umfeld seit Bekanntwerden des Falles ausgesetzt sieht: Begnadetes Talent und unglaublicher Trainingsfleiß seien wie schon so oft im russischen Sport auch im Eiskunstlauf eben nicht das Ende der Fahnenstange.