Der Japan-Reiseblog von Julia Linn Der Quarantäne-Planet in der Kleinstadt Tokio

Stand: 07.07.2021 10:57 Uhr

9.369 Kilometer weit bin ich von Frankfurt nach Tokio geflogen, etwa elf Stunden. Abflug vor 13 Tagen, aber gelandet bin ich noch immer nicht so ganz. Dank Quarantäne gibt‘s für mich nur Kleinstadt-Feeling.

Es ist ein seltsames Gefühl, in dieser Stadt zu sein, denn irgendwie bin ich gerade gar nicht richtig hier. Von allen Städten, in denen ich bisher war, ist Tokio eigentlich eine meiner liebsten – laut, schrill, voller Menschen und dann ein paar Schritte weiter ein teils spiritueller Ort mit idyllischen Parks und historischen Tempeln und Schreinen. Ich bin zum vierten Mal hier, und so wie jetzt habe ich Tokio noch nie erlebt.

"Gassi gehen" in die echte Welt

15 Minuten lang dürfen wir das Hotel verlassen – das reicht für einige Schritte durch Shinagawa. "Gassi gehen", nennt meine Kollegin Katharina unsere kleinen Ausflüge vom Quarantäne-Planeten in die echte Welt. Wenn man Shinagawa googelt, klingt es nach einem Ort, an dem man einiges erleben kann: "Shinagawa ist ein geschäftiger Bezirk mit dem berühmten Wolkenkratzerkomplex Tennozu Isle", sagt Wikipedia. Auch ein bedeutender Tempel, Sengaku-ji, liegt in der Nähe. "Farbenfrohe Brücken führen über den von Kirschbäumen gesäumten Fluss Meguro" – alles, was bei Wikipedia beschrieben wird, bleibt für uns erst mal in unerreichbarer Ferne.

Wir haben Glück: Unser Hotel liegt an einem kleinen Fluss. Der stinkt zwar nach Fisch wie kein zweiter, aber es ist ein Stückchen Natur. Sieben Minuten am Betonufer entlanglaufen, dann schnell wieder umdrehen, um die Quarantäne-Pause nicht zu überziehen. Bis zur nächsten Brücke kommt man in der Zeit – die Brücke ist matschgrün wie der Fluss, wenig farbenfroh.

Wo sind die anderen 14 Millionen Menschen?

Bei unseren Ausflügen vom Quarantäne-Planeten treffen wir kaum andere Menschen. Zahlreiche Bürogebäude säumen das Flussufer – die Menschen arbeiten, machen offenbar wenige Pausen. Von Shinagawa als "geschäftigem Bezirk" bekommen wir nichts mit. Hier ist so richtig tote Hose.

Wären die Häuser nicht so hoch, könnte man meinen, unser Quarantäne-Planet liegt inmitten einer verschlafenen Kleinstadt. Was wohl die etwa 14 Millionen anderen Menschen in Tokio gerade so erleben? Oder sind die alle ausgeflogen und wir sehen deshalb niemanden?

Noch zwei Tage wird dieses Kleinstadt-Feeling anhalten – dann dürfen wir raus, dann werde ich endlich richtig in der Olympia-Stadt landen.

Zur Person: Julia Linn arbeitet für den WDR und im ARD-Studio Tokio und berichtet hier täglich von ihren Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Tokio.