Olympia | Peking Claus Lufen - Gedanken und Gefühle im chinesischen Quarantäne-Hotel

Stand: 01.02.2022 10:17 Uhr

Mein fünfter Tag in der Quarantäne in China. Nach dem zehnten reicht ein negativer Test, um wieder rauszukommen, in die Freiheit, ins olympische Leben, zu meiner eigentlichen Arbeit in Peking. Wenn ich Glück habe, ist jetzt also Halbzeit. Im Sport ja oft der Moment für erste Analysen und Einordnungen.

Viele haben vorher gefragt: Warum fährst Du überhaupt dahin? Ist doch freiwillig, das kann doch nur mies werden.

Jedes Mal habe ich geantwortet, dass es doch die Sportlerinnen und Sportler verdient haben, dass jemand da ist, sie interviewt, ihren vielleicht schönsten Moment nach Hause transportiert und die Heimat teilhaben lässt.

Bitte nicht - doch!

Und jedes Mal habe ich hinzugefügt: Ich möchte nur nicht positiv getestet werden und dann ins Quarantänehotel müssen. Und dann passiert genau das direkt nach der Landung. Ohne irgendetwas gesehen zu haben von diesen Spielen und ihren Vorbereitungen in Peking.

Jetzt also eingesperrt in einem Zimmer, 16 Quadratmeter, Blick auf einen kargen, leicht schneebedeckten Felsen. Drei Mahlzeiten am Tag. Ausreichend, um satt zu werden, aber nicht besonders schmackhaft.

Müllberge - von wegen nachhaltig

Heute morgen gab es unter anderem einen Tomaten-Brokkoli-Salat und kalte, ziemlich schlabbrige Pommes. 

Jede kleine Zutat wird übrigens verpackt in ein eigenes Plastikschälchen, sieben bis acht Schüsselchen eingepackt in eine grosse Cellophantüte. Drei Mal am Tag. Meinen Müllberg möchte ich am Ende dieser Quarantäne lieber nicht sehen. So viel zum Thema nachhaltige Spiele.

Die Kolleginnen und Kollegen aus der ARD-Produktion haben mir ein Care-Paket geschickt. Mit viel Schokolade und noch wichtiger: mit deutschem Kaffee. Wie man doch selbstverständliche Dinge so schnell so vermissen kann. Sieben Filtertüten liegen dabei. Ist das ein Hinweis? Wissen die da draußen schon mehr? Bin ich noch sieben Tage hier drin?

Ein Buch über Liebe und Hass

Und ganz unten in dem Beutel finde ich noch ein Buch. "Liebe in Zeiten des Hasses" - was könnte besser passen in der aktuellen Welt?

Apropos - die Menschen, die hier in ihren Ganzkörper-Schutzanzügen arbeiten, Essen bringen, Temperatur messen, PCR-Tests machen und den Müll rausbringen, sind ausnahmslos freundlich. Alle noch sehr jung. Bei uns würde man sagen: Freiwillige.

Hier in China ist man sich nicht so sicher.

Man würde sich gerne mit ihnen unterhalten, sie fragen, wie sie diese Olympischen Spiele so finden, ob sie sich freuen, was sie so über Menschenrechte und Meinungsfreiheit denken.

Kommunikation? Schwierig ...

Es scheitert an der Sprache. Kommunikation gibt's nur über ein Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone. Wahrscheinlich würden sie eh nur ausweichen und freundlich lächeln.

Die Frühstückstüte hat mir gerade eine mit einem "Happy Chinese New Year" reingereicht. Ach ja - heute beginnt das wichtigste Fest des Jahres für die Chinesen. Die Familien kommen zusammen und wünschen sich Glück fürs neue Jahr. Diesmal ist es das Jahr des Tigers.

Wie mag die Athletin oder der Athlet darüber denken, die/der irgendwo über mir gerade Seilchen springt.

Zwischendurch wird auch ein Medizinball gegen eine Wand geworfen - so hört es sich zumindest an.

Was denken die Athletinnen und Athleten?

Wie das wohl ist? Wenn Du über Jahre diesen olympischen Traum hast, es dann endlich schaffst, erwartungsfroh und aufgeregt anreist und dann kurz vor dem Ziel in ein abgelegenes Hotel eingeliefert wirst? "Happy Chinese New Year".

Wann kommt man wieder raus? Reicht es noch bis zum Wettkampf? Kann man sich hier tatsächlich fit halten? Für mich ganz schreckliche Gedanken. 

Hätte man das hier nicht alles um ein Jahr verschieben müssen?

Betrogen, beraubt, besch ...

Und noch einer kommt dazu: Werden im Grunde nicht alle Athleten bei diesen Olympischen Spielen betrogen, beraubt, auf deutsch gesagt gehörig beschissen?

Olympische Spiele ohne Zuschauer (bis auf ein paar ausgewählte Chinesen), ohne die ausgelassene Fröhlichkeit, die eigentlich dazugehört. Selbst wer hier eine olympische Medaille gewinnt, vielleicht ja sogar die goldene, wird sicher nicht so gefeiert, wie es ihr oder ihm zusteht.

Zu sehr werden zu Hause womöglich die Ablehnung gegen diese Spiele, die Kritik und das schlechte Gefühl eine Rolle spielen.

Bislang wurden 176 positiv getestete Personen gemeldet, die mit den Spielen zu tun haben. Darunter auch zahlreiche Sportlerinnen und Sportler. Und die meisten reisen ja gerade erst an.

Hunderte im Quarantäne-Hotel?

Wenn die Tendenz sich fortsetzt, sitzen zur Eröffnungsfeier 300 oder vielleicht sogar 400 Menschen in einem Quarantäne-Hotel. Was für eine Vorstellung.

Und natürlich kann man fragen, warum wir das hier alles mitmachen, als Berichterstatter. Vielleicht sogar indirekt unterstützen. Ich habe mir die Antwort, wie gesagt, schon vor der Abreise gegeben. Weil die Athleten, die hier starten, nichts dafür können.

Und weil ich dabei sein will, wenn etwas nicht so läuft, wenn vielleicht tatsächlich manipuliert wird, wenn Unrecht recherchiert werden muss. Das mache ich dann, wenn ich hoffentlich in fünf Tagen hier rauskomme.

Nach einer Erfahrung, auf die man sicher gerne verzichten würde, die einen aber auch mal innehalten lässt.