Olympia | Politisierung des Sports China nötigte Norwegen zu Skisprung-Nachhilfe

Stand: 18.02.2022 04:26 Uhr

Olympia will unpolitisch sein, ist es aber nicht. Wie sehr vor allem China den Sport auch abseits der Taiwan- oder Tibet-Frage politisch benutzt, zeigt ein skurriles Beispiel aus Norwegen.

Die mehr als 100 Videoclips, jeweils nur etwa zehn Sekunden lang, dokumentieren den Start von potenziellen Weltkarrieren im Sport. Die Sequenzen aus den Jahren 2018 und 2019, die der Sportschau vorliegen, entstanden in der Nähe der Kleinstadt Øyer bei Lillehammer in Mittelnorwegen und zeigen Nachwuchs-Skispringer beim Training, auf Schanzen im Schnee oder auf Matten im Sommer.

Ein junger Athlet verpasst den Absprung vom Schanzentisch, ein anderer macht bei der Landung einen schmerzhaften Spagat, andere zeigen schon erstaunliche Sprünge.

Schachfiguren in einem hochpolitischen Spiel

Das Ungewöhnliche an den Videos: Sie zeigen keine norwegischen Kinder und Jugendlichen, sondern eine Gruppe von 22 Chinesen, die es im Zuge eines 2017 geschlossenen Abkommens auf die Schanzen im hohen Norden verschlagen hat, 7.000 Kilometer von der Heimat entfernt. Sie alle waren Schachfiguren in einem hochpolitischen Spiel, das sieben Jahre zuvor begonnen hatte. 

Im Jahr 2010 hatte das norwegische Nobelpreiskomitee dem inhaftierten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo seine höchste Auszeichnung verliehen, den Friedensnobelpreis. Ungeachtet der Tatsache, dass dies eine von der norwegischen Regierung unabhängige Entscheidung war, reagierten die chinesische Machthaber empört auf die Wahl.

Bestrafung für Verleihung des Friedensnobelpreises

Sie legten Norwegen politisch und wirtschaftlich die Daumenschrauben an. Quasi von einem Tag auf den anderen hörte für norwegische Schlüsselindustrien einer der wichtigsten Exportmärkte auf zu existieren: zum Beispiel die Lachsfischerei, China kaufte einfach keinen Lachs mehr.

Sechs Jahre nach Lius Wahl näherten sich beide Länder behutsam wieder an, der Tod des Dissidenten im Jahr 2017 beschleunigte den Prozess. Ein Teil der Annäherung wurde auf sportlicher Ebene vorangetrieben: Norwegen erklärte sich bereit, den chinesischen Wintersport zu fördern. Unfreiwillige Nachhilfe für den kommenden Olympiagastgeber, eine Folge politischen Drucks.

"Dieses Abkommen war nicht von Sportsgeist geprägt, ich würde es nicht mutig oder heldenhaft und noch nicht mal einen guten Versuch nennen", sagt der Langläufer und Schriftsteller Gudmund Skjeldal: "Es war der verzweifelte Versuch, die gegenseitigen Beziehungen zu normalisieren."

Norwegische Entwicklungshilfe

Dutzende von norwegischen Trainern reisten nach China, um die sich entwickelnden Winterteams zu trainieren. Dazu gehörte auch Biathlon-Superstar Ole Einar Björndalen, der noch heute zusammen mit seiner Frau, der belarusischen Olympiasiegerin Daria Domratschewa, das chinesische Biathlon-Team trainiert.

Auch chinesische Athleten reisten nach Norwegen, um dort zu trainieren, vor allem Skispringer. "Wir haben die klare Botschaft erhalten, dass es sehr willkommen wäre, wenn wir ein solches Projekt durchführen könnten, und das hat natürlich unsere Motivation erhöht", sagte der norwegische Skisprung-Sportchef Clas Brede Braathen der Sportschau.

Er fügte hinzu: "Aber wir waren auch wirklich daran interessiert zu sehen, wie sich 16-jährige Athleten entwickeln, die körperlich extrem geschickt, aber noch nie Ski gefahren sind."

Lachsexporte steigen nach Sportabkommen

Der Deal auf sportlicher Ebene zahlte sich für Norwegen aus. Die Lachsexporte nach China stiegen wieder, auf einen Gegenwert von 198 Millionen Kronen (20 Millionen Euro) im Jahr 2017, 821 Millionen Kronen (81 Millionen Euro) im Jahr 2018 und schließlich auf 1,5 Milliarden Kronen (148 Millionen Euro) im Jahr 2019.

Doch zumindest für die chinesischen Skispringer gab es kein Happy End. Eine Zeit lang entwickelte sich die Partnerschaft gut, die Nachwuchsathleten zeigten brauchbare Fortschritte. Doch im Oktober 2019 wurde das Projekt von chinesischer Seite abrupt beendet. Die Entwicklung ging den Bossen in Peking offenbar nicht schnell genug.

Die Norweger blieben auf ihren Kosten sitzen. "Wir hatten in jenem Jahr eine Million Euro in dieses Projekt gesteckt und nur etwa die Hälfte wiederbekommen", sagte Brathan der Sportschau: "Das ist ein ziemlich großes Loch in einem kleinen Budget wie unserem. Wir haben immer noch mit den Folgen des Einnahmeausfalls zu kämpfen."

"Sport und Politik nicht vermischen"

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hat die norwegische Regierung die Olympischen Winterspiele in Peking nicht diplomatisch boykottiert – auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit könnten dabei eine Rolle gespielt haben.

Einige Politiker bedauern diese Entscheidung. "Wir sollten aus dem Fall lernen, dass wir Sport und Politik nicht vermischen sollten", sagte Guri Melby, die Vorsitzende der Liberalen Partei, die in der Koalitionsregierung 2020 und 2021 als Bildungsministerin fungierte: "Wir sollten nicht naiv sein, wenn wir mit einem anderen Land verhandeln, insbesondere mit einem Land, das solche Ambitionen hat wie China."