Olympia | Gewichtheben Vorläufiges Olympia-Aus der Gewichtheber: Die alte Garde setzt auf Machterhalt

Stand: 16.12.2021 08:00 Uhr

Nach jetzigem Stand ist die Traditionssportart Gewichtheben ab 2028 nicht mehr olympisch. Bizarre Machtspiele im Weltverband lassen erahnen, dass der Rauswurf schon 2024 vollzogen werden könnte.

Von Hajo Seppelt, Grit Hartmann, Nick Butler

Eigentlich hätte eine Schockwelle durch die Gewichtheber-Szene gehen müssen, als in der vergangenen Woche das vorläufige Olympia-Aus für die Traditionssportart verkündet wurde. Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, adressierte "ernsthafte Bedenken“ mit Blick auf die Zustände im Weltverband IWF, um dann den Rausschmiss der Heber für die Spiele 2028 mitzuteilen.

Damit steht der gesamte Sport am Abgrund, denn die IWF hängt finanziell am Tropf des IOC, ist abhängig von den Olympia-Einnahmen. Allerdings: Von Schock war bei den Spitzenfunktionären wenig zu merken. Interims-Präsident Michael Irani, ein Brite, demonstrierte Gelassenheit. Man sei "zuversichtlich“, dass die Bedenken ausgeräumt würden.

Ajáns Weggefährten dominieren die IWF

Von Reformprozessen, auf die Irani hinwies, ist bisher nicht viel zu sehen. Knapp zwei Jahre nach dem erzwungenen Abgang des Ungarn Támás Aján, den die ARD-Dokumentation "Der Herr der Heber“ zu Fall brachte, dominieren dessen Weggefährten noch immer die IWF. Irani, seit Jahrzehnten im Präsidium, ist nur einer von vielen Offiziellen, die in den verseuchten Zeiten unter dem alten Präsidenten Aján gut lebten. Zwar hat der Weltverband seit August eine neue Verfassung, mit Vorgaben für mehr Athletenbeteiligung oder strengen Doping-Sanktionen setzt sie sogar Maßstäbe – doch Papier ist geduldig.

So sieht das auch Sarah Davies, die Athletensprecherin der IWF: "Ich habe wirklich Angst um die Zukunft unseres Sports“, sagt sie der ARD-Dopingredaktion. "Wir Athleten können kaum noch etwas dagegen tun.“ Die IWF-Spitzenfunktionäre seien "Leute, die sich selbst für wichtiger halten als den Sport.“

Brisanter Untersuchungsbericht

Die alte Garde setzt auf Machterhalt. Gerade erst sagte sie den für kommende Woche geplanten Wahlkongress ab, obwohl der laut Verfassung 2021 stattfinden müsste. Doch ein unabhängiges Gremium hatte die Eignung der Kandidaten geprüft – und dem Vernehmen nach den Großteil der amtierenden IWF-Spitze aussortiert.

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Aufräumarbeiten, die nach der Aján-Ära angesagt waren, bei weitem nicht abgeschlossen sind. Der ARD-Dopingredaktion liegt dazu ein brisantes Papier vor: der zweite, bisher geheime Teil des Untersuchungsberichts, den Sonderermittler Richard McLaren im Sommer 2020 zu den mafiösen Vorgängen in der IWF verfasste. Er enthält Verdachtsmomente zu Funktionären, die sich jetzt wieder in die IWF-Spitze wählen lassen wollen.

Etwa zu Attila Adamfi, Ajáns Schwiegersohn, lange Zeit dessen rechte Hand. Von der IWF gefeuert, will der Ungar nun wieder Generalsekretär werden. Der Geheimreport enthält weitere Details dazu, wie Adamfi bei der Manipulation der letzten Präsidentenwahlen 2017 (Sieger: Aján) mitgemischt haben soll. Auf seinem Computer fand sich eine Anleitung, welche Kandidaten anzukreuzen seien.

Zu den Top-Funktionären, die der geheime Teil des McLaren-Berichts unter Verdacht stellt, gehört auch ein Peruaner: José Quiñonez. In der Heimat wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten für alle Sportämter gesperrt, darf er im Heber-Weltverband als Vizepräsident agieren.

Umstrittene Eignungsprüfung

Es geht um 1,2 Millionen Dollar, mit denen die peruanische Regierung 2019 den IWF-Grand Prix in Lima sponserte: McLaren bezweifelt, dass das Geld "vollständig verbucht wurde“ und verlangt Prüfung. Quiñones erklärt auf Anfrage, er habe mit dem Grand Prix nichts zu tun gehabt.

Neuwahlen in der IWF will er sich nicht stellen. Quiñones meint, fürs neue Präsidium sei er ohnehin gesetzt als Boss des Panamerika-Verbandes. Von der Wahlverschiebung profitiert er dennoch: Laut neuer IWF-Verfassung sind Funktionäre, solange sie von Sportgerichten sanktioniert sind, fürs Präsidium "disqualifiziert“. Quiñones’ Sperre in Peru läuft am Jahresende aus.

Plant die alte Garde neue Kandidaten-Checks, bevor die Gewichtheber ihre Verbandsspitze wählen dürfen, irgendwann im nächsten Jahr? Das wird sich am kommenden Montag auf dem IWF-Kongress in Taschkent herausstellen.

"Grundlegend und juristisch falsch“

Bisher begründen die Aján-Getreuen ihre Blockade mit einem Gutachten der verbandseigenen Rechtskommission. Dieses Gutachten besagt, die Mitglieder der IWF-Ethik-Kommission müssten erst noch vom Kongress "bestätigt“ werden, bevor sie die Prüfung der Wahlkandidaten an ein unabhängiges Gremium delegieren könnten. Der IWF-Governance-Beauftragte, der Australier Darren Kane, protestierte scharf. In einem Brief an die Verbandsspitze nennt er die Bestätigung der Ethiker eine "Formalität“. Das Gutachten der Rechtskommission sei "grundlegend und juristisch falsch“.

Die Ethiker erklärten: Erstens liefen derzeit "Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche Personen“, auch auf Grundlage des zweiten McLaren-Berichts. Und zweitens: Die Kandidaten-Checks für die Wahl müssten "nicht wiederholt werden“.

Neuer Weltverband?

Der alten Garde, die dabei durchgefallen ist, dürfte beides kaum gefallen. Kommt es also zum Eklat mit den hauseigenen Ethikern und Reformern? Florian Sperl, der deutsche Verbandspräsident, setzt noch auf Diplomatie und "viele Gespräche“. Allerdings gibt es einen "Notfall-Plan“, sollte das IWF-Präsidium weiter die olympische Zukunft riskieren. "Dann werden wir alles tun, um unseren Sport zu retten und neu aufzubauen. Auch mit einem neuen Weltverband.“ Eine solche Abspaltung wäre ein Novum in der olympischen Welt. 

Auch die Teilnahme an den nächsten Sommerspielen 2024 in Paris ist den Hebern keinesfalls sicher. Thomas Bach sagte dazu vergangene Woche: "Noch sind sie im Programm. Aber man kann ja nie wissen.“