Olympia | Langlauf Plötzlich Welt-Elite: Deutsche Langlauf-Frauen überraschen sich selbst

Stand: 16.02.2022 16:32 Uhr

Mit so einer Steigerung hatte niemand gerechnet - nicht einmal die deutschen Langlauf-Frauen selbst. Doch nun fährt das Team von Peter Schlickenrieder mit einer Goldmedaille nach Hause. Der wird nicht müde, die Leistung aller Beteiligten herauszuheben und ist regelrecht verblüfft über die taktischen Fertigkeiten von Victoria Carl.

So richtig fassen, was da gerade passiert war, konnte es keiner. Ungläubigkeit in allen Gesichtern beim deutschen Team, die aber schnell der puren Ektase wichen. Soeben waren Katharina Hennig und Victoria Carl zu Gold im Teamsprint bei den Olympischen Spielen gelaufen und hatten für die nächste Sensation in den Langlaufbewerben gesorgt.

Zweite Medaille bereits in Peking

"Wir sind gerade emotional überfordert. Was wir uns da heute erkämpft haben, ist einfach unbeschreiblich", konnte die 25 Jahre alte Hennig ihr Glück nicht fassen. Und auch ihre ein Jahr ältere Teamkollegin realisierte erst mit Verzögerung, wie gut ihre Leistung war und was ihr da gelungen war: "Ich habe gar nicht wahrgenommen, dass ich mich auch an der Schwedin vorbeigeschoben habe. Ich kann diesen starken Schlussspurt immer noch nicht glauben."

Der Triumph vom Mittwoch (16.02.2022) ist die zweite faustdicke Überraschung, die den deutschen Athletinnen in Peking gelingt. Wenige Tage zuvor hatten Carl und Hennig gemeinsam mit Katherine Sauerbrey und Sofia Krehl bereits Silber in der Staffel gewonnen. Erfolge, die so nicht planbar gewesen sind, die aber verdeutlichen, dass auch das deutsche Team mit einer geschlossenen Leistung auf und neben der Strecke ganz vorne mitspielen kann.

Bundestrainer lobt das gesamte Team

Peter Schlickenrieder, der selbst vor 20 Jahren in Salt Lake City zu Silber gesprintet war und nun als Bundestrainer die Hauptverantwortung trägt, rang im Ziel mit den Tränen. "Das ist ein brutaler Traum. Ich könnte den ganzen Tag heulen. Es ist einfach so intensiv", sprudelte es aus ihm heraus. Und das Ganze auch noch an seinem 52. Geburtstag.

Mit schluchzender Stimme hob er sein gesamtes Team heraus. Ob Frauen-Trainer Erik Schneider, Cheftechniker Lukas Ernst oder Physiotherapeutin Ilona Henrich, sie alle - und noch einige mehr - wurden persönlich von Schlickenrieder mit Dank bedacht. Im Freudentaumel fiel er jedem um den Hals.

"Es sind so viele helfende Hände, die da zusammenarbeiten. Der Wachser ist auch Motivator, die Athleten reden beim Wachs mit. Alle helfen zusammen mit: Physio, Arzt ... Wenn das dann so ausgeht, ist das etwas Einmaliges", lobte er das Team ums Team.

Schlickenrieder überrascht von Carls Taktik

Aber auch was auf der Strecke ablief, betrachtete Schlickenrieder mit positiver Verwunderung. Carl, die als Ersatzläuferin für die sich nicht fit fühlende Sauerbrey ins Rennen rückte, zeigte eine so nicht erwartete taktische Meisterleistung. "Dann macht die Vici etwas, was sie noch nicht gemacht hat. Sie ist wie schon in der Staffel ein taktisch exzellentes Rennen gelaufen. Das hätte ihr so niemand zugetraut", so Schlickenrieder.

Vor allem die Herangehensweise am Berg sei entscheidend gewesen: "Die meisten haben sich gedacht, dass sie den ersten Berg hochrennt und dann blitzeblau ist. Und dann zieht sie in einer Weltklasse-Manier dieses Rennen durch", war Schlickenrieder selbst baff und fragte: "Chapeau. Wo kommt das her?"

Erstes Olympia-Gold nach zwölf Jahren

2010 war es das letzte Mal, dass sich der DSV über eine Goldmedaille freuen durfte. Vor fast genau zwölf Jahren waren in den kanadischen Bergen die deutschen Frauen im Teamsprint die schnellsten Läuferinnen. Claudia Nystad und Evi Sachenbacher-Stehle standen damals ganz oben auf dem Podest.

Gab es im Whistler Olympic Park neben Gold noch vier weitere Silbermedaillen für die schwarz-rot-goldenen Athletinnen und Athleten, war die Bilanz bei den vergangenen beiden Winterspielen sehr überschaubar. Die letzte Beteiligung an einer olympischen Siegerehrung gab es nach Staffel-Bronze durch die deutschen Frauen 2014 in Sotschi. In Südkorea ging das Team komplett leer aus.

Neuaufbau unter Schlickenrieder

Es folgte der Wechsel an der Spitze hin zu Peter Schlickenrieder. Der betonte bei jeder Möglichkeit den langsamen Neuaufbau des Teams, wollte zu keinem Zeitpunkt zu viele Erwartungen schüren. Und er sollte Recht behalten.

Zwar gab es immer wieder ein paar gute Einzelresultate, für ganz vorne aber sollte es nicht reichen. Fünf Podestplätze - aber keinen Sieg - im Weltcup gab es seit seinem Amtsantritt im April 2018. Bei den beiden Weltmeisterschaften in seiner Amtszeit gab es keine Medaille für das DSV-Team.

Deutschem Haus steht "Flutung" bevor

Vor den Winterspielen in China hatte Schlickenrieder stets auf die Teamwettbewerbe verwiesen, wenn er danach gefragt wurde, wo seine Sportlerinnen und Sportler Chancen auf Edelmetall haben würden. Von der Entwicklung und den Erfolgen war aber auch er überrascht. Das Ganze richtig zu realisieren, könne "zehn oder 20 Jahre dauern".

Nun gilt es, das Erreichte auch gebührend zu feiern. Auch wenn Carl zum Abschluss der Spiele noch über die 30 Kilometer zum Einsatz kommt, glaubt Schlickenrieder, dass das deutsche Haus heute "geflutet wird. Unser Zeremonienmeister Stefan Schwarzbach hat heute eine große Aufgabe. Ich hoffe, er ist gut vorbereitet."