Olympia | Fazit Eine politische Bilanz der Spiele: Olympia im roten Bereich

Stand: 20.02.2022 12:30 Uhr

Die Winterspiele von Peking waren die wohl politischsten seit den Boykott-Ausgaben in den 1980er Jahren. Angesichts eines rückgratlosen IOC bleibt der olympischen Bewegung nur das Prinzip Hoffnung.

Corona, Überwachung, Menschenrechte, der Fall Walijewa: Schwierige Themen haben die Winterspiele von Peking überschattet und der olympischen Bewegung alles abverlangt. Nach knapp drei Wochen im roten Bereich ist sie erschöpft, am Anschlag.

Auch für die Athletinnen und Athleten bedeuteten die zwar gut organisierten, aber aseptischen Spiele in der chinesischen Blase unter Aufsicht eines totalitären Regimes und unter der Regie eines rückgratlosen IOC einen Kraftakt. Was ihnen bleibt, ist die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie - und dass mit den kommenden Spielen in Paris (2024), Mailand/Cortina (2026) und Los Angeles (2028) auch sonst alles besser wird.

Die politischsten Spiele seit den 80er Jahren

Unpolitisch sollten die Spiele nach dem Wunsch des IOC und seines Präsidenten Thomas Bach sein, doch sie wurden die wohl politischsten seit den Boykott-Ausgaben 1980 und 1984. Gesorgt dafür haben vor allem die chinesischen Gastgeber, ohne nennenswerte Gegenwehr, teilweise sogar unter aktiver Mithilfe von Bach und Co.

Es begann schon bei der Eröffnungsfeier: Die Uigurin Dinigeer Yilamujiang entzündete die olympische Flamme, während Hunderttausende ihres Volkes in Lagern interniert sind. Das IOC fand die Idee "reizend", uigurische Menschenrechtsaktivisten sahen darin eine "dreiste, zynische List".

Bach signalisiert: Alles in bester Ordnung

Bach half dem chinesischen Regime auch bei dem Versuch, einen symbolischen Schlussstrich unter den Fall Peng Shuai zu ziehen. Er zeigte sich öffentlichkeitswirksam mit der Tennisspielerin, die nach Missbrauchsvorwürfen gegen einen hochrangigen chinesischen Politiker vor den Spielen wochenlang die Schlagzeilen bestimmt hatte, beim Big-Air-Finale mit Chinas Superstar Eileen Ailing Gu.

Bach signalisierte damit: Es ist alles in bester Ordnung mit Peng – obwohl auch er das "im Dickicht aus Desinformation und Repression" (Süddeutsche Zeitung) nicht genau wissen kann.

Desinformation in Reinkultur

Auch bei einem der krassesten Fälle von Politisierung der Olympischen Spiele in deren jüngerer Geschichte ließen die "Herren der Ringe" die chinesischen Gastgeber beinahe tatenlos gewähren. Eine Sprecherin des Pekinger Organisationskomitees fiel IOC-Vertreter Mark Adams in der täglichen gemeinsamen Pressekonferenz ins Wort und betrieb vor den Augen der Weltpresse China-Politik und Desinformation in Reinkultur.

Die Taiwan-Politik der Chinesen sei "weltweit anerkannt", Berichte über Konzentrationslager für Uiguren in der Provinz Xinjiang eine "Lüge", längst entkräftet durch Beweise – ein Schlag ins Gesicht auch für das IOC.

Bach reagierte erst tags darauf und erst auf Nachfrage. Das IOC habe umgehend Kontakt zum Organisationskomitee aufgenommen. Dabei habe man "die Einigkeit darüber bekräftigt, dass wir unmissverständlich zur politischen Neutralität verpflichtet sind, wie es in der olympischen Charta festgehalten ist." Thema beendet. Die wachsweiche Reaktion machte erneut klar, wie groß die Macht der Chinesen und ihrer gewaltigen Märkte in der olympischen Welt mittlerweile ist.

Fall Walijewa legt Probleme offen

Noch eine ganze Weile wird Kamila Walijewa das IOC und alle weiteren großen Sportorganisationen beschäftigen. Die 15 Jahre alte russische Eiskunstläuferin durfte trotz eines positiven Dopingtests in Peking starten, ihr Fall legte auf vielschichtige Weise drängende Probleme in der olympischen Welt offen: im Hinblick auf Minderjährige im Leistungssport, auf eklatante Schwächen im Anti-Doping-System und auf den Umgang der großen Institutionen mit Russland und dem Staatsdopingskandal.

Und das "Team Deutschland" ? Bittere Coronafälle der Athleten Eric Frenzel, Terence Weber und Nolan Seegert trübten die Stimmung, dennoch ist der Deutsche Olympische Sportbund mit der Medaillenbilanz zufrieden - allerdings zeigt sie auch viel Verbesserungspotenzial auf: Sämtliche deutschen Medaillen teilten der Bob- und Schlittenverband sowie der Deutsche Skiverband untereinander auf. In Pyeongchang hatten noch fünf deutsche Verbände Edelmetall gewonnen, diesmal gingen Snowboard, Eishockey und Eiskunstlaufen leer aus.

DOSB will für Bewerbung "Hausaufgaben machen"

Der DOSB will nun behutsam eine eigene Bewerbung vorbereiten. Allerdings drückt nun auch der neue Präsident Thomas Weikert, der im Zuge seiner Wahl im Dezember eine schnellstmögliche Bewerbung angekündigt hatte, auch unter dem Eindruck der schwierigen Peking-Spiele - er nannte sie eine "Zerreißprobe" - auf die Bremse.

Er bezeichnete eine deutsche Initiative im Hinblick auf die noch nicht vergebenen Winterspiele 2030 als "vielleicht zu früh", bleibt aber dabei: Olympia soll erstmals seit 1972 wieder nach Deutschland. Man müsse dafür seine "Hausaufgaben machen", IOC-Mitglieder überzeugen und mit Politik und Bevölkerung "an einem Strang ziehen" - eine Herkulesaufgabe, nach diesen Spielen von Peking mehr denn je.