Olympia | Bilanz Berichte aus der Bubble - ein Olympiafazit von Markus Othmer

Stand: 20.02.2022 05:00 Uhr

Die Zeit, in der es bei Olympia ausschließlich um den Sport ging, liegt lange zurück. Politik und Sportpolitik sind omnipräsent. Ein Fazit von Sportschau-Reporter Markus Othmer nach 16 Tagen in China.

Olympia ist längst nicht mehr nur die größte Sportbühne der Welt, sondern auch Kulisse für Weltpolitik. Deswegen fällt ein Fazit dieser Spiele schwer, weil im wahrsten Sinne des Wortes jede Medaille zwei Seiten hat.

Olympia 2022 hat zwiespältige Gefühle ausgelöst. Auch in Peking wurden Heldengeschichten geschrieben: Denise Herrmanns Biathlon-Gold, der sensationelle Gold-Endspurt der Längläuferinnen, das silberne Happy End für Eric Frenzel nach zwölf Tagen Quarantäne, die Tränen von Doppel-Olympiasiegerin Katarina Witt im Studio bei der tragischen Geschichte des 15-jährigen Eiskunstlauf-Wunderkindes Kamila Walijewa, die "der Welt zum Fraß vorgeworfen" wurde. 

Außergewöhnliche Sportstätten

Das waren große olympische Momente in einer großartigen Sportlandschaft, die die Sportler staunen lässt: "Die Sportstätten sind weltklasse", sagt Langlauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder, die Schanze in Zhangjiakou "absolut Olympia-würdig", ergänzt Skispringer Markus Eisenbichler.

Die Sportwelt und auch ich erleben Superlative, die allerdings nicht alle Gold verdienen: Die Schanze, der Eiskanal, die Infrastruktur wie der Hochgeschwindigkeitszug "Fuxing", der mit 350 km/h in nur 47 Minuten knapp 200 Kilometer zurücklegt und Peking mit Zhangjiakou verbindet, ist nur ein Teil des 40.000-Kilometer-Hochgeschwindigkeits-Zugnetzes in China. Ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit. Während bei uns über die Revitalisierung von Bahnstrecken diskutiert wird, schafft China Fakten.

Die Kehrseite der Medaille

Auf der anderen Seite wurden Grenzen von Naturschutzgebieten einfach verlegt und die Berglandschaft in Yanqing ohne Rücksicht auf irreparable Schäden umgegraben und zubetoniert.

Die Skipisten und die Rodelbahn sind jetzt nicht mehr im, sondern am Naturschutzgebiet. Für die Kunstschnee-Produktion mussten in einer extrem wasserarmen Gegend mehr als zwei Milliarden Liter Wasser an die Pisten gepumpt werden. So gehen grüne Spiele in einer Diktatur.

Bach kurz da - und plötzlich wieder weg

Nebenan im Eiskanal von Yanqing haben unsere Bob- und Rodelasse den größten Teil der deutschen Olympiamedaillen gewonnen. Die Doppelsitzer-Olympiasieger Tobias Wendl und Tobias Arlt hatten bei den olympischen Testwettkämpfen den Albtraum erlebt, als Arlt wegen eines falschen Corona-Tests von der Bahn in die Quarantäne gebracht wurde, in ein dreckiges Zimmer mit Kakerlaken.

Vielleicht hätten sie darüber gerne mit Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), geredet, der bei der Siegerehrung kurz für ein Foto neben ihnen stand - um danach genauso schnell wieder zu verschwinden. Von Thomas Bach hätte ich mir mehr gewünscht.

Der politische Albtraum China

Wir hätten ihm gerne die Möglichkeit gegeben, auf die kritische Berichterstattung zu reagieren, seine Position und seine Sicht in einem Liveinterview zu artikulieren - das verstehen wir unter fairem Journalismus. Aber der IOC-Präsident hat unseren Interviewwunsch leider absagen lassen.

China ist politisch ein Albtraum, die staatliche Überwachung, die ich als Journalist bei den Spielen erlebe, ist allgegenwärtig. Die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, die Verletzung der Menschenrechte, all das ist unerträglich und macht mich fassungslos. Recherche, Gespräche mit Chinesen? Unmöglich.

Mittendrin - und doch nur in der "Bubble"

Seit meiner Ankunft am 3. Februar durfte ich das Hotel nur verlassen, um an meinen Arbeitsplatz zu kommen. Ich durfte nicht an der frischen Luft spazieren oder ein chinesisches Restaurant außerhalb des Hotels besuchen. Alle Journalisten bleiben - immer bestens desinfiziert - im "closed loop".

Also raus aus dem Hotel, rein in den Bus, der nur an den Sportstätten hält. In dieser Bubble bekommen wir vom normalen Leben in Peking leider nichts mit. Mit diesen Erfahrungen weiß ich die Meinungsfreiheit und die Bewegungsfreiheit bei uns zu Hause noch viel mehr zu schätzen. 

Geschlossene Bubble in Peking

Als kritische Berichterstatter müssen wir genau hinschauen, was in China passiert. Aber als Sportjournalisten dürfen wir auch nicht wegschauen, was in Deutschland nicht passiert. Der Skispringer Karl Geiger hat es auf den Punkt gebracht: "Bevor man das nächste Mal die Vergabe von Olympia kritisiert, muss Deutschland vielleicht selber mal eine Bewerbung rausschicken."

Ich hätte mir gewünscht, dass München 2022 die erste Stadt wird, die Sommer- und Winterspiele ausrichtet. "Wir könnten es besser und nachhaltiger", sagt Peter Schlickenrieder, "aber wir müssen es auch unter Beweis stellen."