Olympia | Pressefreiheit Journalismus in Peking: Gratwanderung durch die Olympia-Bubble

Stand: 08.02.2022 18:12 Uhr

Journalisten erleben in Peking in einem komplizierten Arbeitsumfeld Covid-Angst, Überwachung, olympische Alltagsproblemchen - und eine schwierige Gratwanderung.

Der Bus mit der Kennung TG-Z 05 kam einfach nicht. Die Verabredung im Pressezentrum des Olympischen Dorfes in Zhangjiakou drohte deshalb zu platzen, zudem brachte die Warterei auf einem zugigen Parkplatz vor dem internationalen Sendezentrum bei minus zwölf Grad noch ganz eigene Schwierigkeiten mit sich.

Aber was zählen für Journalistinnen und Journalisten bei diesen Winterspielen von Peking schon Transportprobleme im Angesicht einer Pandemie? Wie relevant kann schon etwas Kälte sein, wenn der Gastgeber im Schatten des größten Sportfestes der Welt praktisch ungehindert schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht und sich das Internationale Olympische Komitee mehr denn je als willfähriger Erfüllungsgehilfe entpuppt, indem es behauptet, der Sport habe nichts anderes zu sein als unpolitisch?

"Einzelfall" Sjoerd den Daas

Für kurze Zeit sah es am Anfang der Spiele so aus, als könnte die durch Olympia gestiegene weltweite Aufmerksamkeit dazu beitragen, Missstände in China sichtbar zu machen. Als Sicherheitskräfte den niederländischen Journalisten Sjoerd den Daas vor laufenden Kameras aus einem angeblich sensiblen Bereich im Umfeld des "Vogelnest"-Stadions drängten, gingen Bilder um die Welt, die sich die Gastgeber so gar nicht wünschten.

Das Internationale Olympische Komitee sprang China reflexartig zur Seite, wie es das schon immer getan hat, seit es dem Land im Jahr 2001 erstmals die olympische Gastgeberrolle zusprach und damit die Erschließung eines riesigen Marktes begann. Der Fall den Daas, so hieß es diesmal, sei nur ein Einzelfall.

Mit Kritik an Ausrichter und Gastgeber tut sich Gianni Merlo schwer, vorerst. Er wolle weitere Entwicklungen abwarten, sagt der Präsident des Weltverbandes der Sportjournalisten (AIPS). Und er wolle sich nicht zu früh Optionen für Verhandlungen verbauen, sollten im Laufe der Spiele wirklich große Probleme mit der Pressefreiheit auftauchen.

Überwachung außerhalb der Bubble größer?

Tatsächlich ordneten auch erfahrene China-Korrespondentinnen den Fall den Daas als harmlos ein. "Für Journalistinnen und Journalisten, die außerhalb der Olympia-Bubble arbeiten, gehören solche Aktionen zum Alltag", sagt Tamara Anthony, die Leiterin des ARD-Studios Peking. Sie habe zudem innerhalb der Bubble den Eindruck gewonnen, dass staatliche Überwachung und Beeinflussung außerhalb noch wesentlich intensiver stattfinden. Ihre Vermutung: Die Partei stuft Sportjournalisten, die nach drei Wochen wieder das Land verlassen, dann doch als vergleichsweise harmlos ein.

Doch niemand solle sich einer Illusion hingeben, sagt Anthony: "Wenn die chinesische Führung es will, ist sie immer und überall zur Totalüberwachung in der Lage."

"Niemand wird mich stoppen"

Ilja Trifanow ist das alles völlig egal. "Russland und China sind doch befreundet“, sagt der junge Reporter des russischen Sport-Senders Match TV bei einer kleinen ARD-Umfrage unter Olympia-Journalisten. Er sage einfach, was er wolle und sei sich sicher: "Niemand wird mich dabei stoppen!" Da Trifanow, wie er selbst sagt, aber ohnehin überwiegend das sportliche Abschneiden von "Team ROC" thematisiert, gehört er nicht zu der Journalisten-Spezies, die Peking ein Dorn im Auge ist.

Athleten dürfen "nie zu kurz kommen"

So eine Herangehensweise an olympische Berichterstattung pauschal zu verurteilen, fällt auch Athletenvertreter Maximilian Klein schwer. "Natürlich dürfen Themen wie Menschenrechte oder Pressefreiheit nie zu kurz kommen, dasselbe gilt aber auch für Athletinnen und Athleten und ihre Leistungen", sagt Klein, bei "Athleten Deutschland" für internationale Sportpolitik zuständig. Er umschreibt damit die schwierige Gratwanderung, die wohl jeder Olympia-Berichterstatter in Peking irgendwann zu meistern hat.

Ida Moseng vom norwegischen Fernsehsender TV2 will sich in Peking von niemandem verunsichern und in ihrer Berichterstattung beeinflussen lassen. "Olympia ist groß, ich fühle mich hier sicher", sagt sie: "Meine größten Sorgen sind Covid und eine mögliche Quarantäne.“ Auch ihren schwedischen Kollegen Jens Bornemann von der Nachrichtenagentur TT Nyhetsbyrån treibt diese private Sorge in Peking am meisten um: "Das Schlimmste sind die täglichen Tests und die Ungewissheit."

"Nie daran gewöhnen"

AIPS-Chef Merlo sieht dagegen eher die grundsätzlichen Gefahren der Pandemie für den Sportjournalismus. Die Beschränkungen, die Gastgeber mit Anti-Covid-Maßnahmen rechtfertigen, seien eine große Bedrohung. Selbst die größten Sender wie der US-Rechteinhaber NBC hätten ihre Olympiateams drastisch verkleinert. "Daran dürfen wir uns niemals gewöhnen, wenn wir nicht wollen, dass wir langfristig an Einfluss verlieren", sagt Merlo.

Andere sehen das Kernproblem in Peking darin, dass Kontakt mit der Bevölkerung außerhalb der Bubble fehlt. Längst nicht alle Journalisten trauen der Darstellung von Gastgeber und Ausrichter, die Spiele sollten vor allem 300 Millionen Chinesen zum Wintersport bringen. "Wer wie wir einen Korrespondenten außerhalb der Bubble hat, muss diese Aussage und diese Zahl doch schon stark bezweifeln", sagt Christoph Becker.

Stapelweise Propaganda

Der sportpolitische Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sammelte in den vergangenen Tagen chinesische Propaganda-Publikationen, die im internationalen Pressezentrum in Peking täglich stapelweise ausliegen. Ein offizielles Blatt des Organisationskomitees war an den Tagen nach der Eröffnungsfeier quasi ausschließlich Staatspräsident Xi Jinping gewidmet. "So viel zum Thema unpolitisches Olympia", sagt Becker.

Viele Journalistinnen und Journalisten hoffen auf Besserung durch die kommenden Olympia-Gastgeber, denn Peking ist der vorerst letzte in einem autoritär regierten Land. Es folgen Paris (2024), Mailand/Cortina (2026), Los Angeles (2028) und Brisbane (2032). Vielleicht fällt dort die Gratwanderung leichter.