Olympia | Bob Bob-Legende Lange: "Die großen Abstände stimmen mich nachdenklich"

Stand: 20.02.2022 12:30 Uhr

André Lange ist einer der erfolgreichsten Bobsportler der Geschichte. In den vergangenen Jahren hat er das chinesische Team betreut. Wie bewertet er die Bobbahn, seine Arbeit in China, die Entwicklung der Sportart. Und was sagt er zu Dominator Francesco Friedrich? Wir haben nachgefragt.

Frage: Die Bob-Wettkämpfe von Peking sind beendet. Wie werden die Winterspiele 2022 aus Sicht der Bobfahrer in Erinnerung bleiben?

André Lange: "Wir haben eine der tollsten Bahnen gesehen, die es gibt auf der Welt. Wir haben gesehen, was man machen kann. Aber. Ausrufezeichen. Diese Größe der Bahn, das ist einfach too much aus meiner Sicht.

In der Sportart haben wir tolle Erfolge der Deutschen gesehen. Was mich nachdenklich stimmt, sind die großen Abstände. Da ist zu hinterfragen, wie es weitergehen soll. Wir brauchen geringere Abstände."

Ist nur das Material für die großen Abstände verantwortlich?

André Lange: "Nehmen wir das Beispiel Francesco Friedrich: Fahrerisch war er überragend, auch der Start hat gestimmt. Das ist ein Indiz, dass er ganz verdient da oben steht. Extrem geholfen hat aber das Material. Hier haben wir einen eklatanten Unterschied. Die FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sporttechnologie, d.Red) hat einen unglaublichen Job gemacht über die letzten Jahre. Andere Länder haben diese Strukturen und die Möglichkeiten nicht. Da müssen wir aufpassen, dass alle anderen Länder auch ihr Zeug abbekommen. Trotzdem sind die Deutschen verdient Olympiasieger."

Die Bahn ist sehr wuchtig, steht in einem Naturschutzgebiet. Zudem wurden Sorgen geäußert, dass dieses riesige Bauwerk ab jetzt nur einmal pro Jahr für chinesische Meisterschaften befahren wird und sonst ungenutzt bleibt. Sie waren Trainer in China. Welche Zeichen gibt es für eine nachhaltige Nutzung?

André Lange: "Nach meinen Informationen möchte China die Bahn auch künftig weiter nutzen. In welchem Rahmen und Umfang weiß ich aber nicht."

Sie waren in den vergangenen Jahren Trainer des chinesischen Bobteams. Wie blicken Sie auf ihre Arbeit zurück? Schaut man auf die Ergebnisse, stehen da zwei Top-10-Platzierungen im Monobob und sonst Platzierungen jenseits der Top 10 ...

André Lange: "Mit meinem Chef Pierre Lüders haben wir auch schon Bilanz gezogen. Wenn wir nicht da gewesen wären, wäre wegen der Nationenregelung vielleicht nur ein Bob gestartet. Und dieser Bob hätte unter Umständen gar nicht das Finale im vierten Lauf erlebt. Für eine Nation, die vorher noch nie Berührungen mit dem Bobsport hatte, ist es dann doch ein Erfolg. Dass alles neu ist und dass wir mit Corona zu tun hatten, hat die Arbeit aber sicher nicht leichter gemacht. Bei den Weltcups haben wir schon auch Achtungserfolge erzielt."

Wird Bobsport in China auch nach Olympia gefördert?

André Lange: "Ja, China will sein Förderprogramm auf- und ausbauen."

Gibt es für Sie eine Zukunft als Trainer der Chinesen?

André Lange: "Mein Vertrag endet nach Olympia. Ich würde aber auch nicht weitermachen wollen. Ich will mich noch einmal anders orientieren."

Bleiben Sie dem Bobsport erhalten? Was machen Sie künftig?

André Lange: "Der Plan ist, im Bobsport zu bleiben. Mehr möchte ich noch nicht sagen."

Wie unterscheidet sich die Arbeit mit chinesischen Sportlern im Vergleich zur Arbeit in Europa?

André Lange: "Wir hatten junge Sportler, die alles gemacht haben, was man ihnen gesagt haben, die mir am Ohr geklebt haben. Sie versuchen, alles umzusetzen. Sie sind wissbegierig und hungrig. Manchmal versuchen sie aber, mehr meine Interessen durchzusetzen als ihre eigenen."

Ist das ein Problem? In der Bahn muss man ja schon eigene Entscheidungen treffen ...

André Lange: "Das mussten sie erst lernen. Das war für die Sportler tatsächlich das größte Problem."

Wie blicken Sie auf vier Jahre Arbeit in China zurück?

André Lange: "Es gab nicht allzu viele gute Erinnerungen, bis auf die Bauten, die wir gesehen haben. Sonst haben wir viel Quarantäne erlebt. Eingesperrt ist nicht das richtige Wort, wir haben uns aber schon ein bisschen so gefühlt. Wir haben lange in einem kleinen Kreis gelebt. Wir waren in einem Hotel und sind jeden Tag zur Bahn und zurückgefahren. Mehr haben wir nicht gesehen, obwohl da noch nicht die Olympia-Regeln galten. Wir hatten keine Möglichkeit, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Und das Essen war sehr eintönig. Das war auf die Dauer eine richtige Belastung."

Francesco Friedrich hat mit seinem Sieg im Vierer als erster Bobfahrer in zwei Spielen in Folge den Zweier- und Vierer-Wettkampf gewonnen. Mit der Anzahl von Goldmedaillen ist er mit Ihnen gleichgezogen. Was macht "Franz“ Friedrich so besonders?

André Lange: "Er ist in seiner Epoche der erfolgreichste Sportler. Er hat viele Möglichkeiten gehabt und diese Möglichkeiten brutal ausgenutzt. Mit viel Fleiß, die Technik hat gestimmt, er hat ein tolles Team. Man sollte in den Statistiken aber auch Sportler wie Wolfgang Hoppe oder auch Meinhard Nehmer nicht vergessen. Wenn ich sehe, welche Bahnen die beiden runtergefahren sind, ziehe ich meinen Hut. Das Gesamtpaket Francesco Friedrich ist seit Jahren das beste auf der ganzen Welt. Das muss man neidlos anerkennen."

Friedrich wirkt immer rastlos, immer selbstkritisch, tüftelt permanent an Kleinigkeiten. Ist es diese Akribie, die ihn so dominant macht?

André Lange: "Ja, das kann man schon sagen. Es gibt viele erfolgreiche Sportler, die genau diese Eigenschaften haben. Sportler, die sich nie zufriedengeben, die immer das Haar in der Suppe suchen. Das sind Eigenschaften, die für eine erfolgreiche Karriere mit verantwortlich sind."

Wie betrachten Sie, dass Francesco Friedrich in den vergangenen Jahren einen von ihnen einst aufgestellten Rekord nach dem anderen eingestellt hat?

André Lange: "Ich gönne ihm jede Medaille und jeden Rekord. Er hat es sich ja auch verdient. Warum soll ich was dagegen haben? Warum soll ich ihm da nicht gönnen? Ich verstehe nicht, warum Menschen so etwas denken könnten."

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führte Dirk Hofmeister