Olympia | IOC-Kritik Taiwan fürchtet chinesischen Überfall im Schatten Olympias

Stand: 17.02.2022 04:00 Uhr

Das Internationale Olympische Komitee behauptet stets, sich aus der Politik herauszuhalten. Taiwan dient als Kronzeuge, um das IOC dabei der Lüge zu überführen.

Von ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt, Jörg Mebus, Peter Wozny, Jörg Winterfeldt

Als die Eröffnungsfeier begann, hatten die Olympischen Winterspiele in Peking ihren ersten diplomatischen Zwischenfall schon hinter sich. Die Eisschnellläuferin Huang Yu-ting trug mit ihrem Landsmann Ho Ping-jui, einem Skirennläufer, die olympische Flagge von Chinesisch Taipeh in das Olympiastadion.

Eröffnungsfeier: Teilnahme Taiwans auf Druck des IOC?

Beide kommen aus Taiwan, jenem Inselstaat vor China, der aufgrund der Ein-China-Politik von vielen Ländern nicht offiziell anerkannt wird. Und eigentlich hatte Taiwans Regierung ihre Athleten von der Zeremonie plausibel entschuldigt:

Wegen der großen Covid-Ansteckungsgefahr müssten die Athleten leider beim Schaulaufen passen. Doch dann soll das Internationale Olympische Komitee immensen Druck ausgeübt haben, dem offensichtlich die Party wichtiger war als die Gesundheit der Athleten für die Wettkämpfe.

China will Taiwans Anerkennung verhindern

Der Hintergrund ist selbstverständlich völlig politisch: China ist die Unabhängigkeit von Taiwan ein Dorn im Auge, für Staatsführer Xi Jinping ist sie ein temporäres Ärgernis, das er versprochen hat, durch einen Vorgang zu lösen, den er Wiedervereinigung nennt.

Auf der 23,5 Millionen-Einwohner-Insel Taiwan nennen sie es kriegerische Annexion und leben in ständiger Furcht. China übt weltweit Druck aus, um Taiwans Anerkennung zu verhindern. Das erklärt auch den künstlichen Namen und die seltsame Flagge bei Olympia.

Haft für den Bürgerrechtler

"Taiwan wird immer wieder mit der Aufforderung schikaniert oder dazu gezwungen, diese Kunst-Bezeichnung anzunehmen und nicht unseren Namen. Wir werden erpresst, denn unsere politische Lage ist ja durch den Druck von China so stark beschädigt, dass wir, wenn wir protestieren würden, fürchten müssten, dass man unseren Sportler das Recht, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, wegnehmen könnte. Leider hat das IOC da mitgewirkt", sagt der offizielle Repräsentant Taiwans in Deutschland, Shieh Jhy-Wey im Sportschau-Interview:

"Das rührt daher, dass die Volksrepublik China militärisch wie auch wirtschaftlich so mächtig ist und ungerechtfertigt den Anspruch erhebt, Taiwan als abtrünnige Provinz von China zu betrachten - was ja schon deswegen nicht stimmen kann, weil seit der Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 unsere Inselrepublik Taiwan keinen einzigen Tag von dort regiert wurde. Das ist also ein politisches Komplott oder wenigstens eine politische Schikane, die wir nicht verdienen."

Bei den Spielen in Peking hat Taiwan nur drei Athleten am Start, neben den beiden Fahnenträgern noch die Rodlerin Lin Sin-rong. Die Sportler sind in dem schwierigen Verhältnis der Staaten aufgewachsen. Sie haben es gelernt, zwischen den Systemen zu lavieren, denn allzu große Aufmüpfigkeit und Offenheit oder gar Kritik gegenüber der Volksrepublik kann gefährlich sein. So wurde der taiwanesischer Bürgerrechtler Lee Ming-che in der Volksrepublik zu fünf Jahren Haft verurteilt – der Vorwurf: "Untergrabung der Staatsgewalt".

Ärger um den Teamanzug des Feindes

Die ständige Bedrohung durch den riesigen Nachbarn führt zuweilen bei verunsicherten Sportlern und im Volk zu einer Art vorauseilendem Gehorsam. So irritierte die Eisschnellläuferin Huang vor den Winterspielen ihre Landsleute, als sie in sozialen Medien ein Foto vom Training in einem neuen Teamanzug postete: jenem der Nationalmannschaft der Volksrepublik.

Und als in Taiwan etwa das Volk vor einigen Jahren abstimmte, ob der Versuch unternommen werden sollte, bei Olympia einen ehrlichen Namen durchzusetzen, stimmte eine Mehrheit dagegen.

"Ich kann jedem versichern", sagt der Chefdiplomat Jhy Wey Shieh, "würde die Gefahr nicht bestehen, dass wir dafür bestraft werden könnten, würden 99, wenn nicht gar 100 Prozent der Bevölkerung sagen: Ja, wir nennen uns Taiwan, und wir sind eine Demokratie. Wir wollen mit dem Namen Taiwan teilnehmen an UNO, an Olympischen Spielen und an allen internationalen Gesellschaften."

Fremdschämen für den IOC-Chef

Vor diesem Hintergrund wird in Taiwan das Treiben des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach und seine Anbiederung bei Chinas Staatsführer Xi Jinping besonders kritisch beäugt. "Dass Xi Jinping einen olympischen Orden bekommen hat, unabhängig von wem, das war nicht richtig. Ich hätte ihm keinen Orden gegeben, das wäre mir peinlich gewesen. Mir treibt es die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, wie viele friedliche Menschen, intellektuelle Menschen, auf der Strecke geblieben sind, nur weil sie auf eine ganz, ganz bescheidene Weise ein bisschen Menschenrechte verlangt haben", sagt Taiwans Gesandter Jhy Wey Shieh.

"Das ist das Regime Xi Jinping, und die bekommen Beifall bei der Eröffnungsfeier mit ihrem Militarismus, mit Soldaten im Stechschritt mit der Flagge. Leider passiert das Gegenteil von dem, was man erwartet von Olympischen Spielen. Ich habe mir dabei gesagt, dass nur ein ungläubiger Thomas in der Lage ist, die Glaubwürdigkeit dieser Organisation nicht den Bach runter gehen zu lassen."

Taiwan befürchtet chinesischen "Blitzkrieg"

Besonders alarmiert registriert Taiwan die Entwicklungen rund um die Ukraine, seit die Staatsführer Russlands und Chinas die olympische Bühne für bilaterale Gespräche genutzt haben. Im Inselstaat ist man darauf vorbereitet, dass die beiden Männer die Pervertierung der olympischen Ideale mitsamt des olympischen Waffenstillstandes diskutiert haben.

"Ich kann mir gut vorstellen, wenn in China nach dieser Ära der Olympiade sozusagen zu Hause der Nationalismus richtig geschürt worden ist, dass sie dann sagen: Ja, jetzt machen wir den Sack zu. Wir sind auf jeden Fall darauf vorbereitet für den Fall, dass China Taiwan mit einem Blitzkrieg erobern möchte", sagt Jhy Wey Shieh.

Er fürchtet eine Ablenkung der Schutzmächte des Landes durch eine Front in Europa im Schatten Olympias. "Ohne dass Putin mit Xi Jinping gemeinsam diesen Plan schmiedet, ist es schon für uns schlimm genug. Es wäre natürlich noch schlimmer, wenn die Ukraine-Krise nicht gelöst wird. Das heißt eventuell Krieg", sagt Jhy Wey Shieh, "dann sind die Europäer fest gefesselt an diese Krise, die Amerikaner nicht weniger. Ja, da fragt man sich natürlich, ob China darin eine Chance sieht, Taiwan anzugreifen, ohne sich großartige Sorgen zu machen zu müssen."