Missbrauch im Sport Zentrum für Safe Sport: Aus den Fehlern anderer lernen

Stand: 01.12.2021 17:38 Uhr

Der Sport hat wiederholt mit Missbrauchsskandalen zu kämpfen. Der Verein „Athleten Deutschland“ setzt sich deshalb für die Gründung eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport ein. Könnten die USA ein Vorbild sein?

Von Katarina Schubert

Fast wöchentlich wird die Sportwelt von Missbrauchsskandalen erschüttert, auch weil sich Athletinnen und Athleten immer häufiger mit ihren Gewalterfahrungen an die Öffentlichkeit wagen. Zuletzt tat dies die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai, deren Aufenthaltsort weiterhin unbekannt ist. Doch auch in Deutschland meldeten sich in den vergangenen Jahren vermehrt Betroffene zu Wort, so zum Beispiel im Turnen, Boxen oder Schwimmen.

Dass interpersonale Gewalt hierzulande ein weitverbreitetes Problem darstellt, belegt auch die Studie "Safe Sport", wonach mehr als ein Drittel der befragten Kaderathleten und -athletinnen angaben, in ihrer Karriere bereits sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. 89 Prozent berichteten von psychischer, 29 Prozent von körperlicher Gewalt.

"Athleten Deutschland" fordert Zentrum für Safe Sport in Deutschland

Viele dieser und anderer Fälle bleiben im Verborgenen. "Im Gespräch mit Betroffenen stellt sich oftmals heraus, dass das Vertrauen in den organisierten Sport fehlt", so Maximilian Klein vom Verein "Athleten Deutschland" gegenüber der Sportschau. Viele hätten Angst, dass ihnen entweder nicht geglaubt oder nicht gehandelt werde. Das liege auch an den Strukturen des Sports selbst. Beziehungsgeflechte und Interessenskonflikte sowie ungleiche Machtverhältnisse – all dies seien Faktoren, die den Kampf gegen den Missbrauch im Sport erschwerten.

Deshalb braucht es laut "Athleten Deutschland" ein vom organisierten Sport unabhängiges Zentrum für Safe Sport, das unter anderem die Untersuchung sowie gegebenenfalls Sanktionierung von Missbrauchsvorwürfen zur Aufgabe haben soll. "Das Ziel ist es, Betroffenen von unabhängiger Seite Gehör zu schenken, damit sie die Unterstützung bekommen, die ihnen zusteht", sagt Maximilian Klein. Diese sehe nämlich je nach Verband unterschiedlich aus. "Es darf nicht sein, dass der Zufall, die Sportart oder Region darüber entscheiden, wie hoch das Schutzniveau für Athleten oder Athletinnen ist."

"Safe Sport" im Koalitionsvertrag, Skepsis beim DOSB

Mit ihrem Vorhaben erntete "Athleten Deutschland" große Zustimmung aufseiten der Betroffenen, Wissenschaft sowie Politik. So gab das Bundesinnenministerium eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, deren Ergebnisse noch im Dezember erwartet werden. Auch die neue Bundesregierung sicherte "Athleten Deutschland" Unterstützung zu und nahm den Vorschlag in den Koalitionsvertrag auf.

Große Skepsis herrscht dagegen noch beim DOSB. Die Gründung eines Safe-Sport-Zentrums sei nicht der "Königsweg", Sportverbände und -vereine müssten selbst Verantwortung für den Schutz vor Gewalt im Sport übernehmen, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme im Mai. Der DOSB steht jedoch vor Neuwahlen, am Wochenende soll in Weimar eine neue Führungsspitze gefunden werden. Von der wünscht sich Maximilian Klein eine aktivere Beteiligung an der Debatte um unabhängige Strukturen im Kampf gegen den Missbrauch im Sport. "Ohne die Befürwortung und Akzeptanz der Verbände wird die Umsetzung eines Safe-Sport-Zentrums nicht funktionieren. Wir müssen den organisierten Sport mitnehmen." 

"U.S. Center for SafeSport" mit Startschwierigkeiten

Die Idee für ein Zentrum Safe Sport ist nicht neu. Vor allem Nationen aus dem englischsprachigen Raum setzen im Kampf gegen Missbrauch schon seit längerem auf unabhängige Organisationen. So auch in den USA, wo 2017 als Folge des Missbrauchsskandals im Turnen das  "U.S. Center for SafeSport" gegründet wurde. Dessen Aufgabe liegt seitdem in der Untersuchung, Sanktionierung und Prävention von Missbrauch jeglicher Art in den olympischen Sportarten – unabhängig vom olympischen Dachverband USOPC oder den nationalen Verbänden. Über die hat das Safe-Sport-Center die Gerichtshoheit inne.

Doch mit der Unabhängigkeit ist es so eine Sache. Da die Mittel hauptsächlich vom USOPC selbst kommen, bemängeln viele Betroffene die fehlende Neutralität des Safe-Sport-Centers. Es sei überdies unterfinanziert, die Mitarbeiter seien mit der großen Flut an Fällen überfordert und die Verfahren kaum betroffenenzentriert. Zumindest was die Finanzierung angeht, gelang nun aber ein Durchbruch, nach dem Eingreifen der US-Politik: Im vergangenen Jahr wurde das USOPC gesetzlich dazu verpflichtet, das jährliche Safe-Sport-Budget um das Dreifache zu erhöhen.

Safe Sport: Aus den Fehlern anderer lernen

Die Frage nach der Finanzierung und Unabhängigkeit stehen auch in Deutschland im Raum. "Nichts wäre schlimmer, als wenn eine solche Safe-Sport-Organisation unterfinanziert und von nur einer Partei finanziell abhängig wäre", gibt Maximilian Klein zu bedenken "Das hat in den USA zu sehr viel Frust und Vertrauensverlust geführt. Deshalb sollten wir von den Erfolgen, aber auch von den Fehlern anderer Nationen lernen und es beim Aufbau eines deutschen Zentrums von Anfang an richtig machen."

Sofern nicht die operative Unabhängigkeit eingebüßt wird, können sich "Athleten Deutschland" eine Mischfinanzierung aus Bund, Ländern und dem organisierten Sport vorstellen. Ob es aber nach US-Vorbild aufgebaut wird oder sich am Beispiel Australien orientiert, wo sich eine übergeordnete Organisation allen Integritätsfragen des Sports widmet, ist noch offen. Selbst ins Spiel brachte sich im Oktober zudem die Nationale Anti-Doping-Agentur, die sich ebenfalls vorstellen kann, als Anlaufstelle zu fungieren.