Cricket-Frauen des AC Berlin  Frauen-Cricket made in Berlin

Stand: 21.09.2021 06:10 Uhr

Vor fünf Jahren entwickelte sich in Hellersdorf eine kleine Cricket-Gruppe. Inzwischen ist beim AC Berlin das erste Frauen-Team der Hauptstadt angesiedelt. Nach einer erfolgreichen Premierensaison haben die Cricket-Damen hohe Ziele.

"Das erzählen wir dir am besten zu dritt", sagt Hannah Page, als wir nach dem Training am Rand der Wiese in Hellersdorf stehen, die den Cricket-Frauen des AC Berlin als Platz dient. Gefragt hatte ich danach, wie sich ausgerechnet hier zwischen Plattenbauten im Berliner Osten vor einem Jahr das erste Frauen-Cricket-Team der Stadt gründete. Neben der erst 18-jährigen Deutsch-Engländerin Hannah Page stehen Afshan Bi aus Pakistan und Madhvi Tiwari aus Indien. Die beiden sind zwei der erfahreneren Cricket-Spielerinnen im Verein.

Geflüchtete Afghanen und ein Engländer brachten Cricket nach Hellersdorf

"Ein Männer-Team gab es hier schon länger", berichtet Hannah Page. Ihr Vater Adam hat es gemeinsam mit zwei afghanischen Männern aus der benachbarten Geflüchtetenunterkunft in der Maxie-Wander-Straße ins Leben gerufen. Habib Safi und Sajid Khan begannen auf der Naturfläche vor der Unterkunft, Cricket zu spielen. Der englische Künstler Adam Page sah es, war begeistert und half beim Bau eines Platzes und der Organisation eines Teams. Das war etwa 2016. Heute ist Adam Page Co-Leiter der Cricketabteilung beim AC Berlin und Habib Safi Spieler im Regionalliga-Team der Männer und Trainer der Frauen. Er hat in den anderthalb Stunden vor meinem Gespräch mit Hannah, Afshan und Madhvi mit den insgesamt 17 Spielerinnen das Werfen, Schlagen und Fangen trainiert.
 
Und damit zurück zur Entstehungsgeschichte dieses Teams. "Wir haben uns gedacht, es gibt viele Inderinnen in Berlin und hier direkt um die Ecke, in der Geflüchtetenunterkunft, gibt es auch Frauen, die Cricket in ihrer Heimat spielten. Wir haben den Platz hier, was selten ist in Berlin, also fragte mich mein Vater, ob wir das nicht angehen wollen, ein Frauen-Team zu gründen", berichtet Hannah Page. Sie druckten Flyer, warben online und gingen an Schulen, um ihre Idee zu verbreiten. Richtig Schwung bekam die Sache, als Hannah bei einem Workshop des deutschen Nationaltrainers am Olympiastadion die beiden Frauen kennenlernte, die jetzt neben ihr stehen.

"Ich war sehr überrascht, dass es in Berlin kein Frauen-Team gab"

"Ich habe davor in München gelebt und schon dort auch Cricket gespielt", berichtet Madhvi Tiwari, die den Sport aus ihrer Kindheit in Indien kennt. Dort ist Cricket Volkssport, wie hier Fußball. Die 35-Jährige zog im vergangenen Jahr für einen neuen Job nach Berlin. "Ich war sehr überrascht, dass es hier kein Frauen-Cricketteam gab", berichtet Tiwari, schließlich sei Berlin eine internationale Stadt. "Wir drei (Anm.: Hannah Page, Madhvi Tiwari und Afshan Bi) haben uns also zufällig bei diesem Event getroffen und haben gesagt: Gut, wir sind schon drei, lass uns das starten."
 
Afshan Bi war da noch ganz neu in Berlin. Sie hatte aber vorher schon in der deutschen Cricket-Bundesliga gespielt - für Magdeburg. So eingespielt wie auf dem Spielfeld sind die drei auch im Gespräch - nahtlos übernimmt Afshan jetzt die Fortführung der Geschichte. "Als ich hier ankam, waren wir so vier, fünf Frauen. Das war auch Anfang diesen Jahres noch so. Aber ich habe gesagt: Nein, wir müssen in der Bundesliga spielen, wir müssen dranbleiben. Also haben wir richtig Marketing gemacht. Eine Zeit lang habe ich 40 Minuten am Telefon auf Leute eingeredet und gesagt: Das ist eine tolle Gelegenheit, du wirst Cricket in der Bundesliga spielen", berichtet sie und wirkt dabei sehr stolz.

Ein Spiel wie Baseball oder Brennball

Cricket ist eine riesige Leidenschaft für Afshan Bi. Beim Training kommt sie auf mich zu und drückt mir den Trainingsball in die Hand - einen Tennisball, der mit Tape umwickelt ist. Richtige Spielbälle sind hart und bestehen aus Kork und Leder. "Wirf du mal", sagt sie und zeigt, wie die besondere Wurftechnik funktioniert. Den Ball mit Zeige- und Mittelfinger von oben und dem Daumen von unten fixieren - während des Wurfes bleibt der Arm gestreckt und wird von hinten obenrum nach vorne geschwungen. So schleudert sie den Ball mehr als dass er geworfen wird.
 
Ihr gegenüber auf dem "Pitch" steht eine Gegenspielerin mit Schläger. Das Spiel erinnert, sehr vereinfacht gesagt, an Baseball oder Brennball. Das "Pitch" ist der circa 20x3 Meter große Streifen, auf dem der Hauptteil des Spiels abläuft. Die Werferin (genannt "Bowler") schleudert den Ball, die Schlagfrau ("Bats(wo)man") muss ihn wegschlagen und dann möglichst oft zwischen zwei "Wickets" (Holzstäbe) hin- und herrennen. Jeder "Run" gibt Punkte. Die andere Mannschaft muss, wie beim Brennball, versuchen, den Ball zurück zum "Pitch" zu bringen und einen Holzstab abzuwerfen. Das ist im Grundsatz das, was auch auf der Wiese in Hellersdorf geübt wird.

Die erste Bundesliga-Saison beginnt mit einem Sieg

Nun aber weiter mit der Gründungsgeschichte des Berliner Frauen-Teams. "Am Ende unserer Werbeaktion hatten wir 15, 16 Frauen zusammen", erzählt Afshan Bi. Wobei einige von ihnen eher noch Mädchen waren. Auch drei afghanische Schwestern aus der benachbarten Geflüchtetenunterkunft schlossen sich dem Verein an. Sie kannten den Sport von Zuhause und waren froh, endlich mal wieder spielen zu können. Der AC Berlin meldete sich für die Bundesliga an - eine große Herausforderung. "Dann haben wir trainiert. Zwei Tage am Wochenende und unter der Woche wann immer alle Zeit hatten, schließlich arbeiten wir alle Vollzeit in Berlin", sagt Afshan Bi. Jetzt sind wir am Anfang dieses Sommers angekommen. Und beim Bundesliga-Auftakt.
 
Den Auftakt gewinnen die Frauen des AC Berlin sehr überraschend gegen Dresden. "Das war genau das, was wir brauchten", sagt Bi und grinst breit. Und die Erfolgsgeschichte geht weiter - auch die folgenden beiden Spiele in Magdeburg gewinnen die Hellersdorferinnen. "Wir waren ein bisschen geschockt und konnten es kaum glauben", ergänzt Hannah lachend. "Ein Highlight", sagt Madhvi Tiwari. Sie ist inzwischen die Kapitänin. Das Team ist ziemlich multikulturell. Aus Indien, Pakistan und Afghanistan kommen einige Spielerinnen, aber auch aus Frankreich, Italien, England oder Georgien. Nur Deutsche gibt es kaum - in beiden Teams des AC Berlin. "Es haben einige schon ausprobiert und wir haben eine deutsche Spielerin und ein paar Kinder, die kommen und gehen", sagt Adam Page, "das muss noch wachsen."

In Indien und Pakistan ist Cricket Volkssport - auch für Frauen

Cricket ist in Deutschland noch eine kleine Nummer. Etwa 1.000 Spielerinnen und Spieler gibt es in Berlin, schätzt Adam Page. Deutschlandweit sollen es um die 15.000 sein, laut Webseite des Deutschen Cricket Bunds. Die meisten davon sind allerdings Männer. Nur etwa 30 Frauen-Teams gibt es landesweit, 12 davon spielen in einer wettkampforientierten Liga. Das ist in Indien oder Pakistan anders, berichten Afshan Bi und Madhvi Tiwari. "Bei uns ist es so groß wie Männer-Cricket", sagt Afshan Bi. "Und das ist doch super", findet Hannah. Sie spielt nicht nur Cricket, sondern auch Fußball, den deutschen Nationalsport und da ist man von solchen Aussagen noch sehr weit entfernt - freundlich formuliert.
 
Das deutsche Cricket steckt insgesamt aber in sehr kleinen Kinderschuhen. Der provisorische Trainingsplatz des AC Berlin, in seiner Fläche eigentlich viel zu klein uns selbst erarbeitet, ist sogar schon eine richtig gute Möglichkeit in Berlin um Cricket zu spielen. Das sagt einiges aus, denn eigentlich bräuchten sie einen echten "Ground", so einen gibt es nur auf dem Maifeld am Olympiastadion. Der rasante Aufstieg des Teams im deutschen Frauen-Cricket ist also auch in diesem Gesamtbild einer Sportart im Anfangsstadium zu betrachten. Das soll ihren Erfolg aber nicht schmälern. Immerhin gewannen die Berlinerinnen als Neulinge auf Anhieb die Bundesliga Ost, erst im Halbfinale war Schluss mit ihrem Lauf - gegen Frankfurt.

Hohe Ziele: Mehr Mitglieder, Kindertraining und Nachwuchs-Nationalspielerinnen

Die Ziele von Hannah, Madhvi und Afshan für den Verein und ihr Team sind vielfältig. Hannah Page möchte den Cricket-Verein vor allem in der Breite weiterentwickeln, ihr Traum ist es, junge Mädchen an den Sport heranzuführen und ihnen ein Angebot zu schaffen. "Es ist euer Sport, den ihr Zuhause am meisten spielt - so wie wir halt Fußball haben", sagt sie zu den anderen beiden gewandt, "ich finde es toll, wenn wir hier in Berlin ein Angebot schaffen können, dass Menschen aus anderen Ländern ihrem Lieblingssport nachgehen können."
 
Afshan Bi denkt eher wettkampforientiert. Ihr Ziel ist es, das Team im Cricket zu verbessern, das merkt man ihr an. "Wir haben zum Beispiel eine junge Spielerin, die eine super "Ballerin" ist, sie ist erst 19 Jahre alt und die schnellste Werferin, die ich in Deutschland gesehen habe. Sie wollen wir technisch verbessern", beschreibt sie. Bald will sie die talentiertesten drei Spielerinnen des ACB bei einem Lehrgang für U19-Frauen beim Deutschen Cricket Bund mitspielen lassen. "Vor vier Monaten kannte niemand den AC Berlin, jetzt wissen alle im deutschen Frauen-Cricket von uns", sagt sie stolz. Um mehr Mitspielerinnen zu akquirieren, veranstaltet der Verein Turniere und wirbt an Schulen. Berlin soll eine wichtige Stadt im Frauen-Cricket werden. "Wir sind optimistisch, dass du nach der nächsten Bundesliga-Saison wieder hierher zum Interview kommst, das ist doch auch ein gutes Ziel", sagt Afshan Bi lachend zum Abschied.
 
Sendung: UM6, 21.09.2021