Beachvolleyballerin Karla Borger

Interview mit Karla Borger Gleichstellung im Sport: "Noch lange nicht dort, wo wir sein sollten"

Stand: 23.12.2021 10:36 Uhr

Seit einigen Wochen ist Beachvolleyballerin Karla Borger Präsidentin von Athleten Deutschland. Im Interview mit der Sportschau spricht sie über die Chancen für Athletinnen, sich im Sport selbst zu verwirklichen, und erklärt, wo im deutschen Sportsystem noch Nachholbedarf besteht.

Frau Borger, inhaltlich will sich Athleten Deutschland in den kommenden Monaten neben den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking und dem "Zentrum für Safe Sport" auch der Gleichstellung von Athletinnen widmen. Was bedeutet für Sie dieser Begriff?

Karla Borger: Es geht dabei um die gleichen Verwirklichungschancen, also darum, dass Athletinnen ihren Sport so ausüben können, wie sie das möchten. Und was das angeht, sind wir noch lange nicht dort angekommen, wo wir sein sollten.

Wo sehen Sie hier den größten Bedarf?

Borger: Um das herauszufinden, hat Athleten Deutschland bereits vor meiner Amtszeit Interviews durchgeführt. Dabei haben die Athletinnen vier Kernbereiche genannt, die sie besonders bewegen und die noch ausbaufähig sind: sexualisierte Gewalt und Missbrauch, Medienberichterstattung und Vermarktung, zyklusbasiertes und geschlechterspezifisches Training sowie die Familienplanung im Spitzensport.

Den ersten Punkt geht Athleten Deutschland mit dem "Zentrum für Safe Sport" bereits an.

Borger: Genau. Dass es dieses Zentrum geben muss, zeigen Gespräche mit Betroffenen aus den vergangenen Jahren. Hier hat der Verein schon extrem gute Arbeit geleistet, die wir jetzt fortführen müssen. Daneben gibt es sehr viele weitere Themenbereiche, auf die wir uns leider nicht so stürzen können, wie wir das wollen. Durch die Interviews wissen wir jetzt aber, wie die Bedingungen und die Chancen auf Selbstverwirklichungen für Athletinnen im Sport stehen, und wo wir ansetzen müssen.

Wo zum Beispiel?

Borger: Das sind etwa die Medien. Sie sollten vielleicht darüber nachdenken, sich eine Quote aufzuerlegen, die dafür sorgt, dass auch der Sport, der von Athletinnen ausgetragen wird, entsprechend übertragen wird. Denn klar ist: Je mehr eine Sportlerin in den Medien stattfindet, umso mehr kann sie auch verdienen. Auch im Sportsponsoring könnte eine Klausel eingerichtet werden, die Athletinnen bei einer Schwangerschaft schützt und ihnen nach der Geburt ermöglicht, wieder in den Sport zurückzukehren, wenn sie das möchten. Und dann wäre da auch noch der Bereich des zyklusbasierten Trainings.

Haben Sie damit selbst schon Erfahrungen gemacht?

Borger: Ich habe diesen Aspekt mittlerweile in meinen Trainingsplan eingebaut. Ich hatte die Pille viele Jahre durchgenommen und gar keine Periode bekommen. Nachdem ich sie abgesetzt habe, haben sich mir Fragen gestellt wie: Was passiert, wenn ich blute und gerade einen Wettkampf habe? Was ist, wenn ich dabei Schmerzen habe? Beispielsweise beim World Tour Final habe ich zu Beginn des Turniers meine Periode bekommen und hatte währenddessen Schmerzen. Ich hatte auch das Gefühl, meinen Bauch nicht zu 100 Prozent ansteuern zu können. Dass ich das Turnier sogar mit meiner Periode gewonnen habe, hat mich stolz gemacht.

Was aber nichts ist, worüber Sie öffentlich sprechen …

Borger: Das ist eine sehr private Sache. Aber wir sind Frauen und da gehört die Periode dazu. Ich muss mir eingestehen dürfen, dass ich bei Schmerzen vielleicht besser einen regenerativen Tag einlege, weil ich nicht richtig trainieren kann. Einige männliche Trainer können mit dem Begriff des zyklusbasierten Trainings noch nicht richtig umgehen oder wissen zu wenig darüber. Daher ist es wichtig, darüber zu sprechen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Keine Sportlerin soll sich für ihre Periode schämen müssen.

Sie selbst wurden ja bislang vor allem von Männern trainiert, oder?

Borger: Ich bin mit vielen Trainern aufgewachsen und habe das nie als schlimm oder ungleich empfunden. Aber im Nachhinein fällt mir schon enorm auf, dass ich nur zwei Trainerinnen in meiner Karriere hatte. Ich mache gerade selbst den A-Trainerschein im Beachvolleyball und bin dabei fast die einzige Frau. Das ist Wahnsinn. Es ist wichtig, dass man als Verein und Verband die Möglichkeit bietet, weitere Trainerinnen zu entwickeln und das auch mit der Familienplanung zu vereinen.

Haben Sie sonst in Ihrem Sport ein großes Ungleichgewicht zwischen Athletinnen und Athleten wahrgenommen?

Borger: Im Beachvolleyball kann ich mich glücklich schätzen, denn wir sind sehr gut aufgestellt, was den Vergleich zwischen Männern und Frauen angeht. Auch Badminton ist da ein positives Beispiel. Krass ist natürlich der Frauenfußball, wo der Unterschied zu den Männern schon gravierend ist. Ein anderes Beispiel aus dem Wintersport, wo große Defizite bestehen, ist etwa Skispringen. Hier liegen die Chancen der Frauen noch weit hinter denen der Männer zurück.

Welche Ziele hat sich Athleten Deutschland für 2022 gesetzt, diese Chancen für Frauen zu verbessern?

Borger: Wir werden in den kommenden Wochen im Präsidium entscheiden, welche Themen wir konkret angehen und was wir uns finanziell erlauben können. Aktuell befinde ich mich noch in der Einarbeitungsphase und es kommen ja auch immer wieder aktuelle Themen dazu, was die Arbeit unglaublich spannend macht. Als nächstes finden die Winterspiele statt, wo wir ja auch schon zum Fall von Peng Shuai Stellung bezogen haben.

Und was steht sportlich 2022 für Sie an?

Borger: Hier schlittern wir gerade ein bisschen, da der Weltverband eine neue Tour mit einem anderen Punktesystem und neuen Kategorien aufgestellt hat. Wir wissen als Team daher noch nicht, in welchem Turnier wir starten werden. Besonders freue ich mich aber auf die European Championships in München. Ich bin auf das Gesamtkonzept gespannt und sehe die Zukunft des Sports in solchen Formaten. Ich hoffe, dass in München der Zauber aufkommt, der bei den Olympischen Spielen in Tokio gefehlt hat.

Das Gespräch führte Nina Probst