Sportpolitik | NADA Trotz Dopingverstrickung: Sportausschuss-Vorsitzender Ullrich im NADA-Aufsichtsrat

Stand: 18.03.2022 15:52 Uhr

Der Biathlon-Olympiasieger und ehemalige Trainer Frank Ullrich ist seit Dezember 2021 Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. In dieser Funktion ist er automatisch Mitglied im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA). Dass der Thüringer dieses Amt übernommen hat, sorgt angesichts seiner Verstrickung ins DDR-Dopingsystem für Überraschung und Unmut.

"Dem Aufsichtsrat gehören an …5. der/die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages oder ein vom Ausschuss benanntes Mitglied des Sportausschusses." So steht es unter Paragraph acht der Satzung der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA). Eine Formalie eigentlich, die nun aber für einige Aufregung sorgt. Denn seit dem 1. Januar hat nun Frank Ullrich (SPD) qua Amt einen Posten als NADA-Aufsichtsrat inne.

Verstrickungen ins DDR-Dopingsystem

Der Biathlon-Olympiasieger und langjähriger Bundestrainer war in das Dopingsystem der DDR verstrickt, was er bestreitet. Nun soll er Aufsicht führen über den Anti-Dopingkampf, eine fragwürdige Konstellation. "Die NADA ist eine der wichtigsten Institutionen in Deutschland, wenn es um das Thema 'sauberen Sport' geht. Wenn wir die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Institution bewahren wollen, darf im Aufsichtsrat niemand mit einer Dopingvergangenheit sitzen", sagt Fritz Güntzler, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Sportausschuss. "Solange die konkreten Anschuldigungen gegen Frank Ullrich nicht durch eine unabhängige Kommission aus dem Weg geräumt werden, sollte unser Sportausschuss-Vorsitzender aus Respekt allen Sportlerinnen und Sportlern gegenüber sein Amt im Aufsichtsrat der NADA niederlegen."

Güntzler zeigt sich überrascht, dass "nicht schon im Vorfeld der Wahl die Dopingvorwürfe öffentlich thematisiert wurden". Dabei waren die ja schon lange kein Geheimnis mehr: Schon 1991 beschuldigte der ehemalige DDR-Biathlet Jens Steinigen die ehemals in der DDR verantwortlichen Biathlon-Trainer Wilfried Boch, Kurt Hinze und Frank Ullrich, sie hätten ihn zur Einnahme von Dopingmitteln überreden wollen. Hinze verklagte den Athleten, verlor aber den Prozess vor dem Landgericht Mainz.

Im März 2009 warf auch der ehemalige DDR-Biathlet Jürgen Wirth den Trainern Bock und Ullrich Doping-Verwicklungen vor. Auch Ullrich habe als DDR- Biathlon-Trainer die Einnahme des Dopingmittels "Oral-Turinabol" mit angeordnet und die Einnahme mit überwacht. Ullrichs ehemalige Mannschaftskollegen vom ASK Oberhof Andreas Heß und Jürgen Grundler erklärten gegenüber der ARD-Dopingredaktion damals, dass Ullrich nicht die Wahrheit sage.

Kommission des DSV: "Unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus"

Ullrich wies alle Vorwürfe energisch zurück und betonte, dass er unter der Bezeichnung "unterstützende Mittel" im DDR-Leistungssport "Vitamine, Mineralsalze und physiotherapeutische Maßnahmen" verstanden habe. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) empfahl, die Angelegenheit Ullrich von der  Kommission für Dopingfragen klären zu lassen. Das wollte der Deutsche Skiverband (DSV), dessen Angestellter Ullrich damals war, nicht.

Der Verband und sein damaliger Präsident Alfons Hörmann, setzten eine eigene Untersuchungskommission ein, die im Juli 2009 feststellte, dass weder "arbeits- noch dienstrechtliche Schritte" gegen Frank Ullrich nötig seien. Die Kommission bescheinigte Ullrich einen "unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus".

Manche verstehen nicht, warum die Sache nun wieder hochgekocht wird. Auf Nachfrage, ob das mit Ullrich als Sport-Ausschussvorsitzender nicht nur wegen der immer noch im Raum stehenden Doping-Vorwürfe wirklich ein gelungener Coup sei, wurde auch aus Kreisen der SPD abgewinkt: Es sei alles geklärt – schließlich gebe es ja die Untersuchung des DSV. Und die Ausschussmitglieder sahen offenbar ebenfalls keine Probleme mit dem Kandidaten: Sie wählten ihn einstimmig mit einer Enthaltung.

NADA hat kein Problem mit Ullrich

Auch die NADA selbst hat mit dem Aufsichtsratsmitglied Ullrich offensichtlich kein Problem. Sie lässt auf Anfrage wissen: "Der Aufsichtsrat der NADA übt eine überwachende Funktion aus. Das operative Geschäft, inklusive aller strategischen Entscheidungen, wird vom Vorstand der NADA, Frau Dr. Andrea Gotzmann und Herrn Dr. Lars Mortsiefer seit September 2011 verantwortet. Diese grundlegende und klare Trennung von operativem Geschäft und Aufsichtsfunktion ist einer der wesentlichen Kernpunkte der Strukturreform der NADA im Jahr 2011 gewesen. Hierdurch ist es dem Stiftungsvorstand möglich, die Compliance-Anforderungen der WADA nach operativer Unabhängigkeit zu erfüllen."

CDU-Mann Güntzler sieht das anders: "Frank Ullrich hat es in den letzten Jahren versäumt, für Aufklärung zu sorgen, und versucht scheinbar seine Doping-Vergangenheit unter den Tisch zu kehren. Von einem Vorsitzenden des Sportausschusses im Deutschen Bundestag erwarte ich, dass er Konsequenzen aus den Anschuldigungen zieht und sich zudem für eine vollumfängliche Aufklärung seiner Doping-Vergangenheit einsetzt. Das wäre das einzig richtige Zeichen für 'sauberen Sport' in Deutschland."

Grüne fordern reinen Tisch

Auch Grünen-Obmann Philip Krämer, der auch stellvertretender Ausschussvorsitzender ist, sagt, man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Er verweist darauf, dass die Ampel-Parteien sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt haben, "die Dopingprävention stärker zu fördern und die Dopingvergangenheit Deutschlands mit Forschungsprojekten aufzuarbeiten". Zu diesem Zweck müsse auch die NADA unterstützt und weiter aufgewertet werden. "Daher ist es wichtig, dass dem Aufsichtsrat der NADA Personen angehören, die sich ohne jeglichen Zweifel für einen sauberen Sport einsetzen", sagt Krämer. "Im Sinne einer glaubwürdigen Anti-Doping-Politik des Deutschen Bundestages wäre daher zentral, dass Frank Ullrich reinen Tisch macht und darlegt, was er tatsächlich wusste.“

Frank Ullrich antwortete auf schriftliche Nachfrage des WDR nicht. Öffentlich äußern möchte sich auch die Obfrau und Sprecherin der SPD, Sabine Poschmann, nicht. Ein anderer Genosse bringt das, was offensichtlich viele denken, so auf den Punkt: "Würde man Sport bei uns wirklich ernst nehmen und hätte man vorher mal genauer bei der Wahl der Person hingeschaut, dann hätte man sich diese Diskussion, die zu erwarten war, sparen können."

Es gehe um Glaubwürdigkeit, eigene Ansprüche und die Art, wie man miteinander umgeht, sagen Sportausschuss-Mitglieder. Laut NADA-Satzung wäre es auch möglich, "ein vom Ausschuss benanntes Mitglied des Sportausschusses" in den Aufsichtsrat zu schicken wie es beispielsweise der DOSB tut, der auf den angestammten Platz des Präsidenten seinen Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester entsendet oder die Bundesinnenministerin, die von ihrer Sport-Abteilungsleiterin Beate Lohmann vertreten wird.

Formalien und das Recht auf einen Stuhl Platz zu nehmen, seien das eine. Aber wer ständig von sauberen Sport spricht, der muss auch auf die Signale  achten, die er nicht nur in den Sport, sondern in die Gesellschaft sendet. Darin sind sich  die meisten im Ausschuss einig. Und auch darüber, dass man über diese Besetzung hätte vorher reden müssen. Nun soll nachträglich darüber geredet werden im Sportausschusses.