Nach ARD-Doku DDR-Menschenversuche: Wissenschaftliche Aufarbeitung beginnt

Stand: 20.09.2021 08:00 Uhr

Im Februar sorgte eine ARD-Dokumentation über Menschenversuche an Hobbysportlern in der DDR für Aufsehen. Nun nehmen sich Forscher der Sache an – in Dänemark und Schottland.

Von Jörg Mebus, Josef Opfermann, Peter Wozny

Ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung der ARD-Dokumentation "Menschenversuche – Die heimlichen Experimente im DDR-Sport" hat die wissenschaftliche Aufarbeitung des dunklen Kapitels begonnen – allerdings nicht in Deutschland. Forscher an den Universitäten in Aarhus/Dänemark und Stirling/Schottland nehmen sich des Themas an. Unter anderem das für den Sport verantwortliche Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund hatten sich für nicht zuständig erklärt, eine Untersuchung zu initiieren.

"Ich denke, dass es darum geht, die Thematik als großes Ganzes zu fassen: War es ein regional begrenztes Phänomen? Wie viele Personen waren darin involviert? Wie wurden die Probanden informiert? Gibt es gesundheitliche Langzeitfolgen? Ist das erkennbar? Diese Fragen wollen wir alle beantwortet haben", sagte Jörg Krieger, der an der Universität in Aarhus Sport- und Sozialwissenschaften lehrt, der ARD-Dopingredaktion.

Langfristiges Projekt

Der in Deutschland geborene Krieger kooperiert mit der Sportwissenschaftlerin April Henning von der Universität in Stirling. Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt. Aus den ARD-Recherchen und Einschätzungen von Experten ging hervor, dass es bis zur Wende Hunderte sogenannter Volkssportprobanden gegeben haben könnte.

In der ARD-Dokumentation aus der Reihe "Geheimsache Doping" war das Phänomen sogenannter Volkssportprobanden in der DDR erstmals ausführlich beleuchtet worden. An Hobbysportlern wurden nicht zugelassene Medikamente getestet, Doping-Versuchsreihen durchgeführt und im Sport neuartige medizinische Untersuchungsmethoden wie Muskel- und Leberbiopsien eingesetzt. Diese Experimente sollten Spitzensportlern nicht zugemutet werden, ihnen aber letztlich zugutekommen.

"Erhellend für dunkle Vergangenheit"

Der ehemalige Volkssportproband Hans-Albrecht Kühne, einer der Protagonisten in der TV-Dokumentation, begrüßt und unterstützt die wissenschaftliche Aufarbeitung. "Je mehr die Wissenschaft aufklärt, umso besser ist es für das Gesamtbild, umso erhellender kann es für die dunkle Vergangenheit sein", sagte Kühne. Der heute 69-Jährige gehörte in den 70er Jahren als Volkssportproband einer streng geheimen Gruppe am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig an. Unter den Folgen der Experimente, unter anderem Depressionen und Gefäßschäden, leidet er bis heute.

Die in Deutschland potenziell zuständigen offiziellen Stellen hatten kein Interesse gezeigt, wegen des Themas selbst aktiv zu werden. "Eine Erforschung möglicher Experimente im Breitensport der DDR liegt nicht im Aufgabenbereich des BMI, das für die Förderung des Spitzensports in der Bundesrepublik Deutschland und die damit zusammenhängenden Fragestellungen zuständig ist", teilte das Bundesinnenministerium mit. Unter anderem hatten die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die Landesbeauftragte in Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Doping-Opfer-Hilfe-Verein Aufarbeitungs- und Entschädigungsmaßnahmen gefordert.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hatte die Zuständigkeit für eine "dringend gebotene Aufklärung" bei der Politik gesehen. "Nachdem die Ursache dieser inakzeptablen Vorgehensweise wohl im Staatsplan 14.25 der ehemaligen SED-Diktatur zu suchen ist, sehen wir das als staatliche Aufgabe", sagte Hörmann.

Krieger hingegen betonte, er sehe sich als deutscher Sportwissenschaftler "in der Pflicht", sich des Themas anzunehmen.