Geheimsache Doping - Schuldig - Urinproben

ARD-Doku "Geheimsache Doping: Schuldig" Positiv durch Hautkontakt - Fragen und Antworten zur Recherche

Stand: 16.07.2021 13:30 Uhr

Längst nicht jedem Dopingverdacht muss tatsächlich Doping zugrunde liegen. Das beweist ein Experiment des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Recherche.

Was war die Ausgangsfrage des Experiments?

Kann ein Dopingmittel durch eine kurze Berührung der Haut eines Menschen unbemerkt in dessen Körper gelangen?

Wie wurde das Experiment durchgeführt?

Die Forscher des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln haben geringe Mengen von vier Anabolika mittels einer Trägersubstanz über die Haut an zwölf männliche Testprobanden im Alter zwischen 18 und 40 Jahren verabreicht. Absichtlich nur Männer, weil bei ihnen – im Gegensatz zu Frauen – durch den niedrig dosierten Einsatz der Dopingmittel keinerlei Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Es wurden geringste Dosen verwendet – aufgetragen durch kurze Berührungen an Handaußen- und Handinnenseite, Arm und Nacken. 15 Tage lang gaben die Probanden daraufhin täglich Urinproben ab. Diese hat das renommierte Kölner Dopingkontrolllabor nach den Standards der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Erstanalysen ausgewertet.

Welche Ergebnisse lieferte das Experiment?

Bei allen zwölf Probanden ergaben die Erstauswertungen der Urinproben einen eindeutigen Dopingverdacht. Bei allen Probanden waren Dopingsubstanzen immer wieder innerhalb von 14 Tagen nachweisbar – zum Teil bereits eine Stunde nach Verabreichung, in einem Fall sogar bis zu 15 Tage danach.

Insgesamt 222 Mal wurde mindestens eine der vier verwendeten verbotenen Substanzen im Urin der zwölf Testprobanden in diesem Zeitraum nachgewiesen. Das bedeutet: Bei offiziellen Dopingkontrollen nach den Standards der Welt-Anti-Doping-Agentur hätte es 222 Befunde gegeben, die in aller Regel bei Sportlern einen positiven Dopingtest und eine Sperre von bis zu vier Jahren ergeben hätten.

Doping-Experten gehen davon aus, dass auch andere verbotene Mittel mit diesem oder ähnlichen Trägerstoffen die gleiche Wirkung erzielen würden.

Warum wurden Anabolika verwendet?

Anabolika sind Muskelaufbaupräparate und machen fast die Hälfte aller positiven Doping-Tests weltweit aus. Sie sind auf dem Schwarzmarkt leicht erhältlich und im Sport im Gegensatz zu anderen Substanzen in jeder nachgewiesenen Menge verboten.

Welche Konsequenzen könnten die ARD-Recherchen haben?

Experten ziehen drastische Schlussfolgerungen: Der kanadische Anwalt Richard McLaren, bekannt geworden als unabhängiger Ermittler im Skandal um russisches Staatsdoping, sieht das Anti-Doping-System zu Reformen aufgefordert. Es müssten fairere Bedingungen für die Athletinnen und Athleten geschaffen werden.

Angelika Nußberger, bis 2019 Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, sieht die Menschenrechte derart sabotierter Sportlerinnen und Sportler verletzt, da diese keine Chance hätten, ihre Unschuld zu beweisen und sich gegen Sanktionen zu verteidigen. Der Sport müsse sich angesichts dieses Experiments bezüglich der Ahndung von Dopingverstößen "ein neues System suchen".

Gab es schon derartige Dopinganschläge im Sport?

Ein Fall von Dopingsabotage über die Haut eines Athleten oder einer Athletin so wie hier beschrieben wurde bislang noch nie nachgewiesen. Das Problem: Die Trägersubstanz verschwindet deutlich schneller aus dem menschlichen Körper als das Dopingmittel. Einen solchen Dopinganschlag von echtem Doping zu unterscheiden, ist daher schwierig.

Neben den Fällen der spanischen Hockeymannschaft und der Judoka Charline van Snick, über die in der ARD-Dokumentation berichtet wird, gab es weitere ähnliche Fälle. 2018 hatte der japanische Kanute Yasuhiro Suzuki zugegeben, das Getränk seines Teamkollegen Seiji Komatsu manipuliert zu haben, um seine eigenen Chancen auf eine Olympianominierung zu erhöhen.

Im Mai dieses Jahres wurde der frühere Weltmeister im Sportschießen István Péni aus Ungarn vom Dopingverdacht freigesprochen. Der Weltverband sah es als ausreichend erwiesen an, dass sein Teamkollege Péter Sidi ihn sabotiert haben muss. Der bestreitet die Vorwürfe.

Der bekannteste Fall einer Doping-Sabotage in Deutschland war wohl der des Olympiasiegers Dieter Baumann. Der Leichtathlet wurde kurz vor der Jahrtausendwende positiv getestet. Kriminologische Ermittlungen hatten anschließend ergeben: Zwei Zahnpastatuben von Baumann enthielten Spuren einer verbotenen Substanz – diese muss er über das Zahnfleisch aufgenommen haben. Polizei und Staatsanwaltschaft wurden aktiv. Gesperrt wurde Baumann trotzdem.

Wie wird die Schuldfrage bei Dopingverdachtsfällen im Sport geklärt?

Im Sportrecht kann schon ein positiver Dopingtest als Schuldbeleg dienen, anders als im Strafrecht. Der betroffene Athlet muss beweisen, dass sein positiver Test nicht auf vorsätzliches Doping zurückzuführen ist. Sportorganisationen und Funktionäre beharren seit Jahrzehnten auf diesem Prinzip der Beweislastumkehr.

War es richtig, das Experiment durchzuführen und öffentlich zu machen?

Klinische Studien am Menschen benötigen an Hochschulen in der Regel die vorherige Zustimmung einer Ethikkommission, die die Forscher beaufsichtigen und beraten soll – so ist es auch in diesem Fall geschehen. Doch auch wir haben uns gefragt: Ist es richtig, solch ein Experiment durchzuführen und öffentlich zu machen? Womöglich würden potenzielle Nachahmer erst auf Ideen gebracht werden. Tatsächliche Betrüger könnten sich versuchen rauszureden, Anwälte mobilisieren, um sich reinzuwaschen. 

Wir sind der Meinung, dass der Schutz möglicher Opfer Vorrang hat. Wenn Gefahren bestehen, haben Athleten ein Recht, es zu wissen. Der Sport selbst muss Antworten darauf finden, wie er damit umgeht.