Hockey-WM Nike Lorenz über Rolle, Trainer und Nachhaltigkeit

Stand: 30.06.2022 17:51 Uhr

Nike Lorenz führt die deutschen Hockey-Frauen als Kapitänin zur WM. Im Interview spricht sie über ihren neuen Trainer, ihre neue Rolle und Nachhaltigkeit.

Frage: Wie bereit ist die deutsche Mannschaft für dieses Highlight?

Nike Lorenz : Es ist schon eine außergewöhnliche Situation, denn seit den Olympischen Spielen in Tokio ist nicht viel Zeit vergangen. Und gleichzeitig hatten wir noch einen Trainerwechsel. Aber ich glaube, dass wir am Samstag zum Turnierstart ein gutes Gefühl haben werden. Deutsche Hockeyteams sind immer Turnierteams. Bei uns findet immer eine Entwicklung im Turnier statt.

Frage: Bei Olympia gab es das Aus im Viertelfinale gegen Argentinien. Ich weiß, dass Sie da auch persönlich dran zu knabbern hatten. Ist das jetzt eine Extra-Motivation?

Nike Lorenz: Es ist gut, dass wir jetzt wieder ein Turnier haben und dass es jetzt schnell wieder los geht. Natürlich ist das Viertelfinale bei Olympia für uns ein Thema, auch weil wir bei der WM 2018 auch im Viertelfinale rausgeflogen sind. Natürlich besprechen wir diese K.o.-Spiele. Es ist ja bekannt, dass wir da in den letzten Jahren nicht so performt haben. Aber es ist gefühlt viel Zeit vergangen, auch weil man wieder gelebt hat dazwischen. Deshalb fühlt es sich eher wie ein Neustart an und wie eine Riesen-Chance. Also ich freue mich mega.

Frage: Was heißt "gelebt"?

Nike Lorenz: Ich war in England und habe dort neun Monate studiert und Hockey gespielt. Aber zuvor haben wir uns zwei Jahre komplett isoliert. Es war schon verrückt, was wir uns beim ersten Treffen nach Tokio alles zu erzählen hatten.

Frage: Sie hatten eine Corona-Infektion. Sind Sie schon wieder bei 100 Prozent?

Nike Lorenz: Ich spüre es noch ein bisschen, ich fühle mich teilweise noch ein bisschen schwach - vor allem bei Maximalbelastung. Ich weiß aber nicht, ob es mich nicht auch nach einer normalen Krankheit so erwischt hätte. Ich hatte aber Glück, wie es verlaufen ist. Beim WM-Start werde ich davon aber nichts mehr spüren.

Frage: Wie ist Ihre Zielsetzung fürs Turnier?

Nike Lorenz: Als Mannschaft sprechen wir viel darüber, K.o.-Spiele zu gewinnen. Da müssen wir es noch lernen, auf den Punkt unsere Leistung zu bringen. Wenn das Turnier schon in zwei Ländern stattfindet, dann wäre es cool, das mitzunehmen. Das würde bedeuten, dass wir das Viertelfinale gewinnen und dann zum Halbfinale nach Spanien reisen. Das ist aus Nachhaltigkeits-Perspektive zwar nicht so cool, aber das würden wir dann schon mitnehmen wollen und das Turnier dann dort zu Ende bringen.

Frage: Quizfrage: Wissen Sie, wann zuletzt eine deutsche Frauenmannschaft bei einer WM eine Medaille geholt hat?

Nike Lorenz: Äääääähm ... 89?

Frage: 98 - aber die Zahlen haben gestimmt. Jetzt spielen Sie in der Vorrunde schon gegen einen der Titelkandidaten. Wie gehen Sie das Spiel gegen die Niederlande, den aktuellen Olympiasieger, an?

Nike Lorenz: Wir haben ewig nicht mehr gegen Holland gewonnen. Aber wir waren die vergangenen Jahre nah dran. Wir haben keine Angst, abgeschossen zu werden und man denkt nicht, dass man sowieso verliert. Oder dass man der krasse Underdog ist. Aber es ist harte Arbeit, in diesen Spielen zu gewinnen. Die Weltspitze ist eng beisammen. Deswegen ist es nicht der krasse Gradmesser. Wir gucken auf uns. Aber trotzdem ist es ein Megaspiel und die Vorfreude ist groß.

Frage: Valentin Altenburg ist der neue Trainer. Was läuft aus seiner Sicht gut, was nicht?

Nike Lorenz: Das müssen Sie den Trainer fragen. Wir sollen Emotionalität auf den Platz bringen. Es geht darum, die Spiele einfach nur zu gewinnen und sie nicht gut oder schön zu gewinnen, da müssen wir unsere Ansprüche zurückschrauben. Das ist besser geworden. Er legt den Fokus auf die Verteidigung. Es soll schwer sein, gegen uns zu gewinnen, wir sollen alles zumachen, Bälle abfangen und dann kontern. Also alles etwas taktischer. Da haben wir ganz gute Schritte gemacht und der Trainer wirkt damit relativ zufrieden.

Frage: Sie sind die Abwehrchefin. Sie sind erst 25 Jahre alt, haben aber 2016 schon Olympia-Bronze gewonnen und sind seitdem hinten gesetzt. Welche Rolle nehmen Sie im jetzt verjüngten Kader ein?

Nike Lorenz: Ich spiele keine Abwehr mehr. Ich bin Stürmerin geworden.

Frage: Wie kam das?

Nike Lorenz: Ich habe in Tokio auch schon eher Mittelfeld gespielt, weil ich auch ganz gute Offensiv-Qualitäten habe. Und jetzt bin ich Mittelstürmerin, weil wir schon vorne in der ersten Reihe gut verteidigen wollen. Auch noch eine andere Abwehrspielerin wurde in den Sturm gestellt, so dass wir vorne schon verteidigen können und die Bälle abfangen.

Frage: Wo sehen Sie sich im Team, was die Führungspositionen angeht?

Nike Lorenz: Ich bin eine von den Erfahrenen. Ich weiß, dass ich großen Einfluss auf die Mädels haben kann - auf und neben dem Platz. Aber wir sind alle nah beieinander und auf Augenhöhe. Es ist ein sehr enges Verhältnis zu sehr vielen Mädels. Ich bin mir aber der Verantwortung bewusst und gehe darin auf. Das holt bei mir mehr Prozente raus als dass es mich unter Druck setzt.

Frage: Sie engagieren sich vielfältig. Für Sports for Future, gegen die Klimakrise und Rassismus, für die Ukraine, Sie haben einen eigenen Blog. Hockey ist aber nicht die große Sportart. Denken Sie dennoch, dass Sie Einfluss nehmen können?

Nike Lorenz: Ja, die Menschen in meinem näheren Umfeld kann ich auf jeden Fall beeinflussen und einen positiven Wandel vorantreiben kann. Und als Hockey-Nationalspielerin ist die Reichweite größer. Das pusht mich.

Frage: Thema Nachhaltigkeit. Bei Olympia haben Sie einen Hockey-Wald in Südafrika gepflanzt, an dem sich auch Fans und weitere Teams beteiligen können, um die durch die vielen Sportreisen entstehende CO2-Belastung zu mindern.

Nike Lorenz: Mit Einführung der Pro-League 2019 sind wir für ein einziges Spiel nach Australien gereist. Ein Teil der Mädels interessiert sich seitdem verstärkt für das Thema Nachhaltigkeit. Gleichzeitig ist unsere Aufmerksamkeit als Nationalmannschaft gewachsen. Das wollten wir nutzen, um etwas zu bewegen.

Natürlich können wir das nicht ausgleichen durch einen Hockey-Wald, aber wir fühlen uns nicht mehr in einer Situation, in der wir einfach nur stillhalten können. Wir fühlen uns verantwortlich. Wenn wir das Halbfinale in Spanien erreichen, werden wir dann auch den Hockey-Wald erneut pushen.

Frage: 1998 gab es die bisher letzte Medaille bei einer WM. Wie realistisch ist es, dass 2022 eine dazukommt?

Nike Lorenz: Die Weltspitze ist eng beisammen, Holland steht unangefochten oben. Wenn wir das Viertelfinale gewinnen, dann haben wir sehr gute Chancen, eine Medaille mitzunehmen. Aber wie sich der Damen-Hockeysport entwickelt hat, ist es verdammt schwer, unter die Top-4 zu kommen.

Frage:  Irland und Chile - auch die anderen Gegnerinnen sind nicht zu unterschätzen, oder?

Nike Lorenz: Nein, ganz und gar nicht. Die Irinnen sind unfassbar bissig, werfen sich in jeden Ball. Wir sind spielerisch überlegen, aber deren Einsatz ist wirklich hart. Chile spielt sehr temperamentvoll und emotional. Man muss emotional auf ein Level kommen, aber da legen wir zurzeit den Fokus drauf. Wir sind bereit.

Das Gespräch führte Jan Wochner.