Leverkusens Granit Xhaka feuert seine Mitspieler an

EM-Auftakt Schweiz-Star Granit Xhaka - ein Leader, der polarisiert

Stand: 15.06.2024 00:06 Uhr

Das Schweizer Jahrhunderttalent ist erwachsen geworden: Granit Xhaka führte Bayer Leverkusen in Deutschland zum Double. Auch in der Schweizer Nationalmannschaft dreht sich alles um ihn. Das bekommt auch Trainer Yakin zu spüren.

Wie wichtig Kapitän Granit Xhaka für die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft ist, zeigte erst kürzlich eine wissenschaftliche Studie. Der Mittelfeldmotor vom deutschen Meister und Pokalsieger Bayer Leverkusen ist in der weltweiten Liste der Kicker mit dem größten Einfluss auf das Spiel seiner Mannschaft auf Rang zwei. Das ermittelte das in Neuenburg ansässige Centre for Sports Studies (CIES) im Mai.

Nur Rodri ist besser als Xhaka

Bei der Untersuchung, in denen die Werte aus 54 internationalen Ligen und sechs Kriterien wie Zweikampfverhalten, Ballverteilung oder das Kreieren von Chancen eingingen, erreichte Xhaka einen sogenannten "Impact Score" von 92,3. Besser war nur Manchester Citys Rodri Hernandez, der auf der 100er-Skala einen Wert von 98,5 Punkten erreichte.

"Schweiz muss Xhaka genießen"

Die zentrale und unumstrittene Leader-Rolle, mit der Xhaka Leverkusen zum Double führte, hat er auch in der Schweizer "Nati". Xhakas Qualitäten sind nicht nur Teamkollege Silvan Widmer klar.

"Granit hat eine absolut herausragende Saison gespielt, er war schon immer ein Weltklassespieler", sagte der Abwehrspieler von Bundesligist Mainz 05 auf der Pressekonferenz der Schweiz vor dem EM-Auftaktspiel gegen Ungarn.

Und auch der in der Schweiz nicht unumstrittene Nationaltrainer Murat Yakin macht klar: "Er ist eine Persönlichkeit. Er ist schon jetzt ein Spielertrainer." Der Schweizer "Tages-Anzeiger" titelte unlängst sogar: "So einen Spieler wird das Land nach seinem Rücktritt auf Jahre hinaus nicht haben. Die Schweiz muss Granit Xhaka genießen, solange es nur geht."

Rekord-Nationalspieler mit Ambitionen

Xhaka ist mit 125 Einsätzen der schweizerische Rekord-Nationalspieler, zuvor galt er nicht erst seit dem Gewinn der U17-Weltmeisterschaft 2009 als Jahrhunderttalent. Seine Qualitäten stellte er in fast 400 Spielen für den FC Arsenal, 140 Partien für Mönchengladbach und zuletzt in 50 Spielen für Leverkusen mehr als eindrucksvoll unter Beweis.

In seinen Klubs wurde der 31-Jährige zweimal englischer Meister und Superpokalsieger, Double-Sieger in Deutschland und in der Schweiz. Vor der EM in Deutschland machte er noch fix seine UEFA-A-Lizenz als Trainer. Und bei der EM 2024 hegt der zweifache Fußballer des Jahres der Schweiz nun auch große Ambitionen mit der Nationalmannschaft.

Xhaka: "Wir können jeden schlagen"

"Die Erwartungen sind enorm hoch", sagte der Mittelfeldspieler in einem langen Interview mit dem Schweizer Fernsehen "SRF": "Jeder Gegner weiß, dass es schwer gegen uns wird. In einem Spiel können wir jeden schlagen", ergänzte Xhaka selbstbewusst.

Wie schwer es die Schweiz auch prominenten Gegnern machen kann, zeigte die "Nati" unter anderem bei der WM 2014, als sie im Achtelfinale Argentinien in die Verlängerung zwang und an den Rand des K.o. brachte. Und noch mehr bei der EM 2021, als sie Frankreich im Achtelfinale ausschaltete. Endstation war hier erst im Viertelfinale und ohne den Gelb-gesperrten Xhaka.

Xhaka zählt Trainer Yakin an

Seit anderthalb Jahren holpert der Motor in der Schweizer Nationalmannschaft allerdings. Trainer Yakin ist seit dem 1:6-Debakel gegen Portugal im WM-Achtelfinale von Katar immer wieder in der Kritik. Diese kommt auch von Xhaka. Der war nach einem 2:2 in der EM-Quali gegen Underdog Kosovo über das Training sauer: "So, wie wir heute gespielt haben, sah die ganze Woche aus. Da kann man nicht von null auf hundert kommen."

Der Nationalmannschaftstrainer der Schweiz: Murat Yakin.

Der Nationalmannschaftstrainer der Schweiz: Murat Yakin.

Wenig Gegentore, aber wenig eigene Treffer

Die EM-Quali überstand die Schweiz zwar mit nur einer Niederlage und als Gruppenzweiter hinter Rumänien. In zuletzt 13 Spielen kassierte das Team nur elf Gegentore. Im 3-4-3 dürfte die Schweiz zudem zu den stabilsten Defensivreihen der EM gehören.

Aber: Neben dem 2:2 gegen den Kosovo gehörte ein mühsames 3:3 nach 1:3-Rückstand gegen Belarus ebenso zur Quali-Runde wie ein knapper 2:1-Sieg gegen den Weltranglisten-164. Andorra.

Hoffnung auf Embolo-Rückkehr

Vor allem die Offensive lässt zu viel liegen. Das weiß auch Trainer Yakin: "Nach unseren Expected Goals hätten wir pro Spiel drei Tore schießen müssen. Wir haben aber nur 2,2 Tore erzielt", so der 49-Jährige.

Die große Hoffnung der Eidgenossen liegt auf den Schultern von Angreifer Breel Embolo. Yakins Spielsystem ist auf die Fähigkeiten des Mittelstürmers ausgerichtet. Doch der 27-Jährige von der AS Monaco hat seit dem WM-Aus 2022 nicht mehr für die Nationalannschaft gespielt. Nach einem Kreuzbandriss hofft Yakin nun, dass Embolo bis zum Spiel gegen Ungarn wieder fit wird.

"Adrenalin, Wille, Hunger"

Die Presse in der Heimat betitelte Embolo schon als "Heilsbringer". Skeptiker glauben aber nicht daran, dass der Stürmer sofort wieder in Topform auflaufen kann. Insofern dürfte es am Ende doch wieder auf Xhaka ankommen.

Und der versprach, dass er sein mittlerweile sechstes großes Turnier mit vollem Einsatz angehen wird: "Adrenalin, Wille, Hunger nach Erfolg, das ist alles da bei mir. Ich werde alles tun für ein gutes Turnier. Wir wollen alle stolz machen", sagte er im "SRF".

Streitthema Identifikation

Doch damit sprach der Rekordspieler ein unbequemes Thema an: die Identifikation. Xhaka wuchs in einer Familie mit kosovarisch-albanischen Wurzeln auf, sein Bruder Taulant war Nationalspieler Albaniens. Xhakas Patriotismus wurde immer wieder angezweifelt, obwohl er und sein Bruder in der Schweiz geboren wurden.

"Wir sind in der Schweiz geboren, aber die Mentalität ist komplett anders. Wir sind eher albanisch aufgewachsen, was Mentalität, Respekt, Disziplin anbelangt." Über Mentalität spricht Xhaka gern. Über Identität nicht. Nur so viel: "Wenn ich nicht gern für die Schweiz spielen würde, hätte ich nicht über 125 Länderspiele."

14 Platzverweise - "Bin ein emotionaler Mensch"

Mentalität und Talent als Mittelfeldlenker sollen nun helfen, damit die Schweiz bei der EM mindestens ins Achtelfinale einzieht: "Ziel Nummer eins ist, die Gruppenphase zu überstehen", so Xhaka. Und wie steht es um den Zoff mit Trainer Yakin? "Dass ich ein emotionaler Mensch bin, weiß man", sagte Xhaka, der in seiner Karriere bereits 14 Platzverweise kassiert hat.

Yakin vs. Xhaka: "Unser Verhältnis ist sehr gut"

Im Schweizer Fernsehen erklärte er im März rückblickend und selbstkritisch: "Ich habe eine Aussage gemacht, die ich heute anders machen würde. Aber das Verhältnis von mir zum Trainer ist hervorragend."

Auch Yakin beschwichtigte. "Zwischen uns passt kein Blatt Papier. Unser Verhältnis ist sehr gut", sagte er im "SRF". In der "Neuen Züricher Zeitung" erklärte er ausführlicher: "Granit reagiert manchmal emotional, weil er jedes Spiel gewinnen will. Er hat familiäre Wurzeln im Kosovo, ich in der Türkei, in unseren Kulturen wird auch mal laut und direkt geredet, das kann heftig rüberkommen." Geklärt haben sollen die beiden den Disput übrigens bei einer Flasche Wein und einem Besuch Yakins Anfang des Jahres in Leverkusen.