Wendie Renard aus Frankreich blickt niedergeschlagen über das Feld.

Nach dem Halbfinal-Aus "Friedhof der Illusionen" - Frankreich trauert

Stand: 28.07.2022 13:34 Uhr

Nach den Tränen kam die Erkenntnis bei Frankreichs Spielerinnen: "Wir sind gegen ein besseres Team ausgeschieden." Man hofft auf die Zukunft. Mit der gleichen Trainerin?

Als die ersten Tränen getrocknet waren, konnte Kadidiatou Diani schon wieder ganz sachlich analysieren: "Wir sind auf eine deutsche Mannschaft getroffen, die uns vor allem in der ersten Halbzeit viele Probleme bereitet hat. Herzlichen Glückwunsch an sie, ganz einfach", meinte die ultraschnelle Stürmerin Frankreichs, die das zwischenzeitliche 1:1 - ein Eigentor der deutschen Torfrau Merle Frohms - mit einer Klasse-Einzelleistung provoziert hatte.

"L' Equipe" formulierte das Aus gegen Deutschland eindrücklicher: "Der Traum ist zerstoben. Niedergestreckt durch einen Doppelschlag von Alexandra Popp scheitert Frankreich vor den Türen des EM-Finales. Die Französinnen haben den Deutschen einen heftigen Kampf geliefert, aber er wurde zum Friedhof ihrer Illusionen."

"Wir werden daraus lernen"

Die 27-Jährige Diani, die 2021 zu Frankreichs "Spielerin des Jahres" gewählt worden war, hatte noch eine weitere Erklärung für das bittere Scheitern ihres Teams: "Das Hauptproblem bei uns war vor allem die mangelnde Effizienz. Es ist leider so passiert, aber wir werden daraus lernen."

So ganz stimmte diese Analyse nicht, denn es lag eher an der enorm gut funktionierenden deutschen Taktik, dass die Französinnen ihre PS nicht so auf die Straße hatten bringen konnten, wie ihnen das bis dahin im Turnierverlauf gelungen war. Die beiden Außenspielerinnen Diani und vor allem Delphine Cascarino waren beinahe komplett vom französischen Spiel isoliert worden.

Das sah auch die Tageszeitung "Courrier de l'Ouest" so: "Frankreich zahlte für fehlende Frische und den Mangel an Torgefährlichkeit. Den Bleues wurde eine taktische Lektion erteilt, und sie mussten frustriert und enttäuscht das Turnier verlassen."

Cascarino auf dem Abstellgleis

"Klar, sind wir auch stolz darauf, Frankreich nach langer Zeit mal wieder in einem Halbfinale vertreten zu haben. Aber die Enttäuschung ist schon riesig. Es tut weh", sagte Cascarino. Die 25-Jährige hatte ihre mit Abstand schwächste Turnierleistung abgeliefert und war nach einer guten Stunde ausgewechselt worden.

Deutschlands Spielerinnen (l) bejubeln nach dem Abpfiff den Einzug ins EM-Finale.

Nur Zuschauerinnen: Frankreichs Fußballerinnen beim deutschen Jubel

Dianis und vor allem Cascarinos Wirkungslosigkeit war ein Resultat fast perfekter deutscher Abwehrarbeit. Man hatte einfach stets alle Räume zugestellt, die für gewöhnlich von den beiden Sprinterinnen genutzt und durchlaufen werden.

"Sind auf ein tolles Team gestoßen"

Und so befand Corinna Diacre, die französische Trainerin, auch ganz fair: "Wir sind heute auf ein tolles Team gestoßen: kraftvoll, athletisch, effizient." Gleichzeitig blickte die Trainerin aber bereits nach vorn: "Wir haben alles gegeben, aber es hat nicht funktioniert, besonders in der zweiten Halbzeit, als wir Chancen herausgespielt haben. Die Effizienz ist uns wieder entgangen. Es sollte nicht sein und das Warten geht weiter. Aber das Fundament ist solide."

Ob sie als Trainerin auf diesem Fundament weiter wird aufbauen können, erschien fraglich. Trotz des Ausscheidens soll sie aber bleiben. Das kündigte Verbandspräsident Noel Le Graet am Donnerstag (28.07.2022) im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP an. Demnach solle Diacre ein neuer Vertrag bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris angeboten werden. "Mit Corinne sind wir auf dem richtigen Weg. Es war schwieriger, aber wir machen Fortschritte. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht einigen sollten", sagte Le Graet.

Corinne Diacre "Eisenharte Lady" soll bleiben

Corinne Diacre gilt als eisenharte Lady und hat sich in der Vergangenheit mit ihrer Art viele Gegner in Frankreich gemacht. "Pünktlich heißt bei ihr ganz pünktlich. Wer ein Gebäude betritt, nimmt die Kopfbedeckung ab. Und deine Flasche ist deine Flasche, und die lässt du nicht rumliegen." So fasste vor drei Jahren eine ehemalige Mitspielerin von Corinne Diacre deren Grundsätze zusammen.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch in Personalentscheidungen kennt die bald 48-Jährige aus einem Vorort von Lille kein Pardon. Große Namen zählen bei ihr nicht viel. Nach der Heim-WM 2019, wo die "Bleues" im Viertelfinale an den USA (1:2) scheiterten, wagte Kapitänin und Spielmacherin Amandine Henry Kritik an der - aus ihrer Sicht - "granit-harten und taktlosen" Herangehensweise von Diacre.

Diese verzieh das nicht und verbannte Henry aus dem Nationalteam - in einem Telefonanruf von 14 oder 15 Sekunden, wie diese später erzählte. "Das werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Ich war schockiert." Es scheint so, als dürfe Diacre dennoch bleiben.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 26.07.2022 | 20:15 Uhr