Thomas Müller (r.) richtet sich gestenreich an seine Mitspieler
analyse

Flexiblerer Fußball FC Bayern ohne Lewandowski - viel Zentrum ohne Mittelstürmer

Stand: 19.08.2022 07:19 Uhr

Robert Lewandowski ist als Mittelstürmer aus dem Zentrum des FC Bayern verschwunden. Die Folge: Der FC Bayern spielt nun mehr durch die Mitte.

Zwei Spiele sechs Punkte, acht geschossene Tore: Der FC Bayern ist schon wieder da, wo ihn nahezu jeder erwartet hat, an der Tabellenspitze.

Thomas Müller (r.) richtet sich gestenreich an seine Mitspieler

Dabei hatte es zumindest leise Zweifel gegeben, ob der Übergang von der Zeit mit Robert Lewandowski in die Zeit ohne ihn so einfach und geräuschlos geschafft werden würde. Um die Zweifel endgültig zu beseitigen, sollte auch noch ein bisschen Zeit verstreichen, mindestens bis zur Bundesligapause, die Mitte November wegen der Weltmeisterschaft in Katar beginnt, besser aber noch bis in das Frühjahr 2023, wenn es in die heiße Phase der Champions League geht.

Schon vor dem dritten Spieltag der Bundesliga, an dem die Münchner am Sonntag (21.08.2022) beim VfL Bochum antreten, lässt sich aber schon mit einiger Gewissheit sagen, dass sich einiges geändert hat im Offensivspiel. Es hört sich kurios an, aber ohne den Mittelstürmer Lewandowski, der sich meistens auch im Zentrum des Spielfeldes aufhielt, spielen die Bayern mehr durch das Zentrum.

Häufigere Positionswechsel

Weiter fällt auf: Die - meistens - vier Spieler in der Offensive wechseln häufiger die Positionen als im ersten Jahr unter Julian Nagelsmann und stellen den Gegner damit vor enorme Probleme. Außerdem: Die beiden zentralen Mittelfeldspieler sind meistens auf einer Höhe oder nur wenige Meter verschoben, sichern so besser gegen Konter ab und stärken die sogenannte Restverteidigung.

Die Lobeshymnen auf die "neuen" Bayern klingen immer ein bisschen so, als wären es jetzt automatisch die besseren Bayern. Das wäre vor allem eine Spur verächtlich gegenüber Lewandowski, der in fünf seiner acht Spielzeiten beim deutschen Rekordmeister 30 Tore oder mehr erzielte, in der vergangenen Saison waren es 35 Treffer.

Wie geschaffen für Nagelsmann

Wird "neu" jedoch als anders ausgelegt, dann passt es. Mit der Verpflichtung von Sadio Mané war klar, dass etwas anders werden würde, denn "Afrikas Fußballer des Jahres" aus dem Senegal ist kein Mittelstürmer, sondern ein Stürmer, der auch in der Mitte spielen kann, aber auch auf außen, ein bisschen besser links als rechts, und auch als falsche Neun weiß er, was gefordert ist.

Mané ist deshalb wie geschaffen für den Fußball, den Julian Nagelsmann am liebsten spielen lässt. Er ist zudem dank der Schule beim FC Liverpool unter Jürgen Klopp in Pressing und Gegenpressing auf höchstem Level.

Anders als Lewandowski ist Mané aber nicht der Münchner Spieler, bei dem die Gegner mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf spekulieren können, dass er als sogenannter Zielspieler gesucht wird und damit zum Abschluss kommt.

Wechsel auf 4-2-2-2

Die vier Offensiven des FC Bayern - beim 6:1 in Frankfurt wie auch beim 2:0 gegen den VfL Wolfsburg waren es in der Startelf Mané, Serge Gnabry, Thomas Müller und Jamal Musiala - haben keine fest zugewiesene Position, wie es in anderen Mannschaftsteilen und auch in der Offensive anderer Mannschaften der Fall ist. Für Nagelsmann ist wichtig, dass Positionen besetzt sind, aber nicht von wem.

In seiner ersten Saison als Trainer in München wählte Nagelsmann entweder ein 4-2-3-1 oder ein 3-4-2-1 als Grundformation. Nun kristallisiert sich ein 4-2-2-2 heraus, in dem die "Sechser" vergleichsweise eng nebeneinander stehen, die "Achter" weiter auseinander, aber immer noch so eingerückt, dass die Außenbahnen für die Außenverteidiger der Viererkette frei bleiben, und die beiden Stürmer wieder enger beieinander.

Oft sind die vier Offensiven im Spielaufbau schon auf Höhe der hintersten Linie des Gegners. Sollten es nur drei sein, rückt meistens Musiala in den Zwischenraum auf die Position des "Zehners".

Die realtaktische Formation, resultierend aus den gemittelten Positionen der Spieler, aus der Auftaktpartie bei Eintracht Frankfurt zeigte eindrucksvoll, was sich bei den Bayern ohne den einen herausragenden Zielspieler Lewandowski getan hat. Nahezu die Hälfte aller Münchner Angriffe (48 Prozent) wurden durch das Zentrum vorgetragen. Das ist ein extrem hoher Wert. Zum Vergleich: Im Spiel bei der Eintracht in der Saison 21/22 waren es - bei gleicher Grundformation der Frankfurter - nur 29 Prozent, exakt so viel wie im Topspiel des Meisters gegen den BVB.

Reaktion von Kovač

Am zweiten Spieltag der Saison 22/23 war schon eine Reaktion der Gegner auf die "neuen" Bayern zu erkennen. Wolfsburgs Trainer Niko Kovač stellte vor seiner Viererkette drei "Sechser" auf, um das Spiel der Bayern auf die Flügel zu lenken. Das gelang auch, wie die Zahlen zeigen, denn nur 24 Prozent der Münchner Angriffe wurden durch das Zentrum eingeleitet.

Allerdings stellte sich der Meister nach einer etwas schwierigeren Anfangsphase auf den Kniff des Gegners ein. Beim 1:0 durch Jamal Musiala waren viele der Elemente zu sehen, die Nagelsmann von seiner Mannschaft einfordert: kompaktes Verschieben und hohes Nachschieben, aggressives Gegenpressing, hohe Konzentration von Spielern in Ballnähe.

Den neuen FC Bayern von der Spitze zu stürzen, wird auch extrem schwierig. Dem VfL Bochum gelang es in der vergangenen Saison immerhin, ihn im Heimspiel zu besiegen. Da reichten auch zwei Tore von Robert Lewandowski nicht.