Niklas Kaul feiert mit der deutschen Fahne.

European Championships | Leichtathletik Ein Abend für die Ewigkeit

Stand: 17.08.2022 08:04 Uhr

Die deutschen Leichtathleten haben das Münchner Olympiastadion am Dienstagabend (17.08.2022) in einen Partytempel verwandelt, in dem ein emotionales Highlight das nächste jagte. Das Drehbuch war perfekt. Zehnkämpfer Niklas Kaul und Europas neue Sprintkönigin Gina Lückenkemper sorgten für die Krönung.

Von Bettina Lenner, München

Am Ende eines sensationellen EM-Tages sangen 40.000 begeisterte Zuschauer "Oh, wie ist das schön". Feierten einen rauschhaften Abend im Olympiastadion, den sie wohl nicht vergessen werden. Wie auch Gina Lückenkemper nicht. Die neue Europameisterin, die zuvor sprichwörtlich ins Ziel gestürzt war und sich dabei am Bein verletzt hatte, saß strahlend auf einem Stuhl und dirigierte das Orchester.

"Das Stadion ist der Wahnsinn, ein wahrer Hexenkessel", jubelte die 25-Jährige, die vor vier Jahren in Berlin bereits Vize-Europameisterin geworden war. "Zu merken, die sind alle hier, weil sie sehen wollen, wie ich eine geile Performance auf die Bahn bringe, hat mich unfassbar gepusht."

Kaul rennt unter tosendem Applaus zum Titel

Schon Stunden zuvor hatte die Party Fahrt aufgenommen, als Norwegens Weltmeister Jakob Ingebrigtsen zum erneuten Titelgewinn lief und die Lao-Ola-Welle über die gesamte Dauer des 5.000-Meter-Finales durchs weite Rund schwappte - rund 13:21 Minuten also.

Einen Olympiasieger sieht man nicht alle Tage, doch es ahnte niemand, was noch alles kommen würde: Der Sturmlauf von Niklas Kaul zum Beispiel, der von der Menge getragen im abschließenden 1.500-Meter-Lauf seine persönliche Bestzeit pulverisierte und unter tosendem Applaus zum Titel rannte.

"Mir sind die Ohren weggeflogen, das war Wahnsinn. Danke, München", sagte der Mainzer ins Stadion-Mikro, nachdem er mit einer furiosen Aufholjagd mit 8.545 Punkten den Schweizer Simon Ehammer (8.468) noch von Platz eins verdrängt hatte. "Das zeigt dann doch, dass die deutsche Leichtathletik lebt und es einen guten Grund für uns alle gab, sich auf diese Tage hier zu freuen."

Abele unter Tränen verabschiedet

Der Jubel um den Zehnkampf-Weltmeister von 2019 war kaum verebbt, da wurde es erneut emotional - und wie. Arthur Abele, den Kaul als Europameister ablöste, wurde mit einem Film gewürdigt und ging unter Tränen auf die letzte Ehrenrunde seiner langen und zuweilen beschwerlichen Karriere, die ein spektakuläres Ende erlebte.

Der 36-jährige Ulmer war im Hürdensprint wegen eines vermeintlichen Fehlstarts disqualifiziert worden, durfte jedoch nach einem erfolgreichen Protest weiterkämpfen. Über den 15. und letzten Platz kam er nicht mehr hinaus. Nach den abschließenden 1.500 Metern standen die Zehnkampf-Kollegen Spalier, feierte das Publikum den Sympathieträger wie einen Helden.

Die Stimmung war unfassbar hier. Es war so schön, ich hab's einfach nur genossen. Das ist jetzt das perfekte Ende für mich.
Arthur Abele

Pudenz und Vita sammeln fleißig Diskus-Edelmetall

Wieder so ein Gänsehaut-Moment, doch das perfekt verfasste Drehbuch hatte noch viel mehr Kapitel. Abele hatte seine Tränen noch nicht getrocknet, da schickte sich ein paar Meter weiter die Olympia-Zweite Kristin Pudenz mit persönlicher Bestleistung von 67,87 Metern an, der Favoritin Sandra Perkovic ein Bein zu stellen. Die Kroatin schlug schließlich im spannenden Krimi zurück und siegte letztlich mit acht Zentimetern Vorsprung auf die Deutsche, die auf der Ehrenrunde Gesellschaft von Claudine Vita bekam, die mit 65,20 Metern Bronze holte. Schwarz-rot-goldenes Glück.

Licht-Spektakel vor den 100-Meter-Finals

Der Puls blieb hoch im nun dunklen Stadion. Der Start einer beeindruckenden Lichtshow und Showdown zum 100-Meter-Finale der Männer, das ohne deutsche Beteiligung über die Bühne ging, aber mit ganz viel Spektakel. Olympiasieger Marcell Jacobs aus Italien gewann in Meisterschaftsrekord von 9,95 Sekunden - und war doch fast nur Statist, als die Frauen Aufstellung nahmen.

München und die Leichtathleten - das passt

Wieder Licht aus, Licht an, und dann zündete Gina Lückenkemper ihr ganz persönliches Feuerwerk. "Auf geht's, Gina", rief ein vorwitziger Zuschauer in die Stille vor dem Startschuss. Er wurde erhört. Der Rest ist schon jetzt Geschichte - und was für eine.

Es war der Schlussakt eines Tages, der mit dem lang ersehnten Silber von Geher Christopher Linke über 35 Kilometer begonnen hatte. Die Leichtathleten machen München glücklich - und umgekehrt. Kaul: "Ich hoffe, dass das Münchner Publikum die anderen Leichtathleten in den nächsten Tagen genauso mitnimmt, weil das etwas ist, was die nie mehr vergessen werden."

Leichtathletik: Die Abendsession vom Dienstag

Sportschau, 16.08.2022 20:15 Uhr