Drei Zentimeter fehlten zum EM-Titel: Malaika Mihambo.

Frank Busemanns EM-Kolumne Malaika Mihambo - ein bisschen besser als Weltklasse

Stand: 21.08.2022 08:04 Uhr

Malaika Mihambo hat coronageschwächt eine Weltklasseleistung gezeigt und Silber gewonnen. Für Sportschau-Experte Frank Busemann macht sie das menschlich.

Von Frank Busemann

Der Gewinn einer Silbermedaille wird oftmals aus zwei verschiedenen Richtungen bewertet. Gewinnt ein Novize diese Medaillenfarbe taucht er in einen Topf Glück ein und erfreut sich an diesem edlen Glanz, welches Understatement mit Erfolg paart. Belegt der Favorit den Platz hinter dem dann neuen Favoriten, heißt es gern: "Second is the first loser!". Seriensieger gewöhnen sich schnell an diesen protzigen Glanz des Unbesiegbaren. Golden glänzt der Taler vom Hals eines ungewöhnlichen Ausnahmekönners oder des weiblichen Pendants. Allzu gern gewöhnt sich ein jeder an das Fortbestehen einer Serie und projiziert Vergangenes in die Zukunft. Dabei ist jeder Wettkampf von neuem der Start an der Linie Null.

"Die gewinnt eh"

Profi in Sachen "die gewinnt eh" ist die seit Jahren ungeschlagene Malaika Mihambo. Europameisterin 2018. Weltmeisterin 2019. Olympiasiegerin 2021. Weltmeisterin 2022. Und wie sie die Titel immer gewonnen hat. Das waren nie Geschenke. Das war Kampf und Leidenschaft. An Dramaturgie teilweise nicht zu überbieten. Und jetzt stand halt die Verteidigung des EM-Titels an.

Corona und die Folgen

Doch dann kam Corona. Direkt nach dem WM-Titel in Eugene. Ich brach zusammen. Ich. Und ich bin nur Fan. Ich bin nicht Malaika. Leider. Oder zum Glück. Ich weiß nicht, ob ich dieser nervlichen Belastung standhalten könnte. Immerzu gewinnen. Immerzu in schier ausweglosen Situationen das Ruder herumreißen. Aber irgendwie steht sie drauf. Leicht kann jeder. Und jetzt also Corona. Das konnte also nicht klappen. Sie ist eine Hochleistungssportlerin. Nicht eine, die mal am Wochenende joggen geht. Eine, die jede Muskelfaser, jede Synapse ihres Körpers auf diesen einen Moment fokussieren kann. Wäre da Stahl, könnte sie mit Fokus schweißen. Sie ist Malaika. Also wird sie gewinnen. Ganz einfach. Wie immer.

Qualifikation: die Weitsprungwelt wie immer

Aber - das konnte doch nicht klappen. Ich bin ein pessimistischer Optimist. Das hebt sich irgendwie auf. Aber neutral bin ich nicht. Dann belehrte sie die Welt und alle Zweifler eines Besseren. In der Qualifikation springt sie ohne Brett fast sieben Meter. Ohne. Brett. Sieben. Meter. Okay. Malaika. Pur. Die Weitsprungwelt wie immer. Doch das kostete eine unglaubliche Kraft. Corona kann man nicht einfach wegdenken. Der Körper muss funktionieren. Und Kleinigkeiten potenzieren sich bei Leistungssportlerinnen.

Aufbäumen gegen das eigentlich Unmögliche

Ivana Vuleta eröffnete den Wettkampf mit 7,06 Meter. Autsch. Das war viel. Mihambo kämpfte und ackerte, merkte aber, dass der Körper keine Kraft hatte. Und sprang trotzdem 7,03 Meter. Unmöglich. Mit halber Kraft eine Weltklasseleistung abzurufen ist noch ein bisschen besser als Weltklasse. Und diese Serie. Viele gute Sprünge. Hintereinander und immer wieder. Ein Aufbäumen gegen das eigentlich Unmögliche. Sie wollte ihrem Körper Leistung aufzwingen und reizte ihn immer wieder. Ein Wettkampf auf höchstem Niveau. Mit dieser Vorgeschichte. Atemberaubend. Im wahrsten Sinne des Wortes. Am Ende holte sich der Körper das zurück, was sie ihm abverlangte. Zuviel. Beim Interview bekam sie keine Luft mehr. Das war im Wettkampf schon so. Danach wich das Adrenalin und die Erschöpfung potenzierte die Erschöpfung. Das war zuviel. Nach der Silbermedaille machte der Kreislauf schlapp. Und wer Mihambo kennt, der weiß, dann war es echt zu viel.

Weltklasseathletin und ganz besonderer Mensch

Aber was zeigt uns das? Sie ist eine außergewöhnliche Weltklasseathletin mit besonderen Fähigkeiten. Klar und erwiesenermaßen. Sie hat sich diesem Wettkampf gestellt, obwohl sie nur verlieren konnte. Wenn sie gewinnt, dann ist es normal, wenn sie verliert, dann ist das nicht vorstellbar. Und sie liebt ihren Sport über alles. Sie macht das, weil es sie glücklich macht. Meistens. Und unter anderem. Sie ist nämlich nicht nur Sportlerin. Sie ist auch Mensch. Und zwar ein ganz besonderer. Und das beruhigt mich irgendwie.

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)