Nina Mittelham

Nach Gold und Silber bei der EM Tischtennis - die jüngere Generation drängt nach vorne

Stand: 21.08.2022 19:19 Uhr

Nicht Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Han Ying oder Shan Xiaona heißen die erfolgreichsten Tischtennis-Asse bei den European Championships. Die Jüngeren spielen sich mehr und mehr in den Fokus.

Vor dem Turnier in München wurde der für Borussia Düsseldorf aufschlagende Tischtennis-Profi Dang Qiu im Sportschau-Interview gefragt, ob er sich auch andere Sportarten bei den European Championships in München anschauen wolle. "Ich würde lieber solange wie möglich sportlich im Turnier bleiben. Wenn nicht, schau ich aber woanders mal rein", war die Antwort.

Woanders schauen konnte er letztlich nicht, aber das wird ihm egal sein: Denn der 25-Jährige ist seit Sonntag (21.08.2022) neuer Einzel-Europameister und krönte einen phänomenalen Aufstieg in die Weltspitze mit seinem ersten großen Solo-Titel.

Mittelham mit Verletzungspech

Auch Nina Mittelham ist, wie Qiu, 25 Jahre alt und vielleicht die größte Hoffnung für die kommenden Jahre im Frauen-Bereich. Es wäre nicht wahr zu sagen, dass sich beide bei den European Championships in die Weltspitze spielten. Denn im Dunstkreis dieser befinden sie sich schon länger. Doch die Aufmerksamkeit wird nach den furiosen Auftritten in München noch weiter steigen.

Das Turnier endete allerdings für beide höchst unterschiedlich: Mittelham hätte gerne bei der Heim-EM ihren ersten großen Einzel-Titel im Erwachsenenbereich gefeiert. Doch schon seit Jahren verfolgt sie bei größeren Ereignissen das Verletzungspech, gerade in den Einzel-Wettbewerben. So auch dieses Mal: Ausgerechnet im Finale machte der Körper schlapp - Mittelham vergoss viele Tränen bei ihrer Aufgabe.

Erwartungen mit Silber weit übertroffen

"Mir hat es in den Arm reingezogen. Ich habe gemerkt, dass ich keinen Ball mehr durchziehen kann", erklärte Mittelham und zeigte sich bitter enttäuscht: Es ist im Moment sehr schwer, sich über die Silbermedaille zu freuen. Wenn man dann die Chance hat, um Gold zu spielen und das Spiel nicht zu Ende bringen kann, ist das umso bitterer." Trost gab es von der Gegnerin Sofia Polcanova.

Zuvor hatte sich die 25-Jährige furios in das Turnier gekämpft. Durch Corona in der Vorbereitung gestört, kam Mittelham ohne Erwartungen nach München. "Mal sehen, was geht", war das Motto gewesen. Und in den ersten Spielen sah man ihr die zweiwöchige Trainingspause an - frühes Aus im Mixed, Enttäuschung im Doppel-Viertelfinale. Doch dann kam das erfolgreiche Einzel, nur die Krönung blieb ihr verwehrt.

Qiu krönt fantastisches Jahr

Eine ganz andere Gefühlslage herrschte bei Dang Qiu vor. Der Höhenflug des Aufsteigers der Saison im Männer-Bereich erreichte in München den vorläufigen Höhepunkt. Nicht die Stars der Szene, Timo Boll oder Dimitrij Ovtcharov, standen ganz oben auf dem Podium. Sondern Qiu.

Der gebürtige Nürtinger erlebte ein fantastisches Jahr: Er gewann im Sommer nicht nur den deutschen Meistertitel, sondern auch sein erstes internationales Turnier auf der World Table Tennis Tour. Und es steht noch im Herbst eine WM an. Wer weiß, wohin es dort geht.

Neue Aufmerksamkeit um seine Person

Deutlich mehr Termine hat der 25-Jährige jetzt schon zu absolvieren. "Die Aufmerksamkeit ist enorm gestiegen", erzählte er im Vorfeld der European Championships der Sportschau und erläuterte: "Früher wurde ich fast gar nicht für Einzel-Interviews angefragt. Nun bin ich derjenige, mit dem gerade die meisten sprechen wollen". Essen musste er übrigens während des Interviews. "Sonst komme ich nicht dazu", erklärte er.

Qiu arbeitete sich mit viel Trainingsfleiß bei seinem neuen Verein Düsseldorf in die Weltspitze und unter die Top Ten der Weltrangliste. Auch wenn er vor dem Turnier in München dort wieder rausfiel, so galt er doch unter den Experten als Geheimfavorit - zu stark waren seine Auftritte vor allem international in diesem Jahr.

Roßkopf: "Er spielt unglaublich stabil"

Wie viel Selbstbewusstsein er bekommen hat, unterstrich er in München: Keinen Geringeren als Timo Boll fegte er förmlich von der Platte. "Wenn man Mr. Tischtennis aus dem Turnier kegelt, muss man auch den Titel holen", sagte er nach dem Titel lachend.

Eine Runde später musste auch der frühere Vizeweltmeister Mattias Falck mit Erstaunen feststellen, dass es in Deutschland inzwischen einen vierten absoluten Spitzenspieler gibt. Für Bundestrainer Jörg Roßkopf ist der Aufstieg Qius keine Überraschung: "Er ist keine Geheimwaffe. Jeder weiß, was er kann, und er spielt unheimlich stabil. Wenn er diese Form hat, kann er natürlich das Turnier gewinnen."

Mit dieser Aussage sollte Roßkopf Recht behalten. Qiu indes möchte jetzt erstmal "zwei, drei Tage ruhig machen und sich erholen". Vielleicht kommt er dann auch dazu, etwas nachzuholen: das Schauen der Entscheidungen bei den anderen Wettbewerben der European Championships.