Eishockey | NHL Leon Draisaitl - Scoring-Maschine auf einem Bein

Stand: 31.05.2022 10:37 Uhr

Leon Draisaitl lässt sich in der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL selbst von einer Verletzung am Knöchel und unfairen Attacken nicht aufhalten. Auf dem Weg zum ersehnten Stanley Cup stellt der Profi von den Edmonton Oilers Rekorde auf.

Von Christoph Fetzer

Leon Draisaitl musste seinen Schläger schützend vor sich halten. Er drehte sich weg und zog sein rechtes Bein zur Seite. Immer wieder versuchten ihn die Spieler der Calgary Flames zu attackieren. Sie hatten es auf seinen rechten Knöchel abgesehen. Dort hat sich Draisaitl verletzt. Wie schwer? Das ist ihm nicht zu entlocken. "Mir geht’s gut", sagte er, angesprochen auf seine Verletzung, und schob bei der erneuten Nachfrage ein paar Tage später mit einem verschmitzten Grinsen nach: "Mir geht’s besser."

Halbfinale gegen Colorado Avalanche

Ob damit der Knöchel gemeint war oder sein aktueller Gemütszustand, lässt sich nur erahnen. Jedenfalls hat Draisaitl gut Lachen. Mit den Edmonton Oilers gewann er die martialisch "Battle of Alberta" genannte Serie gegen die Calgary Flames. Jetzt stehen die Oilers im Playoff-Halbfinale der National Hockey League (NHL). Dort treffen sie auf die Colorado Avalanche, die mit Nico Sturm ebenfalls einen Deutschen im Kader haben. Die Best-of-seven-Serie beginnt in der Nacht zu Mittwoch (01.06.2022).

So nahe am größten Triumph seiner Karriere war Leon Draisaitl noch nie. Der gebürtige Kölner gehört seit Jahren zu den besten Eishockeyspielern der Welt. Er war in der NHL schon MVP und Topscorer. Aber er hat noch nie den Stanley Cup gewonnen. Der Weg zur begehrtesten Eishockeytrophäe der Welt ist steinig und schmerzhaft. Das spürt Draisaitl momentan nur zu gut.

Rekorde, die an Gretzky und Lemieux erinnern

Kaum ein NHL-Spieler kommt komplett verletzungsfrei oder ohne Wehwehchen durch die Saison. Auch Draisaitl muss auf die Zähne beißen. Sein Knöchel ist mindestens verstaucht, Genaueres ist nicht bekannt. Wie schwer die Verletzung eines Spielers ist, kommt erst heraus, wenn seine Mannschaft aus den Playoffs ausgeschieden ist. Nicht selten folgen gleich nach Saisonende Operationen und Pausen von mehreren Monaten.

Draisaitl ist angeschlagen, manche sagen, er spiele auf einem Bein. Aber davon lässt sich der beste deutsche Eishockeyspieler, den es je gegeben hat, nicht aufhalten. Er will endlich das größte Kapitel seiner Karriere schreiben und spielt Eishockey auf allerhöchstem Niveau. In der Playoffserie gegen die Calgary Flames sammelte Draisaitl 17 Scorerpunkte. In nur fünf Spielen. Das hat vor ihm noch kein Spieler geschafft. Draisaitl hat mittlerweile die Marke von 50 Scorerpunkten in den Playoffs erreicht. Nur drei Spielern gelang das in weniger Partien, unter ihnen die beiden Legenden Wayne Gretzky und Mario Lemieux.

Kongeniales Duo mit Connor McDavid

Wie Gretzky und Lemieux zu ihren erfolgreichen Zeiten hat Leon Draisaitl bei den Edmonton Oilers einen kongenialen Partner: Connor McDavid. Auch der hat einige individuelle Auszeichnungen gewonnen. Wie bei Draisaitl fehlt der Stanley Cup aber noch in dieser Sammlung. Und wie Draisaitl holt McDavid derzeit Scorerpunkt um Scorerpunkt und wirkt dabei nicht weniger getrieben als der Deutsche, geradezu besessen.

Draisaitl und McDavid spielen wieder zusammen in einer Sturmreihe. Sie verstehen sich blind, wissen zu jedem Zeitpunkt, wo sich der Partner befindet. Und sie ergänzen sich gut. McDavid gilt als bester Spieler der Welt, keiner ist mit der Scheibe am Schläger so schnell wie er. Viele Mitspieler halten mit diesem Tempo nicht mit, auch gedanklich. Draisaitl schon. Und das ist wahrscheinlich seine größte Stärke. Er weiß, wann er selbst auf die Bühne treten kann, wann ihn das Scheinwerferlicht anstrahlt, und wann er McDavid die Bühne überlassen und ihm zuarbeiten muss.

"Warum bist Du so angep…?"

Das Duo Draisaitl/McDavid reißt die gesamte Mannschaft der Oilers mit. Es gab in dieser Saison aber schon andere Zeiten. Anfang des Jahres setzte es sieben Niederlagen nacheinander. Die Playoffs waren in Gefahr. Die Spieler reagierten dünnhäutig, um kein anderes Wort zu verwenden. Leon Draisaitl musste sich auf einer Pressekonferenz die Frage "Warum bist Du so "angep …?" gefallen lassen.

Im Februar wechselten die Edmonton Oilers den Trainer, auf Dave Tippett folgte Jay Woodcroft. Dazu holten sie mit Evander Kane einen Stürmer, dem zwar nach mehreren Skandalen sein schlechter Ruf vorauseilte, der auf dem Eis aber fraglos herausragende Qualitäten hat. Kane spielt in einer Sturmreihe mit Draisaitl und McDavid. In zwölf Playoffspielen hat er zwölf Tore geschossen, eine fantastische Quote.

Lange Durststrecken

Acht Siege trennen die Edmonton Oilers noch vom Stanley Cup, dem ersten seit 1990. So nahe waren sie dem Titel lange nicht mehr. Zuletzt stand Edmonton 2006 im Halbfinale, eine lange Durststrecke. Bei Gegner Colorado Avalanche ist sie sogar noch vier Jahre länger. Auch die Avalanche haben eine starke Mannschaft um die Superstars Nathan MacKinnon und Cale Makar. Für Draisaitl und Co. könnte es eine lange, anstrengende Serie werden.