Frank Ullrich
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Causa Frank Ullrich Mehr denn je untragbar

Stand: 12.09.2023 11:38 Uhr

Das neueste Kapitel in der endlosen Causa Frank Ullrich ist ein besonders entlarvendes. Der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages verkauft eine kurze gutachterliche Stellungnahme als Befreiungsschlag in eigener Sache.

Von Hajo Seppelt

Er verschweigt, dass dieses Papier, in Auftrag gegeben vom Deutschen Skiverband (DSV), einzig und allein ein Verbandsgutachten aus dem Jahr 2009 beurteilt. Es evaluiert, ob ein 14 Jahre altes Gutachten rechtsstaatlichen Anforderungen genügte - nicht mehr.

Stasi-Berichte sind nicht Teil der DSV-Papiere

Vieles, was vorher, und alles, was in 14 Jahren nach 2009 über den DDR-Athleten und -Trainer Ullrich sowie das DDR-Dopingsystem bekannt wurde, ist nicht Bestandteil beider DSV-Papiere. Etwa die Stasi-Berichte des ehemaligen DDR-Verbandsarztes Hans-Joachim Kämpfe, die den Biathleten Ullrich so schwer belasten, dass der mittlerweile verstorbene DDR-Doping-Aufdecker Werner Franke der "FAZ" sagte: "Vage darf nicht mehr sein. Jetzt ist es belegt."

Oder jene Stasi-Akten, die den späteren DDR-Trainer Ullrich dermaßen klar als Mitwisser identifizierten, dass die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke nach eigener Überprüfung sagte: Dass Ullrich "kein Wissen um das Doping, um die Verfahren“ gehabt habe, sei "sehr schwer vorstellbar".

Schon die Berliner Prozesse zum DDR-Staatsdoping haben seit Ende der 1990er Jahre eine unumstößliche Wahrheit ans Tageslicht befördert: Der Staatsplan 14.25 wurde in einem in sich geschlossenen System umgesetzt, in das mindestens in sämtlichen Ausdauer- und Kraftsportarten, auch im Biathlon, die Spitzentrainer eingebunden waren.

Unabhängiges Gutachten wäre ein überfälliges Signal

Ullrichs ehemaliger Arbeitgeber DSV musste sich schon 2009 Befangenheit vorwerfen lassen, als die von dem Verband initiierte Überprüfung der DDR-Vita Ullrichs zu einer Entlastung des damaligen Bundestrainers führte. Es roch stark nach Gefälligkeitsgutachten - der Sport kochte wie so oft sein eigenes Süppchen.

Aber: Heute ist es an Ullrich selbst, eine Gesamtbetrachtung in eigener Sache durch einen wirklich unabhängigen Gutachter vorzulegen. Dies hat er im Mai 2022 versprochen (übrigens nicht irgendwo, sondern vor dem versammelten Sportausschuss des Bundestages). Es wäre mit Blick auf die Bedeutung seines Amtes angemessen. Und auch ein überfälliges Signal eines gewählten Volksvertreters an die Opfer des kriminellen DDR-Staatsdopings. 

Gechichtsklitterung erster Güte

Stattdessen versucht Ullrich, eine zweiseitige Stellungnahme, die in der Beurteilung seines gesamten Wirkens als DDR-Athlet und -Trainer kaum aussagekräftig ist, mit der Brechstange zu seinen Gunsten auszulegen. Es ist Geschichtsklitterung erster Güte - bei einer Thematik, die zu den sensibelsten der deutschen Sportgeschichte gehört. Der ranghöchste Repräsentant zu Sportfragen im deutschen Parlament verspottet Betroffene und den Aufklärungsprozess gleichermaßen.

Und mehr noch: Ullrichs neue Aussagen lassen den Schluss zu, dass er eigentlich nie vorhatte, eine unabhängige Prüfung seiner Sport-Vergangenheit in Auftrag zu geben. Sie machen den SPD-Politiker als Vorsitzenden des Sportausschusses mehr denn je untragbar.