Debatte um US-Sprinterin Richardson Cannabis im Sport: Doping oder nicht?

Stand: 15.07.2021 11:17 Uhr

Der Dopingfall des US-Sprintstars Sha’Carri Richardson löste in der Sportwelt eine hitzige Debatte aus: Führt der Konsum von Cannabis wirklich zu einer Leistungssteigerung? Und ist das Verbot überhaupt noch zeitgemäß?

Von Katarina Schubert

Sogar US-Präsident Joe Biden schaltete sich in die Debatte um den Doping-Verstoß von Sha’Carri Richardson ein. Vorschriften seien nun einmal Vorschriften, gab er zu bedenken. Ob diese aber noch Sinn ergeben würden, sei eine andere Frage. Doch was war geschehen? Der 21-jährigen US-Sprinterin wurde nach den nationalen Ausscheidungswettkämpfen im Juni Tetrahydrocannabinol (THC), der Hauptinhaltsstoff von Cannabis, nachgewiesen.

Doping-Verstoß von Richardson löst hitzige Cannabis-Debatte aus

Sie habe kurz vor dem Wettkampf vom Tod ihrer biologischen Mutter erfahren und daraufhin zu Marihuana gegriffen. Die Konsequenzen: Olympia-Ausschluss sowie ein Monat Sperre. Noch im April katapultierte sich Richardson mit ihrer Zeit von 10,72 Sekunden auf Platz sechs der ewigen Bestenliste über 100 Meter und wurde so zur großen Gold-Hoffnung des US-Teams. Dementsprechend groß ist nun die Unterstützung für Richardson, denn ihr Doping-Verstoß löste in der Sportwelt eine hitzige Debatte aus.

Denn dass die Sprinterin ausgerechnet wegen des Konsums von Cannabis die Olympischen Spiele verpasst, stößt auf vielen Seiten auf Unverständnis. Cannabis sei vor allem im Sprint wohl kaum leistungssteigernd und habe nichts mit Doping zu tun, so die allgemeine Überzeugung. Deshalb und wegen der bewegenden Geschichte Richardsons sei die Bestrafung viel zu hart.

Leistungssteigerung durch Cannabis nicht direkt ersichtlich

Ob Cannabis wirklich als Dopingmittel taugt, ist in der Tat umstritten und konnte bis heute nicht einwandfrei durch Studien belegt werden. "Das WADA-Verbot von Cannabis erschließt sich nicht direkt auf den ersten Blick", so die Leiterin des Ressorts Medizin der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschlands (NADA), Dr. Anja Scheiff.

Im Vergleich zu klassischen Dopingsubstanzen wie Steroiden oder EPO führe der Konsum von Cannabis nicht zu einer Verbesserung der Kraft oder Ausdauer. Es ginge mehr um das Gefühl der muskulären und psychischen Entspannung, erklärt Dr. Scheiff. Besonders in Risiko- und Teamsportarten könne dies von Vorteil sein. "Die Angriffslust und Risikobereitschaft können sich durch Cannabis erhöhen, da der Sportler oder die Sportlerin gefährliche Situationen anders, nämlich distanzierter, wahrnimmt. Zwar ist das keine echte Leistungssteigerung, aber ein Effekt im Körper, der in bestimmten Sportarten bessere Wettkampfergebnisse erzielen kann."

Zudem stuft die WADA Cannabis zusammen mit Heroin, Kokain sowie Ecstasy als Suchtmittel ein, welches nicht mit der Vorbildfunktion des Sports vereinbar sei und eine Gesundheitsgefährdung darstelle. Dennoch änderte die WADA 2013 ihre Regeln zugunsten der Athleten und Athletinnen, als sie den bisherigen Grenzwert von 15 ng/ml Urin um das zehnfache auf 150 ng/ml heraufsetzte. Seitdem sank die Zahl der Verstöße deutlich. Außerdem ist Cannabis nur innerhalb des Wettkampfs verboten.

Cannabis als Alternative zu Schmerzmitteln

Doch ist das WADA-Verbot noch zeitgemäß? Denn das Image von Cannabis vollzieht derzeit einen Wandel, sowohl im Sport als auch in der Gesellschaft. In vielen Nationen, darunter Deutschland, wird hitzig über die Legalisierung von Cannabis diskutiert, in weiten Teilen der USA, Kanada und Uruguay ist der Konsum sogar schon erlaubt. Zudem berichten Sportler und Sportlerinnen von den positiven Effekten, welche die Hanfpflanze auf ihren Trainingsalltag hat. So fördere Cannabis nicht nur die körperliche sowie mentale Regeneration, sondern es wirke zudem schmerzlindernd.

Auch wenn dies wiederum als eine Art von Leistungssteigerung gesehen werden könnte, führt vor allem der Aspekt der Schmerzlinderung zu der Frage, ob Cannabis das Potenzial hätte, eine echte Alternative zu Schmerzmitteln zu sein. Immerhin stellt deren Missbrauch im Breiten- und Leistungssport ein großes Problem dar. Das erkannten auch die großen US-Ligen wie die NFL oder NBA, die angesichts der Opioid-Krise in den USA und nicht dem Anti-Doping-Code der WADA unterliegend ihre Cannabis-Regelungen drastisch lockerten. Trotz all dieser Argumente falle der Besitz und Erwerb von Cannabis in Deutschland aber immer noch unter das Betäubungsmittelgesetz. "Damit hebt es sich stark von den im Sport missbrauchten Schmerzmitteln ab, die größtenteils nicht verschreibungspflichtig sind", so Dr. Scheiff.

WADA habe sich mit Freigabe von CBD keinen Gefallen getan

Ebenso wenig verschreibungspflichtig sind die meisten CBD-Produkte. Deren Inhaltsstoff Cannabidiol wird die gleiche schmerzlindernde sowie entspannende Wirkung zugeschrieben, nur ohne den berauschenden Effekt, den THC auslöst. In Deutschland wuchs der Markt in den vergangenen Jahren stark. Als die WADA 2018 Cannabidiol von der Verbotsliste nahm, standen laut Dr. Scheiff die Telefone lange nicht still, so sehr stiegen die Anfragen von Sportlern und Sportlerinnen zu diesem Thema an.

Damit habe sich die WADA, wie die aktuelle Entwicklung zeigt, aber keinen Gefallen getan. "Die Produktvielfalt ist nicht nur für uns vollkommen unüberschaubar, auch die für Lebensmittel- und Arzneimittel-Überwachung zuständigen Behörden kommen kaum hinterher. Hinzu kommt, dass die Hersteller die Bedenkenlosigkeit und Reinheit ihrer Produkte nicht garantieren können." Deshalb warnt die NADA ihre Athleten und Athletinnen vor dem Konsum von CBD-Produkten, denn diese könnten, anders als auf dem Etikett angegeben, durchaus das verbotene THC enthalten. Und eine positive Dopingprobe zur Folge haben - samt ihrer gravierenden Konsequenzen, ob leistungssteigernd oder nicht.