belarusische Fahneüber Skistock

Sportpolitik | Belarus Aufräumen vor Olympia - Lukaschenko will die totale Kontrolle

Stand: 20.01.2022 12:27 Uhr

In Belarus wurden kurz vor den Olympischen Spielen zwei Skifahrerinnen gesperrt. Politische Motive dieser Suspendierungen liegen auf der Hand. Der Vorfall ist beispielhaft und zeigt: Lukaschenko will die totale Kontrolle, doch die entgleitet ihm.

Von Katja Garmasch

Daria Dolodovitsch ist 17 Jahre alt und eines der größten Skilanglauf-Talente von Belarus. Bei regionalen und nationalen Meisterschaften steht sie immer auf dem Treppchen, bald sollte sie zu den Nordischen Junioren-Weltmeisterschaften fahren. Dafür hat sie zuletzt sehr hart trainiert. Doch jetzt wurde sie vom belarusischen Skiverband für ein Jahr gesperrt. Sie dürfe weder trainieren noch an Wettkämpfen teilnehmen, erklärte man ihr.

Noch härter traf es Svetlana Adrijuk. Auch sie wurde vom Verband suspendiert, dabei hätte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking qualifizieren sollen. Dieser Traum ist nun geplatzt.

Vom Skiverband offen gemobbt

Als offizielle Begründung für ihre Sperre hieß es, sie hätte unsportliches Verhalten an den Tag gelegt. Das kann die junge Skilangläuferin nicht nachvollziehen. Das Umfeld der Sportlerin und auch die belarusische Sport-Öffentlichkeit vermuten hinter der Suspendierung der beiden Athletinnen vielmehr politische Gründe. Daria ist die Tochter von Sergey Dolidovitsch. Der ist ein verdienter Sportler, der einzige siebenfache Olympia-Teilnehmer, Stolz des belarusischen Wintersports und ehemaliger Jugendtrainer - und trotzdem in Belarus zum Staatsfeind geworden.

Nicht etwa weil er Proteste gegen die Regierung anführt, sich in den sozialen Medien aktiv geäußert oder Briefe für faire Wahlen unterschrieben hat, sondern weil er zu seinen Ansichten steht: Im August 2020 hat er bei den Wahlen gegen Präsident Alexander Lukaschenko gestimmt, weil er mit dessen System, gerade im Sport, nicht einverstanden war. Aus seiner Haltung hat Dolidovitsch nie einen Hehl gemacht.

Sergey Dolidovitsch ist auch Darias Trainer. Nachdem er die Ski-Föderation und seine Trainer-Stelle verlassen musste, hat er seine Tochter und andere Sportlerinnen privat trainiert, auf eigene Kosten zu Wettbewerben gefahren. Doch seine Tochter Daria wurde vom Skiverband offen gemobbt: Mehrmals wurde sie bei Rennen auf Rang drei geführt, obwohl sie die Schnellste war. Auch die Kommunikation mit ihr war ungenügend. Als sie keine Einladung zum Trainingslager bekam, nahm ihr Vater sie mit nach Russland, wo sie auf eigene Faust trainierten. Bei der Rückkehr nach Minsk erhielt Daria die Sperre.

FIS kennt die Gründe nicht

Auch Svetlana Adrijuk trainierte gemeinsam mit den Dolidovitschs und ihrem Trainer Vjacheslav Zajcev in Russland. Zajcev wurde vom Skiverband gekündigt "wegen der unentschuldigten Abwesenheit". Der Hintergrund könnte aber sein, dass Zajcev, genau wie Sergey Dolidovitch, nicht mehr zum loyalen Kader gehörte. Auch er hatte bei den letzten, offenbar manipulierten Wahlen, nicht für Staatspräsident Lukaschenko gestimmt. Für Dolidovitsch und die belarusische Sport-Community im Ausland haben die Suspendierung der Sportlerinnen und Zajevcs Entlassung jedenfalls eindeutig politische Gründe.

Ob das wirklich so ist, mag der Internationale Skiverband FIS noch nicht beurteilen. Zwar wisse man, dass Daria Dolidovitsch und Swetlana Andijuk für Wettbewerbe gesperrt worden seien, aber auf die Frage nach den Gründen dafür, habe man vom belarusischen Verband noch keine Antwort bekommen, teilt die FIS auf Anfrage der Sportschau mit.

Skisport keine Ausnahme

Dass im belarusischen Skiverband so kurz vor den Olympischen Spielen aussortiert wird, ist auch für Anatolij Kotov keine Überaschung: Nach Peking dürften nur treue und erprobte Sportlerinnen und Trainer reisen, erklärt der politische Analyst und ehemalige belarusische Sportfunktionär, der nach der Niederschlagung der Massenproteste gegen die Wiederwahl Lukaschenkos nach Warschau fliehen musste.

Dort arbeitet Kotov jetzt unter anderem für die Organisation SOS.by, die Sportler unterstützt, die wegen ihrer politischen Ansichten ohne finanzielle Unterstützung und Trainings-Möglichkeiten geblieben sind. Gerade der vor kurzem gewählte Präsident des belarusischen Skiverbands, Alexander Dorohovic – der nur wenig mit Sport zu tun hat und nebenbei ein hoher Beamter der Minsker Verwaltung ist – wolle sich verdient machen und versuche, alle nur annähernd regimekritischen Personen loszuwerden und damit für den Rest der Mannschaft ein Exempel zu statuieren, sagt Kotov.

Und der Ski-Sport ist für Kotov da kein Einzelfall, sondern beispielhaft für die aktuelle Politik Lukaschenkos: Der bei der Mehrheit der Bürger verhasste Diktator versucht mit allen Mitteln, neue Proteste zu verhindern und ein Regime der Angst zu etablieren, das viele Menschen in Belarus an die Sowjetunion der Stalinzeit erinnert.

Aus allen Behörden und Unternehmen würden Personen entfernt, und nachdem alle Oppositionellen und Aktivisten gekündigt, aus dem Land gemobbt oder ins Gefängnis gesteckt worden seien, seien jetzt auch pro-westliche, zweifelnde oder sogar neutrale Bürger dran, die einfach nicht ins Loyalitäts-Raster passten. "Bald haben sie keine Menschen mehr, die arbeiten können", sagt Anatolij Kotov.

Straflager für kritischen Sportjournalisten

Wie in den 30er Jahren werden nun wieder Nachbarn und Kollegen denunziert und Schauprozesse geführt. Einer davon ist am Mittwoch (19.01.21) zu Ende gegangen: Alexander Ivulin, der wohl bekannteste Sportjournalist des Landes, wurde zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Ivulin hatte in den Tagen nach der Präsidentschaftswahl 2020 auch der Sportschau Interviews zu den Protesten und Menschenrechtsverletzungen gegen Sportlerinnen und Sportler gegeben.

In seinem erfolgreichen YouTube-Format "Chestnok" interviewte er Sportler, die für freie Wahlen und gegen die Diktatur eintraten und setzte sich für fairen Sport in Belarus ein. Deswegen ist er in der Sport-Community beliebt. Für viele ist das Urteil gegen Ivulin fast schon ein Grund zu feiern. Im Vergleich zu anderen Regimekritikern, wie etwa die Politikerin Maria Kolesnikova, die elf bis 15 Jahre Haft bekamen, erscheint seine Strafe fast schon mild.  

Dass zwei Junge Ski-Läuferinnen kurz vor Olympia aus allen Wettbewerben und Trainingslager ausgeschlossen werden, passt für Anatolij Kotov genau zu diesem Muster. Kurz vor Olympia wollten die Sportfunktionäre eine gründliche Reinigung durchführen, um die "totale Loyalität" der Olympia-Delegation zu gewährleisten und auszuschließen, dass in Peking jemand "die Timanowskaja macht", so Kotov. Die belarusische Sprinterin Svetlana Timanovskaja hatte sich bei den Sommerspielen in Tokio 2021 über Entscheidungen der Verantwortlichen im Leichtathletikverband beschwert, woraufhin sie zurück nach Belarus geflogen werden sollte, aber nach Polen fliehen konnte.

Der Fall machte international Schlagzeilen, die für Lukaschenko äußerst unangenehm waren. Eine Wiederholung wollen der Diktator und die Sportfunktionäre jetzt mit allen Mitteln vermeiden. "Was sie aber nicht verstehen, ist, dass es gar nicht um Politik geht, so wie es bei Timanowskaja auch gar nicht um Politik ging, sondern darum, die Menschen anständig zu behandeln", sagt Anatolij Kotov. "In diesem Sinne war die Revolution 2020 vor allem eine Revolution der Würde, bei der die Menschen Respekt gefordert haben und nicht so sehr gegen Lukaschenko sondern gegen Erniedrigung, Bevormundung und Lügen protestiert haben - dafür, dass ihre Stimmen endlich gehört werden."

Solange das nicht verstanden werde und solange das Sportsystem in Belarus von Partei-Funktionären gelenkt, die Sportler von Beamten trainiert würden und Loyalität zum Regime für die Teilnahme an Wettbewerben entscheide, könne von einem fairen Sport in Belarus keine Rede sein, sagt Kotov.