Aufsteller bei der Hammer SpVg

WDR-Sport Diskriminierung im Fußball - immer mehr Fälle in NRW

Stand: 23.06.2023 19:51 Uhr

Diskriminierungen im Fußball sind keine Ausnahmen und die Fälle werden immer mehr - zu diesem Ergebnis kommt die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball, die seit 2022 im Einsatz ist.

Diskriminierung ist Fußball allgegenwärtig. Das macht ein aktuelles Beispiel deutlich: Nach dem 1:1 gegen Israel zum Auftakt der Fußball-Europameisterschaft am Donnerstag sind die beiden deutschen U21-Nationalspieler Youssouffa Moukoko und Jessic Ngankam in den sozialen Medien rassistisch beleidigt worden. Beide hatten im Spiel jeweils einen Elfmeter verschossen. "Wenn wir gewinnen, sind wir alle Deutsche. Wenn wir verlieren, kommen diese Affen-Kommentare. Jessic hat sie bekommen, ich habe sie bekommen. Solche Dinge gehören einfach nicht zum Fußball", sagte der 18-jährige Moukoko, der in der Bundesliga für Borussia Dortmund spielt.

Schon am Dienstag war Innenverteidiger Yann-Aurel Bisseck (Aarhus GF) nach seiner Berufung zum Kapitän der deutschen U21 auf Facebook massiv beleidigt worden.

Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW

Auch auf deutschen Fußballplätzen sind diskrimieriende Sprüche keine Seltenheit - egal in welcher Spielklasse. In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2022 "MeDiF-NRW", die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW.

Jene Meldestelle, angesiedelt bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte NRW e. V. (LAG Fanprojekte NRW), hat nun ihren ersten Jahresbericht veröffentlicht. Die Kernaussage lautet: Diskriminierungen sind keine Einzelfälle. 2022 habe es in NRW bei der MeDiF-NRW insgesamt 534 Meldungen zu 201 Vorfällen gegeben. Ein Drittel davon seien sexistische Vorfälle. MeDiF-NRW liefert zudem gleich die neuesten Zahlen für 2023 mit: Demnach habe es bisher (Juni 2023) insgesamt schon über 900 Meldungen zu diskriminierenden Vorfällen gegeben.

Diskriminierungen in allen Spielklassen

"Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Klassismus sind nahezu alltäglich auf und neben dem Platz zu beobachten", sagt MeDiF-Projektleiterin Elena Müller. Sie hat beobachtet: "Nicht nur auf den Plätzen und Tribünen des Profifußballs, sondern auch auf den Sportplätzen unterer Fußballklassen sind diese Diskriminierungsphänomene tagaus, tagein Realität."

Ein Banner in einem Stadion mit der Aufschrift "GEMEINSAM FÜR TEILHABE UND GEGEN DISKRIMINERUNG"

Ein Banner in einem Stadion mit der Aufschrift "GEMEINSAM FÜR TEILHABE UND GEGEN DISKRIMINERUNG"

Für Jürgen Schattmann vom NRW-Landesfamilienministerium steht fest: "Grundsätzlich ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Das betrifft alle Lebensbereiche. MeDiF-NRW wird uns für den Fußballbereich wichtige Ansatzpunkte liefern." Er findet: "Es sollte genau beobachtet werden, welche Bilder von Mit- und Gegeneinander auf dem Platz und auf der Tribüne kommuniziert und gelebt werden. Das kann man dann konkret in der sozialen Arbeit mit jugendlichen Fans aufgreifen."

Gespräche vor Ort, Workshops, Spielbeobachtungen

Das MeDiF-Leistungsprotokoll der ersten zwölf Monate liest sich beeindruckend: Unter anderem wurden 30 Kooperationsgespräche mit Vereinen, Verbänden und Fanprojekten geführt, sieben Workshops mit Schüler*innen, Student*innen, Fans und Mitarbeitenden von Fußballvereinen durchgeführt.

MeDiF-NRW nimmt also Diskriminierungs-Vorfälle auf, geht aber auch aktiv auf die Fußballplätze. Landesweit wurden 2022 über 100 Spielbeobachtungen durchgeführt.

Bei der MeDif gemeldete Diskriminierungs-Vorfälle 2022
Art des Vorfalls Anzahl
Sexismus 150
Rassismus 140
Queerfeindlichkeit 128
Antisemitismus 90
Ableismus (körperliche/psychische Beeinträchtigung) 19
Sonstiges 6
Klassismus (soziale Herkunft) 5
Abwertung von Asylbewerber*innen 2

Monitoring von Problemfans

Ausgewählt wurden die zu beobachtenden Spiele nach unterschiedlichen Kriterien: Es konnte sich auf der einen Seite um Spiele handeln, die aufgrund ihres besonderen Charakters (Derby) die sehr hohe Wahrscheinlichkeit besitzen, dass es dort zu diskriminierendem Verhalten kommt. Weiterhin sollte ein Monitoring bei Vereinen stattfinden, die für rechtsextremistische oder andere "Problemfans" bekannt sind und bei denen ein ständiges diskriminierendes (und auch vielfach strafbares) Verhalten zu erwarten war.

Positivbeispiel Hammer SpVg

Gegen Rassismus im Sport: Joel Matip vom FC Liverpool trägt ein Trikot mit der Aufschrift "Black Lives Matter".

Rassismus im Sport

Als zwei Beispiele für "good" und "bad practice" wurden im Jahresbericht die Hammer Spielvereinigung (HSV) und Westfalia Herne vorgestellt, die beide auch von MeDiF-NRW beobachtet wurden. Die HSV entwickelte sich in den 2010er Jahre zu einem beliebten Treffpunkt der rechtsextremen Szene. Die vielen rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen und anderweitig diskriminierenden Vorfälle und wohl auch die vielen negativen Berichterstattungen in der Presse veranlassten den Verein allerdings zu einem breiten Umdenken.

Bei einer erneuten Beobachtung im Jahr 2022 konnte ein geändertes Bild festgestellt werden: Statt rechter und diskriminierender Szene waren Sticker, Werbebanner und Flyer deutlich erkennbar im Stadion platziert, die für Inklusion warben und sich gegen jegliche Diskriminierung positionieren. Das Problem wurde offensichtlich ernsthaft und sichtbar angegangen.

Negativbeispiel Westfalia Herne

Ein weniger positives Beispiel stellt Westfalia Herne dar. Eine lange Recherche der Antifaschistischen Aktion Bochum deckte 2020 die engen Vernetzungen sowie die Überschneidungen von Hernern Fans und bekannten Nazis aus dem Ruhrgebiet auf. Mehrere Spielbeobachtungen durch MeDiF-NRW bestätigten den Freiraum, der den rechten Fans innerhalb des Stadions am Schloss Strünkede zugestanden wurde.

Gegen diskriminierendes Verhalten wurde dabei weder vom Verein noch von anderen Fans eingeschritten, was wohl auch am martialischen und gewaltbereit wirkenden Erscheinen der rechten Fans liegen dürfte. Bis heute können diese ziemlich ungestört im Stadion wirken, kritisiert MeDiF-NRW.

Sexistische Diskriminierungen liegen vorn

Mit Blick ins Detail wird deutlich: Mit insgesamt 150 Meldungen (und damit etwa 28 Prozent) rangieren sexistische Diskriminierungen noch vor denjenigen aus rassistischen und queerfeindlichen Motiven.

In den Datenmaterialien finden sich zahlreiche detaillierte Beschreibungen, in denen sich weibliche Fans plötzlich in von Furcht, Angst und Ohnmacht geprägten Situationen wiederfinden, bei denen (teilweise alkoholisierte) Männer körperlich übergriffig werden und sehr direkt Aufforderungen zu sexuellen Handlungen verbalisieren.

Gedränge schamlos ausgenutzt

"One Love"-Kapitänsbinde als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt.

"One Love" - Zeichen gegen Diskriminierung im Fußball

Große Menschenansammlungen im Gedränge in der Kurve, beim Einlass ins Stadion und bei unübersichtlichen Aufstiegsfeierlichkeiten nutzen männliche Stadionbesucher schamlos als Gelegenheit aus, um Frauen sexuell übergriffig an Po, an der Brust und im Genitalbereich zu begrabschen.

In einer Vorfallsmeldung wird dies sehr eindrücklich beschrieben: Einer Frau wird auf dem Rückweg von der Toilette am Oberrang des Stadions von einer Gruppe Männern aus eine VIP-Loge der Weg blockiert. Die Männer gaben zu verstehen, dass der Weg der Frau doch direkt in ihre Loge führe, in der sie dann "Spaß mit ihnen" haben würde. Die Frau wurde an den Armen festgehalten und leicht in die Loge hineingedrückt. Der Begleiter der Stadionbesucherin, der etwas abseits auf ihre Rückkehr wartete und die Situation früh genug erkannte, schritt engagiert ein. Die Gruppe von Männern ließ daraufhin von der Frau ab und gab zu verstehen, dass sie "eh sehr hässlich sei".

Rassismus und Queerfeindlichkeit

Rassistische Diskriminierungen stellen die zweithäufigste Form dar: Im angegebenen Zeitraum sind insgesamt 140 von 543 Meldungen vorgenommen worden, die in Form und Inhalt als rassistische Diskriminierung erfasst wurden. Besonders auffällig waren hierbei einerseits die Aktivitäten auf Social Media Kanälen wie Facebook und Twitter.

Unter Berücksichtigung der Möglichkeit von Mehrfachmeldungen wurden mehr als die Hälfte (56 Prozent) der rassistischen Diskriminierungen auf eben jenen Plattformen gesichtet. Knapp ein Drittel (32 Prozent) der eingegangenen Meldungen zeigten Diskriminierungen innerhalb des Stadions bzw. des Vereinsgeländes auf, wobei die Wege in/auf dieses sowie die Abreisewege hier nicht berücksichtigt waren.

"Geh zurück"

Ein Fallbeispiel aus dem Stadion: "Ich war mit mehreren Freund*innen im Stehblock beim Heimspiel. Mit einer männlich gelesenen Person hinter mir gab es bereits einige Diskussionen, an denen ich allerdings nicht bzw. nur am Rande beteiligt war. Plötzlich, als ich mich umdrehte, rotzte er mir ins Gesicht und brüllte, ich solle dahin zurück gehen, wo meine Gastarbeiter*inneneltern herkämen."

Von 543 eingegangenen Meldungen wurden zudem 128 queerfeindliche Meldungen erfasst. Ein gemeldeter Vorfall: "Es war im Herbst 2019 in der Straßenbahn voller Schalker auf dem Weg zum Derby zuhause. Dort wurde Schwuler BVB gesungen. Obwohl es nicht an mich persönlich gerichtet war, hatte die Nutzung von schwul als Beleidigung einen großen Einfluss auf mich.

Queerness und Fußballfansein separat voneinander leben

Als 13-Jähriger, der schon wusste, dass er queer ist, sich aber nicht getraut hat, das offen zu leben, habe ich mich in meiner damaligen Überzeugung bestätigt gesehen, dass ich meine Queerness und mein Fußballfansein nur separat voneinander leben könnte."

Das Ziel der MeDiF-NRW, erklärt Projektleiter Dr. David Johannes Berchem ganz kurz: "Eine Fußballkultur, in der Diskriminierung keinen Platz mehr hat. Aber bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein."