Rachel Rinast (r.) vom FC St. Pauli im Zweikampf mit Emilia Hirche von den HSV-Frauen

NDR-Sport Entwicklung und Chancen: "Frauenfußball ist noch nicht so versaut"

Stand: 20.10.2023 09:30 Uhr

Der Frauenfußball boomt, auch im Norden. Nicht mehr nur der VfL Wolfsburg, sondern auch Werder Bremen, St. Pauli und der HSV machen Schlagzeilen. Und vielleicht lassen sich Fehler aus dem Männerfußball mit Weitsicht vermeiden.

Von Florian Neuhauss

Rachel Rinast hat in ihrer Fußball-Karriere schon einiges erlebt. Die 32 Jahre alte gebürtige Bad Segebergerin spielte in den Ersten Ligen von Deutschland, Israel und der Schweiz. Über 40-mal trug sie das Trikot der Schweizer Nationalmannschaft, war bei Europameisterschaften und 2015 auch bei der WM in Kanada dabei.

Ihr persönlicher Höhepunkt folgte aber bei Regionalligist FC St. Pauli, genauer gesagt im DFB-Pokal-Stadtderby gegen den HSV. "Es klingt immer so pathetisch, aber das war das schönste Spiel meines Lebens", erinnert sich Rinast an das Gänsehaut-Duell vor knapp 20.000 Fans am Millerntor vor einem Monat. Dass das Spiel mit einer 1:7-Pleite für St. Pauli endete - geschenkt.

Frauenfußball-Boom kommt im Norden an

Der Boom im deutschen Frauenfußball ist auch im Norden angekommen, der lange als Diaspora galt. Gerade wurde in der Bundesliga mit 53.609 Zuschauenden in den sechs Stadien ein Spieltags-Rekord aufgestellt. Was einem Plus gegenüber der alten Bestmarke von fast 10.000 Menschen entspricht. Großen Anteil daran hatten die Frauen von Werder Bremen, die zum zweiten Mal in ihrer Geschichte im großen Weserstadion auflaufen durften.

Club-Ikone Marco Bode sieht den Frauenfußball bei Werder fest etabliert. "Das ist ein Thema, an dem sich alle erfreuen", betont der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende. Und dass das keine leeren Worte sind, verdeutlichen die 21.508 Fans, die bei Werders 3:0-Erfolg über Köln live vor Ort waren. "Das zeigt die Kraft, die der Frauenfußball mittlerweile entwickelt hat", ist Bode überzeugt und hofft darauf, dass die Frauen noch häufiger im Weserstadion spielen dürfen. "Denn da wird das Ganze auch erlebbar für die Bremerinnen und Bremer."

Wolfsburg und Bayern gehen voran, andere ziehen nach

Natürlich haben der VfL Wolfsburg und Bayern München im sportlichen Bereich weiterhin die Nase vorn. Doch längst sorgen auch andere Clubs für Schlagzeilen. So wie Eintracht Frankfurt, das sich - anders als Wolfsburg - erstmals für die Champions-League-Gruppenphase qualifiziert hat. Oder auch der 1. FC Köln, der mit 38.365 Fans im großen Stadion in der vergangenen Saison gegen Frankfurt den Zuschauerrekord für ein Bundesliga-Spiel aufgestellt hat.

"Es gibt noch viel zu tun. Aber all die kleinen Schritte, die es nach vorne geht, sind unheimlich wichtig und motivieren weiter."
— Katja Kraus

Ex-Nationalspielerin Katja Kraus, die sich in der Initiative "Fußball kann mehr" engagiert, freut sich, dass es durch viele kleine Schritte nach vorne geht: "Ich bin mir sicher, dass wir noch einen guten und erfolgreichen Weg vor uns haben." Es könne sich kein Verein mehr leisten, "das Thema Frauenfußball nicht wirklich ernst zu nehmen".

Durch das gesteigerte öffentliche Interesse ergeben sich auch größere Einnahmen durch das Sponsoring. Auf der anderen Seite gehen mit der fortschreitenden Professionalisierung aber auch erhöhte Ausgaben einher. Und trotz vieler kleiner Entwicklungsschritte braucht der Frauenfußball auf höchster Ebene überall weiterhin Quersubventionen aus dem Männerbereich.

Göttlich hofft, dass sich Fehler nicht wiederholen

St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich freut sich ebenfalls über die Entwicklung, warnt aber zugleich: "In der Landschaft Frauen-Bundesliga nehmen große Vereine einfach eine Gießkanne Geld und sagen, wir machen die Frauen-Bundesliga genauso wie die Herren-Bundesliga." Es dürften sich aber nicht die Fehler wiederholen, die dem Männerfußball heutzutage zu schaffen machen.

Die Rede ist von Konzernen, die Eigentümer mehrerer Clubs in verschiedenen Ländern sind und Spieler einfach unter den Vereinen hin- und hertauschen. Göttlich will sich aber auch für Obergrenzen bei der Kadergröße und bei der Anzahl von Leihspielerinnen oder ein Verbot von Sportwettenanbietern im Frauenfußball einsetzen. "Es ist noch nicht das ganz große Geld permanent verfügbar. Jetzt könnten wir noch Regeln einziehen und vielleicht könnte Deutschland da auch als Vorreiter auftreten", wünscht sich der 47-Jährige.

Rinast: "Frauenfußball noch in den Kinderschuhen"

In dieselbe Kerbe schlägt St.-Pauli-Spielerin Rinast, die den Frauenfußball "provokativ" mit einem Start-up-Unternehmen vergleicht. Ohne Kapital gehe es nicht. Aber: "Man kann das Ganze auch gut machen, das Kapital richtig einsetzen. Bei all den Dingen, die im Männerbereich gerade in andere Sphären unterwegs sind, könnte man zum Ursprung Fußball zurückkommen."

"Das ist ja das Tolle. So viel Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft ist? Überragend, perfekt!"
— Rachel Rinast

Der Frauenfußball stecke noch "in den Kinderschuhen. Er ist noch nicht so versaut. Wir können also noch mehr Einfluss darauf nehmen, dass es nicht so extrem wird." Es brauche deshalb auch Konstrukte, dass sich der Frauenfußball irgendwann selbst finanziert. Sie wolle aber "kein dreckiges Geld", sondern solches, das Gutes bewirkt, so Rinast.

Sie sei vor einigen Jahren noch "extrem negativ und sehr kritisch" gewesen. Die positive Entwicklung habe sie so nicht kommen sehen. Doch mittlerweile hätten viele Vereine erkannt, was im Frauenfußball steckt.

Beeindruckende Entwicklung bei den HSV-Frauen

Dazu zählt der Hamburger SV, der seine Bundesliga-Frauen vor elf Jahren aus der Bundesliga abgemeldet hatte. Mittlerweile hat das Team nicht nur wieder den Weg in die Zweite Liga gefunden, sondern grüßt sogar nach sieben Spieltagen als Aufsteiger sensationell von der Tabellenspitze.

Torfrau Lela Naward von den HSV-Fußballerinnen

Torfrau Lela Naward vom HSV feiert mit ihren Mitspielerinnen den Zweitliga-Aufstieg.

"Ich war schon vor dem Anpfiff des ersten Spiels davon überzeugt, dass wir ein sehr gutes Team mit einer enormen Qualität haben", erklärt Torhüterin Lela Naward. "Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass wir so unfassbar gut in die neue Saison starten." Die Spielzeit sei allerdings noch lang - und über allem stehe ohnehin die positive Entwicklung der Mannschaft.

Traum vom Frauen-Spiel im Volksparkstadion

Doch wie Rinast hat auch Naward das Derby im Pokal Lust auf mehr gemacht. "Ich hatte vom Aufwärmen bis zum Abpfiff durchgehend Gänsehaut", blickt die 24-Jährige mit einem Lächeln zurück. "Dieses Spiel ist schwer zu toppen." Allerdings träumen sie und ihre Mitspielerinnen davon, irgendwann auch einmal im Volksparkstadion auflaufen zu können. "Wir geben unser Bestes und hoffen, dass es eines Tages dazu kommt."

Auch Rinast wünscht sich, dass der Frauenfußball weiter positive Schlagzeilen schreibt. "Ich würde mich total gern dafür einsetzen, dass der Stellenwert des Frauenbereichs allgemein im Norden steigt, also gar nicht nur bei St. Pauli", betont sie. "Aber ich komme nicht als Revoluzzerin, die hier alles verändern will, sondern als Impulsgeberin. Ich finde, da ist noch einiges machbar."

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