Datenanalyse Wie "Libero" Eric Smith den FC St. Pauli besser macht

Stand: 27.01.2024 11:36 Uhr

Der FC St. Pauli führt die 2. Fußball-Bundesliga an. Ein großer Erfolgsfaktor ist Abwehrchef Eric Smith. Trainer Fabian Hürzeler hat den Mittelfeldspieler zum modernen Libero und damit das ganze Team besser gemacht - wie die Datenanalyse eindrucksvoll beweist.

Von Florian Neuhauss

Der 2:0-Erfolg gegen den 1. FC Kaiserslautern zum Rückrundenstart war für St. Pauli und die Defensive um Abwehrchef Smith das sechste Zu-Null-Spiel in der Liga in dieser Saison. Ungleich schwerer dürfte es nun gegen Fortuna Düsseldorf werden: erst am Sonnabend auswärts in der Liga (20.30 Uhr, im NDR Livecenter), wo Trainer Hürzeler wegen seiner Gelbsperre passen muss, und nur drei Tage später am Millerntor im DFB-Pokal-Viertelfinale.

Smith: Viel gegenseitiger Respekt

Bei St. Pauli geht wieder was - die Spieler können bei den Hamburgern ihre Ziele verwirklichen. Sicher auch ein Grund dafür, dass sich Smith zuletzt im Trainingslager im spanischen Benidorm so deutlich zum Club bekannt hat: Von "einer Menge gegenseitigem Respekt" sprach der Schwede. Er würde gern "möglichst lange etwas zurückgeben".

Balsam für die St.-Pauli-Seele, die durch den Vertragspoker von Coach Hürzeler gerade herausgefordert wird. Smiths Kontrakt endet ohnehin erst 2025, im Aufstiegsfall würde sich dieser um ein weiteres Jahr verlängern. Der 1,92-Meter-Mann, der über Norrköping, Tromsö und Gent den Weg nach Hamburg fand, dürfte dem Kiezclub noch längere Zeit erhalten bleiben.

Und das wäre wichtig, denn Smith ist das Metronom in St. Paulis Spiel. Was wiederum mit seiner Position zu tun hat. Gekommen war er als Mittelfeldspieler - mittlerweile ist der Schwede ein Libero. Wahlweise der ganz alten Schule oder der Moderne. Denn die Analyse der Daten von GSN zeigt, dass Smith die als altbacken, wenn nicht gar als ausgestorben geltende Position in neuem Glanz erstrahlen lässt.

Wie einst Sammer oder Beckenbauer

Hürzeler dürfte der einzige Trainer im deutschen Profifußball sein, der ohne etatmäßigen "Sechser" in seinem Spielsystem auskommt. Auf diese Art gelingt es dem 30-Jährigen allerdings, Smiths Stärken perfekt in Szene zu setzen. Defensiv ist Smith der Mittelmann in der Dreier-Abwehrkette, genießt dabei allerdings große Freiheiten. Schon um Bälle zu erobern, aber besonders, wenn St. Pauli in Ballbesitz ist, schiebt der Schwede weit mit nach vorne. Und das nicht nur ab und zu: Sein Pensum ist enorm.

"Smith interpretiert seine Rolle völlig anders als andere Innenverteidiger auf seiner Position in der Dreierkette. Er wirkt teilweise wie der ausgestorbene Libero in seiner Spielweise."
— Datenspezialist Dustin Böttger von GSN

Wie in den 1990er-Jahren Matthias Sammer oder davor einer der besten Spieler aller Zeiten: "Kaiser" Franz Beckenbauer. Wobei der Vergleich natürlich hinkt. Waren beide in ihrer Zeit absolute Weltklasse-Spieler, so kickt Smith mit 27 Jahren in der 2. Bundesliga. Aber: Mit einem GSN-Index von 64,70 ist er vom Potenzial her längst ein solider Bundesligaspieler.

Was ist der GSN-Index?

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

In den vergangenen Jahren hat sich der Mann aus Halmstad kontinuierlich entwickelt. Nicht von ungefähr beträgt der mögliche Index-Wert 69,55 (starker Bundesligaspieler), damit würde Smith an der internationalen Klasse kratzen. Trotzdem hat er noch kein Länderspiel für Schweden absolviert und kam lediglich einige Male in den Jugend-Nationalmannschaften seines Landes zum Einsatz.

Herausragende Arbeit von Hürzeler und Bornemann

Modellathlet Smith ist ein starker Zweikämpfer, am Boden und in der Luft. Allerdings antizipiert er auch herausragend und muss daher viele Zweikämpfe gar nicht erst führen. "Eric hat große Qualitäten in der Organisation unserer Defensive wie auch im Aufbauspiel", beschrieb Hürzeler seinen Leader einmal. "Er trägt damit wesentlich zur Stabilität des gesamten Gefüges bei."

Seine große Stärke ist allerdings das Passspiel, das nicht nur sicher ist, sondern immer wieder Räume für seine Mitspieler kreiert. Davon profitieren vor allem die sehr offensiv agierenden Marcel Hartel (bester zentraler Mittelfeldspieler der Liga) und Kapitän Jackson Irvine (Platz drei im Ranking) vor ihm. Im Englischen ist von "good spacing" die Rede. Auf der Skala von 0 bis 100 kommt Smith auf einen - gerade in der Zweiten Liga - überragenden Wert von 86,29.

Hürzeler hat Smiths Potenzial erkannt und es zum Faustpfand des Teams gemacht. Aber auch Manager Andreas Bornemann hat seinen Anteil, denn die Mannschaft wurde sehr gut zusammengestellt. Auf 89,08 Prozent bringt es der Kader in der GSN-Berechnung.

Smith fügt sich mit seinen Fähigkeiten zu 95,77 Prozent in Spielweise und taktische Formation des Teams. Und besonders mit seinen Verteidigerkollegen Karol Mets (seit Anfang 2023 im Club) und Sommerzugang Hauke Wahl versteht sich Smith bestens. Der Wert der "player chemistry", der zeigt, ob die Spieler von ihren Fähigkeiten her zusammenpassen, liegt hier sogar bei 98,15 Prozent.

Viele Angriffe werden schon sehr früh entschärft

Smiths Einfluss macht sich in vielen Faktoren des Spiels bemerkbar. Die Kiezkicker haben von allen Zweitligisten die meisten Angriffe aus dem freien Spiel heraus gefahren. Kein Team hat so viele Balleroberungen und schaltet dann so gut um wie St. Pauli.

Der Tabellenführer hat in den bisherigen 18 Ligaspielen nur 15 Gegentore kassiert und stellt damit die mit Abstand beste Defensive der Liga (Fürth folgt mit 20). Das liegt unter anderem daran, dass St. Pauli auch spitze bei den Balleroberungen in der gegnerischen Hälfte sowie im Mitteldrittel des Spielfelds ist und ligaweit die meisten Bälle schon in der gegnerischen Hälfte abfängt.

Aufstieg? Mit Smith in die Bundesliga!

Bei im Schnitt 96,72 eigenen Ballverlusten pro Spiel könnte man denken, dass das Team mitunter zu viel Risiko geht. Aber bei gerade einmal 29,56 Ballverlusten in der eigenen Hälfte gelingt es St. Pauli trotz der Risikobereitschaft, den Ball in den gefährlichen Zonen meist sicher zu halten.

Und genau hier ist Smith der herausragende Spieler der Liga: Exakt 0,00 Fehler des Schweden führten zu Gegentoren.

Ein Blick in Daten der laufenden und der vergangenen Spielzeit zeigt klar, dass Smith sein Team besser macht. In der Saison 2022/2023 erzielte St. Pauli mit Smith auf dem Feld im Schnitt 0,44 Tore mehr pro Spiel als ohne ihn. In dieser Runde sind es sogar 0,94. Der Punkteschnitt liegt aktuell genau bei zwei Zählern - und 68 Punkte haben seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel immer zum Aufstieg gereicht. Kein Wunder also, dass der von der künstlichen Intelligenz von GSN berechnete Saisonausgang St. Pauli sogar als Zweitliga-Meister ausweist.

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 26.01.2024 | 11:17 Uhr